
Alle sollen glücklich und zufrieden sein, das ist kaum zu schaffen.
(Foto: IMAGO/Westend61)
In die Vorfreude auf die Festtage mischt sich bei vielen die Sorge, dass es zwischen Bescherung und Gänsebraten zu Streit kommt. Das passt nicht zur Vorstellung von glücklichen Familien und glänzenden Kinderaugen. Aber wie kann man verhindern, dass es kracht und was macht man, wenn es trotzdem passiert?
Weihnachten, das Fest der Liebe, so ist das Klischee, das man nur allzu gern bedienen würde. Aber da sind eben auch der Stress, die hohen Erwartungen und vor allem andere Menschen, die einen herausfordern, besonders unterm Tannenbaum. Das Ergebnis: Die Weihnachtstage enden oft in unerwartet heftigen Konflikten, Streit und der Enttäuschung darüber, dass alles gar nicht so idyllisch ist wie in der Werbung.
Das ist inzwischen immer mehr Menschen bewusst. Vor dem Fest sind Psychologinnen und Mediatoren regelmäßig ausgebucht, um in Einzel- oder Gruppensitzungen dafür zu sorgen, dass man für die "schönste Zeit im Jahr" gewappnet ist. Denn schon das reine Zusammenkommen hat es in sich. Die wenigsten Familien begehen Weihnachten in der Konstellation, mit der sie im Alltag eingespielt sind. Stattdessen treffen erwachsene Kinder auf älter werdende Eltern, Paare auf die Herkunftsfamilie der oder des anderen und überhaupt alle aufeinander.
Da hilft es schon, die rosarote Brille abzusetzen und nicht zu erwarten, dass das alles in perfekter Harmonie über die Bühne geht. "Eine Familie ist nie konfliktfrei", sagt Diplom-Psychologin und Mediatorin Katrin Buchs im Gespräch mit ntv.de. "Warum sollte das ausgerechnet zu Weihnachten so sein?"
Aus Sicht der Expertin liegt das vor allem an den gesellschaftlichen Erwartungen. "Mehr als Ostern und sämtliche Feiertage des Jahres zusammen hat Weihnachten das Harmonie-Etikett." Hinzu kommen Erinnerungen, wie Weihnachten als Kind war, die häufig verklärt sind. "Daher stammt der Glaube, dass alles immer ganz toll war, und daraus entsteht die Idee, das muss ich jetzt wieder so haben oder selbst so gestalten."
Planung und Erwartungsmanagement
Eine Studie zeigte 2015, dass das Wohlbefinden der Menschen um die Weihnachtszeit herum sinkt. Vor allem dann, wenn viel Geld für Geschenke ausgegeben wurde und der Konsum im Mittelpunkt steht. Schon in den 1950er Jahren wurden Stresslevel bei bestimmten Ereignissen gemessen, Spitzenreiter war die Situation nach dem Tod eines Angehörigen, gefolgt von Weihnachten und Hochzeiten.
Um Stress zu reduzieren, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Neben Realismus hilft auch Planung und vor allem das Teilen von Verantwortlichkeiten. Wer ist wann bei wem? Was gibt es zu essen? Wer sorgt für die Vorspeise, wer für den Hauptgang und wer für das Dessert? Bringt jemand eine gebügelte Tischdecke mit? Muss die Tischdecke überhaupt gebügelt sein? Wann ist die Bescherung, Christmette, ja oder nein? Denn so schön Rituale sind, nichts ist so beständig wie die Veränderung. Auch darüber kann und sollte man vorher sprechen. Möglicherweise hält man an zeitraubenden und stressigen Tagesordnungspunkten fest, die die meisten längst loslassen möchten.
Es helfe, sich zu fragen, was einem an Weihnachten wirklich wichtig ist, betont Psychologin Buchs. Die nächste Frage könne dann sein: Worauf könnte ich verzichten? "Wir sollten uns darauf besinnen, was das Anliegen hinter bestimmten Erwartungen ist. Warum möchte ich diese Dinge? Eigentlich geht es doch darum, gemeinsam eine schöne Zeit zu haben." Dafür seien eine blitzblanke Küche oder eine gebügelte Tischdecke nicht entscheidend, so Buchs.
Alte Muster durchbrechen
Ein wichtiger Stressfaktor ist das enge Beieinandersein. Das ganze Jahr über sieht man sich eher selten, dann kommen zu Weihnachten alle zusammen und sind sich näher als sonst. Bei vielen gibt es ein Aufeinandertreffen der Generationen. "Die Kinder haben sich weiterentwickelt, die Eltern auch, aber wenn sie sich treffen, werden die alten Verhaltensmuster fast automatisch aktiviert. Da herauszukommen, erfordert Anstrengung", betont die Psychologin. Auch hier ist die einzige wirkliche Hilfe, miteinander ins Gespräch zu kommen. Viele Familien öffnen ihr Weihnachtsfest auch für Freunde und Nichtfamilienmitglieder. Das hat häufig den Effekt, dass sich die Familiendynamik etwas abschwächt, auch weil man sich vor Außenstehenden nicht bloßstellen will.
Trotzdem lässt sich nicht jeder Konflikt vermeiden. Dann muss Weihnachten auch nicht gleich vermasselt sein. "Man kann sich fragen: Ist das ein Konflikt, der gerade lösbar ist? Gibt es etwas, worüber wir sprechen können?", rät Katrin Buchs für diesen Fall. Manchmal hilft es dann, genauer hinzuschauen. Wenn jemand dem anderen vorwirft, er oder sie melde sich nie, könnte dahinter beispielsweise der Wunsch nach mehr Kontakt stecken, erläutert die Psychologin. Gut sei es, wenn sich alle vornehmen, wohlwollend und wertschätzend miteinander umzugehen.
Gerade, wenn man mehrere Tage zusammen ist, sollte man sich Ruhezeiten gönnen, sich auch mal rausnehmen, beispielsweise einen Spaziergang oder Mittagsschlaf machen. Paare könnten auch getrennt übernachten. Humor und Vermeidung aktuell nicht lösbarer Themen helfen durchaus weiter.
Nicht alles runterschlucken
Oft entzünden sich die Auseinandersetzungen aber an Konflikten, die immer wieder auf den Tisch kommen. Manchmal könne man etwas stehen lassen, auch im positiven Sinn, vielleicht wenn es um einen alten Verwandten geht, dem man keinen Streit mehr zumuten möchte, meint Buchs. "Wenn ich aber weiß, ich ärgere mich danach noch wochenlang, dann ist es besser, Position zu beziehen. Man muss den anderen nicht verändern, aber seine Meinung sagen." Dabei helfen alle Techniken von gewaltfreier Kommunikation, Ich-Botschaften, das Äußern von Gefühlen und die Bitte um ein bestimmtes Handeln. "Man kann auch einfach sagen: Bei dem Thema waren wir uns noch nie einig und ich fürchte, wir streiten uns auch heute. Vielleicht können wir da ein anderes Mal drüber sprechen."
Andererseits ist es auch nicht sinnvoll, wenn man schon vom Schlimmsten ausgeht. Wenn man wirklich jedes Jahr Streit und massive Konflikte erlebt, sollte man dringend mit anderen Menschen feiern. "Wir dürfen uns auch die Überlegung erlauben: Muss ich denn überhaupt Weihnachten mit der Familie feiern?", spricht Buchs aus, was sich viele kaum zu denken trauen. Wenn man aber genau weiß, dass es jedes Jahr die gleichen Konflikte gibt, lohne es sich, diese Frage zu stellen. Und auch dann kommt man um die Auseinandersetzung nicht herum. Was wäre die Konsequenz? Ist dann jemand enttäuscht, werde ich enterbt? Was würde das bedeuten? Wäre ich dann einsam und was könnte ich stattdessen tun?
Besser als das schreckliche Gefühl, dass einem vor den Feiertagen graust und man hofft, dass sie schnell vorübergehen, ist das allemal. Schöne Weihnachtstage, wie viele sie sich gegenseitig wünschen, sind vermutlich die, an denen die Freude am Zusammensein die immer wieder auftretenden Spannungen überwiegt. Oder wie Katrin Buchs meint: "Der Schaden entsteht, wenn wir alles runterschlucken, wenn wir nicht akzeptieren, dass wir Grenzen haben. Wenn wir respektieren, dass wir alle menschliche Bedürfnisse haben, wird es in uns und um uns deutlich friedlicher."
Quelle: ntv.de