Fundsache

Dichtung oder Überlieferung? Forscher stöbert Urfassungen der Grimm-Märchen auf

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Diese Urfassung von "Die Ente am Goßenstein" wurde von Wilhelm Grimm aufgeschrieben.

Diese Urfassung von "Die Ente am Goßenstein" wurde von Wilhelm Grimm aufgeschrieben.

(Foto: Staatsbibliothek Berlin)

Die Märchen der Brüder Grimm sind weltbekannt. Ein Märchenforscher entdeckt im Nachlass bisher unbekannte Schriften der Brüder. Diese klären, wie viel Überlieferung in den Märchen steckt. Eine davon, in der auch eine nackte Frau vorkommt, überrascht den Fachmann besonders.

Im Nachlass der Brüder Grimm hat Professor Holger Ehrhardt von der Universität Kassel insgesamt 54 bisher unbekannte Manuskripte der Brüder gefunden. Der Germanist sichtete den umfangreichen Nachlass der Brüder, der sich in Berlin befindet. Unter den unzähligen noch unsortierten und wissenschaftlich bisher nicht ausgewerteten Dokumenten fand Ehrhardt auch Manuskripte, die von sogenannten Beiträgern stammten, also von Personen, die den Brüdern Märchen und Sagen zusandten.

Ehrhardt stöberte aber auch Protokolle von Märchen auf, die sich die Grimms von Menschen aus der Bevölkerung erzählen ließen und aufschrieben. Unter diesen befand sich die Mitschrift der Gespenstersage "Der arme Bauer auf dem Kirchhof" von der wohl berühmtesten Märchenerzählerin Dorothea Viehmann. In diesem Protokoll übernahm Jacob Grimm den mundartlichen Ausdruck der "Viehmännin", der einen interessanten Einblick in den nordhessischen Dialekt jener Zeit gibt.

Eigenwillige Doppelungen und nackte Frauen

Auch das Schriftstück mit dem Märchen "Die weiße und die schwarze Braut", das von Jacob Grimm niedergeschrieben wurde, ordnete der Märchen-Experte aufgrund mehrerer Belege der Märchenerzählerin Viehmann zu. Der Forscher belegt das mit typischen Viehmann-Wendungen, wie bestimmten Wiederholungen: "Was verdient die, welche das und das thut?" Diese Wiederholung das und das "ist einer der auffälligsten Hinweise auf Dorothea Viehmann", sagt Ehrhardt.

"Solche eigenwilligen Doppelungen sind nur in drei Viehmann-Märchen sowie im vorliegenden Manuskript nachweisbar." Aber auch das Motiv einer nackten Frau finde sich nur bei Dorothea Viehmann. "Sie hatte ein anderes Verhältnis zur Körperlichkeit als die jungen bürgerlichen Damen aus dem Bekanntenkreis der Brüder Grimm", fasst der Forscher zusammen. "Wilhelm Grimm ist also hier ein Fehler unterlaufen", sagt Ehrhardt im zugehörigen Podcast der Universität. Die Urfassung, die den Titel "Die Ente am Goßenstein" trägt, stammt also nicht, wie bislang angenommen, aus dem Umfeld der Adelsfamilie von Haxthausen, sondern von Dorothea Viehmann.

Beweise für Überlieferungen

"Hartnäckig hält sich der Glaube, dass es nur wenige Urfassungen gegeben habe, sondern die Grimms diese erfunden hätten, um den Erzählungen Authentizität zu verleihen. Das ist nun endgültig widerlegt", wird Ehrhardt, der kürzlich den Europäischen Märchenpreis verliehen bekam, in der Mitteilung der Universität zitiert.

Bislang galten die sogenannten Oelenberger Handschriften als einzige erhaltene Urfassungen der Grimm'schen Märchen. Die 46 Schriftstücke, die bereits in den 1920er-Jahren veröffentlicht wurden, werden jetzt um die neu entdeckten 54 Urschriften ergänzt. Insgesamt haben Jacob und Wilhelm Grimm im Zeitraum zwischen 1812 bis 1858 mehr als 200 Märchen und Erzählungen aufgeschrieben und herausgegeben.

Quelle: ntv.de, jaz

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