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Studie: Mechanismus entdeckt Wie das Gehirn uns Illusionen vorgaukelt

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Der italienische Psychologe Gaetano Kanizsa entwickelte die nach ihm benannten Kanizsa-Illusionen: Menschen sehen in ihnen Formen, die gar nicht da sind.

Der italienische Psychologe Gaetano Kanizsa entwickelte die nach ihm benannten Kanizsa-Illusionen: Menschen sehen in ihnen Formen, die gar nicht da sind.

(Foto: Stoppel)

Was wir sehen, ist nicht immer real: Forschende entdecken einen Mechanismus, der dafür sorgt, dass unser Gehirn Illusionen erzeugt. Sie machen spezielle Zellen aus, die dafür verantwortlich sind. Das könnte auch für die Behandlung von Krankheiten von Bedeutung sein.

Eine Illusion entsteht, wenn Menschen etwas sehen, das nicht dem entspricht, was die Augen ans Gehirn übermitteln. Im Fall des oben stehenden Bildes sind die optischen Sinneseindrücke sieben Pac-Man-ähnliche schwarze Figuren. Was man jedoch zu sehen glaubt, ist ein weißes Dreieck auf der linken und ein weißes Quadrat auf der rechten Seite. Es handelt sich um eine optische Täuschung, auch bekannt als Kanizsa-Dreieck und- Quadrat.

Doch warum sehen wir Dinge, die gar nicht da sind? Ein Forschungsteam aus den USA hat einen bestimmten Typ von Gehirnzellen entdeckt, die eine entscheidende Rolle dabei spielen. Sie sind Teil eines Schaltkreises, welcher am Ende dazu führt, dass Menschen Dinge sehen, die gar nicht da sind. Die Studie der Forschenden erschien in der Fachzeitschrift "Nature Neuroscience".

Das Team um Hyeyoung Shin von der Universität Seoul und Hillel Adesnik vom Allen Institute entdeckte eine spezielle Gruppe von Zellen, die sogenannten IC-Encoder-Neuronen. Diese sind an einem Prozess beteiligt, der Muster vervollständigt.

Manager vergibt Auftrag

Dabei werden diese Zellen von einer höheren Ebene des Gehirns praktisch erst beauftragt, Muster zu vervollständigen, so die Autoren. So, als würde ein Manager einem Mitarbeiter in der Einstiegsposition auftragen, eine Aufgabe zu erledigen: Die Anweisungen kommen von einer höheren Ebene und werden dann von Mitarbeitern auf einer niedrigeren Ebene ausgeführt. In diesem Fall wäre die Anweisung, etwas zu sehen oder wahrzunehmen, das nicht wirklich da ist.

Bei der optischen Täuschung mit dem weißen Quadrat interpretieren höhere Ebenen des Gehirns das Bild als Quadrat. Erst dann weisen sie den unteren visuellen Kortex an, "ein Quadrat zu sehen" - obwohl der visuelle Reiz aus vier halbfertigen schwarzen Kreisen besteht.

Die Forscher konnten diesen Mechanismus nachweisen, indem sie die elektrischen Aktivitätsmuster des Gehirns von Mäusen beobachteten. Den Tieren wurde das Kanizsa-Dreieck gezeigt. Anschließend stimulierten sie die IC-Encoder mit Lichtstrahlen, wenn das Bild nicht vorhanden war - sie ahmten also den Befehl aus der höheren Gehirnebene (dem Manager) nach. Dabei stellten sie fest, dass diese Gehirnzellen dieselbe Gehirnaktivität auslösten.

Neues Verständnis, was Sehen bedeutet

Durch diese Erkenntnisse wollen die Wissenschaftler auch erklären können, wie es bei bestimmten Krankheiten zu Halluzinationen kommt - etwa bei Schizophrenie. "Wenn man nicht versteht, wie diese Objekte entstehen und wie eine Gruppe von Zellen zusammenarbeitet, um diese Repräsentationen hervorzubringen, kann man sie nicht behandeln", sagte Mitautor Jerome Lecoq laut einer Mitteilung des Allen Institute. Daher sei es hilfreich, zu verstehen, in welchen Zellen und in welcher Schicht diese Aktivität stattfindet.

Laut den Autoren verändern die Ergebnisse der Studie die grundsätzliche Vorstellung über das Sehen: von einem passiven Prozess, bei dem Informationen aus unserer Umgebung empfangen werden, hin zu einem aktiven Prozess, bei dem die Wahrnehmung der Realität durch eine Reihe komplexer Gehirnberechnungen interpretiert und konstruiert wird. Unser Sehen ähnele weniger einer Kamera, die die Welt einfach so sieht, wie sie ist, sondern eher einem Computermonitor, der uns eine Szene oder ein Bild auf der Grundlage komplexer Berechnungen und Interpretationen von Daten aus früheren Erfahrungen zeigt.

Quelle: ntv.de, kst

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