Leben

Eine für alle Wenn Olaf es wie Sanna macht ...

Wie oft kann und muss sich Sanna Marin noch entschuldigen? Das hängt wohl auch ein bisschen von ihr selbst ab.

Wie oft kann und muss sich Sanna Marin noch entschuldigen? Das hängt wohl auch ein bisschen von ihr selbst ab.

(Foto: AP)

Die Kolumnistin fragt sich, was passieren würde, wenn ihre Party-Fotos veröffentlicht werden würden. Sofern sie das nicht selbst tut. Gut, es interessiert keinen. Aber trotzdem: Wenn man junge Regierungschefin ist, dann darf man nicht feiern? Und was, wenn Olaf Scholz Freunde ins Kanzleramt einladen würde, was würde dann Wildes geschehen?

Die finnische Regierungschefin Sanna Marin feiert gern - in China fällt ein Sack Reis um. Unser Friedrich Merz fliegt im Privatjet selbst zu 'ner Hochzeit - könnte einem am Allerwertesten vorbeigehen. Silvio Berlusconi macht mit über 80 wahrscheinlich immer noch Bunga-Bunga - wo ist der Bus mit Leuten, die es interessiert? Hier? Dann sind Sie richtig, denn wir können uns nun gemeinsam überlegen, was zu einem echten Skandal taugt und was nicht.

Sanna Marin, hach - die junge finnische Regierungschefin ist für ihr Party-Leben bekannt. Überhaupt, diese Nordlichter, auch der Prinz aller Norweger, Haakon, hatte sich 1999 eine Party-Prinzessin geangelt, sie sogar mit bereits geborenem Kind "genommen", hui, Skandälchen. Inzwischen sind Mette-Marits ehemalige Eskapaden genauso vergessen wie Franz Josef Strauß' Ausflüge auf den Strich des New Yorker Central Park, aber Schwamm drüber, so ein gestandenes Mannsbild durfte auf einer Auslandsreise schließlich mal ein bisschen Dampf ablassen, ohne dass dabei gleich fotografiert wurde. Oder es einer seiner - mitreisenden - Kumpels ins Netz gestellt hätte. Fun-Fact: Es gab noch gar kein Netz. Aber einen doppelten Boden. Denn damals handelten die Willys, die Helmuts und die Joschkas schließlich alle nach dem Prinzip: Viel Weib, viel Ehr. Wenn man heute mal ein bisschen über Durchschnitt feiert, muss man sich gleich entschuldigen, mehrmals, und heulen. Weil man was falsch gemacht hat? Wie weit sind wir eigentlich gekommen? "Mer muss auch gönne könne" - ich weiß gar nicht, wie oft ich dieses Zitat schon gebraucht habe.

"Man" sollte sich vielleicht auch mal entscheiden, was "man" nun will: Will man nahbare Politiker wie "du und ich", will man Gottgleiche, will man Vorbilder oder will man Menschen? Wenn jemand, wie der in anderem Zusammenhang bereits erwähnte Friedrich Merz, auf der Sommer-Party seiner Partei endlich mal aus sich herausgeht und ein flottes Tänzchen wagt, dann kann er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, am nächsten Tag in der einschlägigen Presse lächerlich gemacht - mindestens durch den Kakao gezogen - zu werden. Oder, als unsere ehemalige Kanzlerin mal ein bisschen tiefer blicken ließ, da war die Aufregung ebenfalls groß, aber hallo ….

Zurück zu Sanna: Die hatte auch schon ein zu tiefes Dekolletee, zu wilde Leder-Klamotten an, zu glücklich auf einem Festival geschaut, ausgelassen mit Freunden gefeiert und getanzt, mit einer Influencerin gekuschelt, einen Fußballer-Mann … Moment, Fußballer-Mann ist ok, aber was war noch? Ach ja, wieder gefeiert, aber dieses Mal angeblich mit Koks im Hintergrund, und bis dahin muss man wirklich sagen: Alles machbar. Oder wissen Sie immer, was hinter Ihrem Rücken geschieht? Die Frage, ob "man" "in diesen Zeiten" tanzen oder sich amüsieren darf, kam auf. Ich finde, man darf. Man muss! In den schlimmsten Zeiten wurde gefeiert.

So ist's brav!

So ist's brav!

(Foto: IMAGO/Pixsell)

Die schrillsten Partys veranstaltet schließlich die Not, und zwar, um zu vergessen. Um "es" auszuhalten. Wir lieben TV-Serien, die von den wilden Zwanziger- Jahren oder den verrückten Seventies handeln, aber jetzt? Feiern verboten? Die Frage, ob das vorbildlich oder pietätvoll ist, kann man ja von Fall zu Fall stellen.

Darf man überhaupt noch gut gelaunt sein?

Ich kann feiern, und trotzdem am nächsten Tag arbeiten (für Männer ist das übrigens eine Art Ritterschlag, bei Frauen klingt da immer was Schlampiges mit durch, aber sei's drum). Ich kann auch mal was trinken, und bin trotzdem kein schlechter Mensch. Ich tanze mit anderen Männern und umarme Freundinnen (und umgekehrt) - doll, eng, lachend, ins Ohr flüsternd. Es gibt Fotos davon. Gut, die interessieren keinen, aber sollte eine Mittdreißigerin nicht mal auf den Putz hauen dürfen? Wäre es besser, wenn sie, wo alle anderen um sie herum eben auch feiern, auf alles verzichtet? Solange sie am nächsten Morgen keine Operation am offenen Herzen durchführen muss - und das Land und seine Grenzen sicher sind - soll eine Regierungschefin doch bitte Spaß haben.

Blöd wird es, wenn Vorschriften verletzt werden, siehe Boris Johnsons Partys in den härtesten Corona-Zeiten. Oder jemand verletzt wird. Oder der dritte Weltkrieg während einer Party ausbricht und die Ministerpräsidentin dann nur noch lallen kann, dass ab sofort zurückgeschossen wird. Ehrlich gemeint, Spaß beiseite: Wenn man seinen Pflichten nicht mehr nachkommen kann, dann wird's blöd. Marin allerdings beteuerte, dass sie jederzeit einsatzbereit war. Was den Leuten aufstößt, ist sicher ein bisschen Neid - auf ihre Jugend, ihre Schönheit, ihre Unbekümmertheit, sich Dinge (heraus) zu nehmen, die andere sich nicht trauen. Die andere Frauen sich nicht trauen. Ist es also eine Debatte darüber, dass wir es Männern eher durchgehen lassen, wenn sie feiern? Ich denke gerade an Gerhard Schröder (was ich nicht mehr so oft wie früher tue, weil es so viel ärgerlicher geworden ist, an ihn zu denken) der nonchalant jemanden bat: "Hol mir mal 'ne Flasche Bier. Sonst streik' ich hier!"

Unvorstellbar heute! Stellen Sie sich mal vor, wie alle gucken würden, wenn Annalena Baerbock sagen würde: "Hol' mir ma' 'n Gläschen Prosetscho!" Ein Aufschrei würde durch die Republik gehen! Von: "Die kann doch selber gehen" über: "Ist das nicht eine Mutter" und: "Muss die jeden gleich duzen, bloß weil sie 'ne Grüne ist" bis zu: "Dekadentes Gesöff" oder: "Saufen bei der Arbeit, das hamwa gerne" wäre die Bandbreite sicher schier unendlich. Aus Gerhards Spruch hat Stefan Raab damals sogar noch einen Song gemacht!

Wem würdest du deinen Schlüssel geben?

Die Sanna hat den Bogen nun also überspannt, als sie ihren FreundInnen den Schlüssel für ihre offizielle Residenz Kesäranta in Helsinki inklusive Sauna (crazy, diese Finnen!!!) dagelassen hatte, während sie selbst (schon wieder?) auf einem Festival war. Klüger wäre es gewesen, wenn Sanna dabei gewesen wäre in der Residenz-Sauna. Denn, dass zwei Damen der Party-Crowd dort ihre Shirts hochzogen und ihre Nackidei-Bilder aus dem hohen Haus posten mussten, hätte die ansonsten so tatkräftige Sanna Marin dann vielleicht verhindern können.

Normalerweise beide sehr seriös im Auftreten: Sanna Marin und Olaf Scholz.

Normalerweise beide sehr seriös im Auftreten: Sanna Marin und Olaf Scholz.

(Foto: IMAGO/Chris Emil Janßen)

Zum Schluss brauchen Sie noch etwas Fantasie, und zwar bei der Vorstellung, wie Olaf Scholz seinen Freunden (ich wurde gefragt: "Hat er denn welche?") den Schlüssel fürs Kanzler-Amt übergibt, während er vielleicht, sagen wir mal, bei einem Reinhard-Mey-Konzert ist. Und wie sich seine Freunde dann da inszenieren würden: Schröder-Witze erzählend und Scharping-Anekdoten, Radler trinkend im Kurzarm-Hemd. Instagram? Eher nicht.

Und das muss die Sanna vielleicht noch lernen: Ein Gespür dafür zu entwickeln, wie weit man gehen kann. Sie muss ihren Freunden auf jeden Fall verbieten, Fotos zu posten. Vielleicht sogar, überhaupt Fotos zu machen. Und vielleicht nochmal darüber nachdenken, ob das wirklich Freunde sind, denn was will man mit einem Foto aus dem Amtssitz der finnischen Regierungschefin schon erreichen als Influencerin? Aufmerksamkeit? Richtig! Und die kann Sanna Marin sich nun echt besser und geschickter selbst verschaffen. Auch ohne zu heulen!

Schönes Wochenende und passen Sie auf, wer Sie wo, wie und mit wem fotografiert!

(Dieser Artikel wurde am Samstag, 27. August 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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