Wangenknochen und Oberkiefer Ausgrabungsteam entdeckt "Gesicht des ersten Europäers"
09.07.2022, 13:44 Uhr
Geologische Proben sollen helfen, das Alter des Knochfundes abzuschätzen.
(Foto: Susana Santamaria / Atapuerca-Stiftung)
Seit Jahrzehnten wird der Gebirgszug Atapuerca im Norden Spaniens von Archäologen und Paläontologen erforscht. Bei Ausgrabungen gelingt dem internationalen Team ein Sensationsfund, der völlig neue Antworten liefern könnte.
Im Norden Spaniens hat ein internationales Forschungsteam nach eigenen Angaben Ende Juni die Überreste des "ersten Europäers" entdeckt. Das in der Provinz Burgos ausgegrabene Fossil stelle "das Gesicht des ersten Europäers" dar, teilten die Direktoren der Stiftung Fundación Atapuerca mit. Der Frühmensch der Gattung Homo, zu der auch der moderne Mensch, der Homo sapiens gehört, habe den Erkenntnissen zufolge vor bis zu 1,4 Millionen Jahren an der Fundstelle am Gebirge der Sierra de Atapuerca gelebt, hieß es.
Bei der Entdeckung aus Ebene TE7 in K29 von Sima del Elefante handelt es sich um einen Teil des Wangenknochens und des Oberkiefers eines Frühmenschen. Sie waren in Lehm gehüllt und lagen etwa zwei Meter unterhalb eines 2007 gefundenen Unterkiefers. Nach Angaben der Forschenden ist es sehr wahrscheinlich, "dass das neue Fossil aus der Sima del Elefante mit diesem Kiefer verwandt ist und zu einer der ersten Populationen gehört, die Europa besiedelten".
Der Fund sei für das Verständnis der ersten Schritte in der Evolution der Frühmenschen außerhalb Afrikas von außerordentlicher Bedeutung, wurde betont. Die ältesten bisher in Atapuerca ausgegrabenen Fossilien waren ein Unterkiefer und weitere Knochenfragmente von zwei Individuen, die vor 1,2 Millionen Jahren an diesem Ort lebten.
Auch der renommierte Frühmenschen-Forscher Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie äußerte sich zu dem Fund. "Berichten zufolge wurde in Atapuerca das älteste Gesicht (1,4 Millionen Jahre alt?) entdeckt, das bislang in Europa gefunden wurde", schrieb Hublin auf Twitter. Der Fund zeige dem Forschungsteam zufolge, dass der europäische Kontinent deutlich früher von aufrecht gehenden Frühmenschen besiedelt worden sei, als man bisher angenommen habe.
Paradies für Archäologen und Paläontologen
Noch bis Anfang der 1990er Jahre war man davon ausgegangen, dass die ersten Europäer vor ungefähr 500.000 Jahren gelebt hatten. Für großes Aufsehen sorgte die Ausgrabungsstelle in Atapuerca, als dort 1994 menschliche Überreste entdeckt wurden, die dem "Homo antecessor" zugeordnet wurden - einer Menschenart, die vor rund 900.000 Jahren gelebt haben soll. In den Folgejahren wurden in den Höhlen von Atapuerca noch ältere Überreste entdeckt.
Atapuerca gilt als Paradies für Archäologen und Paläontologen. Der relativ kleine Gebirgszug, der nur rund 15 Kilometer östlich der Provinzhauptstadt Burgos liegt, wurde wegen der spektakulären Funde zum Naturschutzgebiet, zum schützenswerten Kulturgut und im Jahr 2000 zum UNESCO-Welterbe erklärt.
Bereits 1978 begannen dort systematische Ausgrabungen. Das Atapuerca-Forschungsteam umfasst heute fast 300 Expertinnen und Experten aus 22 Ländern und 30 wissenschaftlichen Disziplinen. Während der Sommergrabungen arbeiten sie an den Ausgrabungsstätten von Atapuerca, den Rest des Jahres verbringen sie an den jeweiligen Universitäten und Forschungszentren, wo sie mit der Stiftung zusammenarbeiten.
Quelle: ntv.de, sba/dpa