Leben

Aus der Schmoll-Ecke Dann lieber Greta Thunberg als Mick Jagger

Die kleinwüchsige Frau schaut den Betrachter direkt an.

Die kleinwüchsige Frau schaut den Betrachter direkt an.

(Foto: Thomas Schmoll)

Wer dieser Tage durch Italien reist, begreift schnell: Die Denkmalschleifer und Straßenumbenenner haben noch einiges zu tun, bevor alle Kunst politisch korrekt ist. Und: Nach Corona wird nichts besser. Dafür sind das Tourismusgeschäft und die Sehnsucht nach Ferne zu groß.

Bei all meiner Bescheidenheit: Es scheint, als hätte ich mich zum Objekt der Bewunderung hochgeschrieben. Kaum ein Tag will vergehen, an dem ich nicht gefragt werde, was man tun muss, zu einem tadellosen Sehr-Gutmenschen zu werden, wie ich zweifelsfrei einer bin. Ich kann nur sagen: Es ist ein langer harter Jakobsweg mit einer Abzweigung nach Canossa. Ich war jahrelang unterwegs, um zu lernen, tolerant gegenüber allen zu sein und wie einst Erich Mielke behaupten zu können, alle Menschen zu lieben, also völlig ohne Ausnahme, selbstverständlich auch Indianer, andere (ehemals) Unterdrückte, sogar Sachsen und natürlich Betroffene.

Man darf ja in diesen politisch hochsensiblen Zeiten mit einem Volk aus Richtern, stets zu einem Tweet zwecks Verteidigung des Guten bereit, nur über Betroffene schreiben, wenn man selbst betroffen ist, weil sich nur Betroffene in andere Betroffene hineinversetzen können. Sprich: Man muss einer Minderheit angehören. So wie ich. Ich gehöre zur Minderheit der Liebhaber der Renaissance-Malerei. Also darf ich als Betroffener darüber schreiben. Freilich bin ich kein Verfolgter und Unterdrückter wie die vielen anderen Betroffenen in Deutschland und dem Rest der Welt. Aber auch ich habe das Recht zu leiden und zu klagen.

Es war eine harte Zeit, eineinhalb Jahr lang keine Oper, kein Konzert und kein Museum besuchen zu dürfen, weil das fiese Virus auf seiner Welttournee keine Verschnaufpause einlegen wollte. Nun, im Sommer, hat es offenkundig den Spaß an der imperialen Menschenschinderei verloren. Dabei wissen wir alle: Die Was-weiß-ich-Variante wird demnächst in Deutschland zum Gastspiel erscheinen, damit Karl Lauterbach wieder mit der Ernsthaftigkeit eines hölzernen Nussknackers aus dem Erzgebirge im Frühstücksfernsehen sagen kann: Ich rate dringend dazu, die Was-weiß-ich-Variante ernst zu nehmen. Wir dürfen jetzt nicht die Erfolge verspielen, wie wir es bei der Variante K723782xxc92 getan haben, obwohl ich neulich im Frühstücksfernsehen dringend geraten hatte, K723782xxc92 ernst zu nehmen.

Danke, lieber Sommer!

Danke, lieber Sommer, du bist mein Held des Jahres! Gerade ist alles gut, die Erde lebt auf - und die Inder interessieren uns nicht, solange sie uns Arzneimittel liefern, wir gegen Ungarn unentschieden spielen, grillen und mit dem Jumbo nach Mallorca können. Auch ich habe mich dem unaufhaltsamen Siegeszug des Egoismus angeschlossen - wer will schon zu den Verlierern gehören? -, habe die Chance beim Schopfe gepackt und bin nach Italien gereist. Mit der Kutsche dauert es sehr lange, wie aus den Reisebeschreibungen Wolfgang Amadeus Mozarts hervorgeht, und für einen PR-finanzierten Törn mit Carbon-Segelboot um die iberische Halbinsel herum zur italienischen Küste bin ich nicht berühmt genug, einen Sponsor zu finden.

Also war ich gezwungen, mein Auto zu nehmen und dem Klima den Rest zu geben: Was glauben Sie, warum es so heiß ist? Das war ich, was mir ein schlechtes Gewissen bereitet. Was soll ich sagen? Ich bereue nichts. Man lebt nur einmal. Jedenfalls ist es herrlich, endlich wieder in Italien zu sein. Ich lese fast keine Nachrichten aus der Heimat und denke: Das hätte ich während der ganzen Pandemie tun sollen. Es macht das Dasein leichter. "Delta" bedeutet gerade nur die Überlegung, ob ich dem schönen Po-Delta auf der Rückfahrt einen Besuch abstatte und ins Meer springe oder nicht.

In Siena ist es sehr leer.

In Siena ist es sehr leer.

(Foto: Thomas Schmoll)

Ansonsten zieht es mich in die Städte und ihre Museen. Denn klar ist: So werde ich Italien nie wieder erleben, ein Deutscher unter Italienern, als wäre der Massentourismus noch nicht erfunden. Es ist skurril, im Hochsommer beinahe allein vor den berühmtesten Werken der Uffizien zu stehen, in Venedig abends ganz allein in einem Café zu sitzen und selbst die Piazza del Campo in Siena fast menschenleer zu erleben.

Die Besuchszeit des von Andrea Mantegna zwischen 1465 und 1474 geschaffenen Fresko im Herzogspalast von Mantua ist normalerweise auf fünf Minuten begrenzt. Ich durfte es eine halbe Stunde bewundern, ohne dass die Aufpasserinnen mich aufforderten, Leine zu ziehen. Das Bild zeigt übrigens auch eine Kleinwüchsige. Dass sie auf dem Bild verewigt ist, zeugt von Respekt, zumal die kleine Frau die einzige Dargestellte ist, die den Betrachter anschaut, was für ihre Wertschätzung spricht. Sie wurde jedenfalls nicht als Freak betrachtet.

Der Mohr im Palazzo Ducale.

Der Mohr im Palazzo Ducale.

(Foto: Thomas Schmoll)

Trotzdem gäbe es viel zu tun in Italien für politisch Hyperkorrekte, sobald die Denkmäler für Winston Churchill und andere Kolonialisten und Rassisten geschliffen und abgerissen worden und alle Mohrenstraßen und -apotheken umbenannt sind. Auch im Palazzo Ducale von Mantua, wo über einem Türrahmen ein Mohr zu sehen ist, wie man sich damals halt einen Mohren vorstellte. Auf die Basilika San Petronio in Bologna wollten Islamisten schon einen Anschlag verüben, da ein 600 Jahre altes Fresko Mohammed zeigt, wie er in der Hölle von Dämonen gequält wird. Das ist für Muslime Blasphemie, weshalb einige fordern, den Teil zu übermalen. Eine ähnliche Debatte führen wir auch in Deutschland, wo in zahlreichen Kirchen, man denke nur an den Kölner Dom, die eine oder andere "Judensau" abgebildet ist.

Den Kriegstreiber könnte man übermalen

Ich hoffe, ich langweile Sie nicht. Wenn nicht, dann folgen Sie mir noch nach Siena ins Rathaus - genau, das Ding mit dem mächtigen Turm am Piazzo del Campo -, wo dem Söldnerführer Guidoriccio da Fogliano in Großformat gehuldigt wird, also einem Kriegstreiber. Könnte man übermalen, auch wenn es sich vermutlich um eines der ersten weltlichen Porträts und monumentalen Landschaftsgemälde der Menschheit handelt. Bewahren können wir die Allegorie "der Guten und der Schlechten Regierung", nur einen Raum weiter. Geschaffen hat sie Ambrogio Lorenzetti 1338 bis 1339. Das Fresko hat in seiner Aussage nichts an Aktualität verloren: Dort, wo gut regiert wird, geht es allen gut. Dort, wo mies regiert wird, geht es nur denen gut, die an der Macht sind. Vielleicht können die heilige Annalena und Armin der Lasche ja einmal gemeinsam hinpilgern und sich das Werk anschauen.

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Eine Reise durch Italien reicht und ich garantiere Ihnen, was Sie längst wissen: Nach Corona wird nichts besser. Es zeigt sich, wie sehr Länder wie Italien vom Tourismus abhängig sind. Die Besucher sind Segen und Fluch zugleich. Viele Italiener wissen das und machen sich einen Kopf darüber, wie die Zukunft aussehen könnte. Was sie nicht gebrauchen können, sind Belehrungen und Protestschreiben aus dem Ausland wie die gegen die Kreuzschifffahrt in Venedig, den Mick Jagger und andere Prominente unterschrieben haben, die nicht vom Tourismus leben wie die rund 50.000 Venezianer. Der Sänger der Rolling Stones ist sein Leben lang durch die Welt geflogen - ohne Rücksicht auf das Klima. Er hat im Gegensatz zu den Werftarbeitern Venedigs ausgesorgt. Da ist mir die Haltung Greta Thunbergs um einiges lieber, weil sie an der Stelle weder verlogen noch bigott ist.

Soll ich, der Sehr-Gutmensch, aussprechen, was ich immerzu denke, während ich in einem Café in Urbino sitze und schreibe? Ich danke dem fiesen Virus, dass es mir einmal im Leben Italien nur mit Italienern gezeigt hat. Ohne Massen in den Gassen und Funktionswäscheträger aus Schwaben, die nicht nach Italien können, weil ihr aufopferungsvoller Kampf gegen die Corona-Diktatur sie an Deutschland bindet. Wenigstens noch dieses Jahr. 2022 genießen sie wieder ihre grenzenlose Freiheit.

Quelle: ntv.de

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