Frage & Antwort

Die Tricks unserer Umwelt Warum verlieren wir die Selbstdisziplin?

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Um den Versuchungen unserer Umwelt standzuhalten, braucht man heute mehr Selbstkontrolle als noch vor zwanzig Jahren.

(Foto: imago images / Westend61)

Um seine Ziele zu erreichen, muss man oft gegen den inneren Schweinehund ankämpfen. Zwischen Kühlschrank und Fernseher im Homeoffice fällt es vielen besonders schwer, bei der Arbeit zu bleiben. Woran liegt es, dass man so leicht vom Weg abkommt?

Eigentlich wollte man die Präsentation für das nächste Meeting erstellen und nach Feierabend 30 Minuten joggen. Mittlerweile ist es Abend; die guten Vorsätze von heute werden auf die To-do-Liste von morgen verschoben. Irgendwo auf dem Weg zum Ziel ist einem das Durchhaltevermögen ausgegangen - man hat die Selbstdisziplin verloren.

Wissenschaftler bezeichnen Selbstdisziplin lieber als Selbstkontrolle. Menschen müssen sich kontrollieren, um Versuchungen zu widerstehen und sich gleichzeitig geistig anzustrengen. "Selbstkontrolle ist für drei alltägliche Prozesse wichtig", erklärt Ralph Hertwig, Direktor des Forschungsbereichs Adaptive Rationalität am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (MPIB). Ohne Selbstkontrolle gelinge es uns nicht, neues Verhalten zu erlernen oder lästige Angewohnheiten abzulegen.

Wer sich also besser kontrollieren kann, dem fällt es leichter, nach Neujahr tatsächlich mehr Sport zu treiben oder weniger Zeit am Handy zu verbringen. "Es gab auch mal Zeiten, in denen wir den Sicherheitsgurt im Auto nicht automatisch angelegt haben", sagt der Psychologe mit Blick auf den dritten Punkt. Auch Verhaltensweisen wie Zähneputzen kosten einen immer ein Stück Selbstkontrolle, wenn sie noch nicht zu einer automatisierten Gewohnheit geworden sind.

"Die Umwelt zu unserem Alliierten machen"

Warum fällt es einigen Menschen leichter, sich zu kontrollieren? Der Marshmallow-Test des berühmten Persönlichkeitspsychologen Walter Mischel zeigt, dass es schon im frühen Alter Unterschiede in der Selbstbeherrschung gibt. Kinder standen vor der Wahl, entweder sofort einen oder nach 15 Minuten Wartezeit zwei Marshmallows zu bekommen. Einige hielten der Versuchung stand, andere nicht.

"Viel wichtiger als genetische Unterschiede ist allerdings eine gute Strategie", so Hertwig. Einige Kinder im Experiment wussten intuitiv, was zu tun ist: Weggucken und sich von der Versuchung, dem Marshmallow, distanzieren. Denn der größte Feind auf dem Weg zur Traumfigur oder der fertigen Präsentation sei die eigene Umgebung. "Unsere Umwelt weiß viel mehr über uns als früher und das äußert sich in unzähligen Versuchungen." Egal, ob die 35 verschiedenen Eissorten im Supermarkt, die Werbung in Sozialen Medien oder Eilmeldungen - unsere Aufmerksamkeit wird von allen Seiten beansprucht. Wir müssen also viel Kraft aufbringen, uns auf unsere eigentlichen Ziele zu konzentrieren.

Das Self-Nudging von Forschern der Universität Helsinki und des MPIB kann dabei helfen. Es beschreibt die Methode, Versuchungen aus dem und unsere Ziele ins Blickfeld zu rücken. "Wir müssen die Umwelt zu unserem Alliierten machen", so Hertwig. "Im Kühlschrank greifen wir zuerst nach dem, was vorn und auf Augenhöhe liegt. Wenn wir die Schokolade in die dritte Reihe legen, sehen wir sie nicht sofort." Wir müssen also weniger Selbstkontrolle aufbringen, nicht direkt nach ihr zu greifen.

Wir brauchen unsere Disziplin auf

Wichtig sei es auch, eine gute "Wenn-dann-Regel" aufzustellen, sagt der Experte. "Wenn der Kollege nach Feierabend noch ein Bier trinken gehen möchte, obwohl ich ins Fitnessstudio wollte, dann frage ich ihn, ob er morgen Zeit hat." Kleine, präzise Überlegungen unterstützen uns bei der Selbstdisziplin.

Dass wir es trotz bester Vorsätze besonders abends oft nicht schaffen, die Kontrolle zu behalten und die Chips im Schrank zu lassen, könnte noch einen anderen Grund haben. So beschreiben einige Forscher die Selbstkontrolle als einen Muskel, der irgendwann ermüdet. Lässt man also den Kuchen auf der Arbeit stehen und bleibt bei aufleuchtenden Handy-Nachrichten standhaft, sei die Ressource Selbstkontrolle am Abend aufgebraucht. Es falle einem dann umso schwerer, sich von der Pizza fernzuhalten oder zum Sport aufzuraffen, bis die Ressource Selbstkontrolle wieder aufgeladen ist. Diese Studien seien aber nicht unumstritten, so Ralph Hertwig.

Dass wir auf unserem Weg zum Ziel öfter mal auf Umwege gelangen, liegt also weniger an unserer Persönlichkeit als vielmehr an unserer Umwelt. Wer sich jedoch im Vorhinein ein paar Gedanken macht, schafft es, die Verlockungen auszutricksen und seine Selbstkontrolle zu behalten.

Übrigens: Selbstkontrolle macht erfolgreich. Das haben Avshalom Caspi und Terrie Moffit herausgefunden. Die Forscher begleiteten 1037 Kinder bis zu ihrem 32. Geburtstag. Kinder, die schon früh wussten, wie sie sich selbst kontrollieren, wurden später gesünder und erfolgreicher im Job.

Quelle: ntv.de

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