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Antwort auf Moskaus Provokation Darum brauchen die Europäer die Ukraine für ihren Drohnenwall

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"Im Moment zählen Abfangjäger zu unseren Top-Produkten. Das sind Drohnen, die andere Drohnen zerstören", sagt Lomikovskyi.

"Im Moment zählen Abfangjäger zu unseren Top-Produkten. Das sind Drohnen, die andere Drohnen zerstören", sagt Lomikovskyi.

(Foto: picture alliance/dpa/ukrin)

Die Ukraine wehrt russische Drohnenschwärme durch raffinierte Technik ab. Ihr System heißt "Himmelsfestung". Es erkennt feindliche Flugobjekte unter anderem durch akustische Signale. Auf das ukrainische Know-how sind die Europäer für den Aufbau ihres Drohnenwalls angewiesen.

Wladimir Putin findet immer neue Wege, Europa zu provozieren. Seit Wochen lässt der russische Präsident Drohnen in den Nato-Luftraum eindringen - ob am Himmel über Dänemark, Polen oder Deutschland. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verspricht Schutz durch den Aufbau eines "Drohnenwalls", der zuerst an der Nato-Ostflanke entstehen soll. Doch wie macht man so etwas? Das müssen die Europäer von einem Land lernen, das täglich Hunderte russische Drohnen abfängt: der Ukraine.

Aus der Not heraus musste die Ukraine kreativ werden. Seit Beginn der russischen Invasion baute sie eine eigene Drohnenindustrie auf. Auch sie musste damals fast bei null anfangen. Vor dem Angriffskrieg war die Rüstungsindustrie beinahe vollständig in staatlichem Besitz. Es gab wenig Innovation und kaum Anreize für private Investitionen. Genau das braucht die Ukraine aber im Krieg gegen Russland: neue Technik und Geld. Inzwischen ist der ukrainische Rüstungsmarkt zu einem Drittel privatisiert, viele Startups florieren. Mittlerweile beteiligen sich mehr als 800 Unternehmen an dem milliardenschweren Markt für Verteidigungstechnologie.

In Brüssel ist man sich einig: Ohne die Ukraine wird das nichts mit dem Drohnenwall. Sie ist technisch meilenweit voraus. Allein das Erkennen einer Drohne wird schnell zum Problem. "Für die Ortung sind die Radarsysteme der alten Luftverteidigung nicht geeignet, weil die Drohnen nicht viel größer sind als zwei Holzstöckchen mit einer Pappschachtel darauf. Sie sind zu klein, um sie auf den Bildschirmen zu erkennen", sagt Riho Terras, estnischer Ex-General und EVP-Abgeordneter im EU-Verteidigungsausschuss, gegenüber ntv.de.

"Himmelsfestung" aus Sensoren und Flugabwehrtrupps

Hinzu kommt ein anderes Problem: Ein Drohnenwall an der Ostflanke werde nicht ausreichen, so Terras' Überzeugung. Er fordert ein Netzwerk mit Sensoren, das sich in der gesamten EU über eine möglichst große Fläche aufspannt. Dazu sei ein kompliziertes Zusammenspiel nötig aus verschiedenen Technologien wie KI und Radiowellen.

All das hat die Ukraine bereits entwickelt. "Sky Fortress", zu Deutsch "Himmelsfestung", nennt sie ihr Drohnenabwehrsystem - ein Netzwerk aus kostengünstigen Sensoren und mobilen Flugabwehrtrupps. Die "Himmelsfestung" umfasst verschiedene Ebenen, um Drohnen zu erkennen. "Wir verwenden akustische Erkennungssysteme, wir verwenden visuelle Erkennungssysteme. Und natürlich verwenden wir Radare, die Radiowellen aussenden, um Objekte zu orten", sagt Yurii Lomikovskyi im Gespräch mit ntv.de und weiteren europäischen Medien in Lwiw. Lomikovskyi ist Mitbegründer von Iron, einem Netzwerk von Rüstungsfirmen.

Wie eine Drohne nach der Ortung abgeschossen wird, muss von Fall zu Fall entschieden werden. "Im Moment zählen Abfangjäger zu unseren Top-Produkten. Das sind Drohnen, die andere Drohnen zerstören", sagt Lomikovskyi. Dabei werde vor allem auf Kosteneffizienz geachtet. Der Einsatz von Abfangdrohnen ist relativ billig. "Wir verwenden keine F16-Kampfjets, die Polen vor einigen Wochen zur Abwehr der russischen Drohnen einsetzte. Das können wir uns nicht erlauben, weil es zu teuer ist", so Lomikovskyi. Auch der Abschuss durch Patriot-Abwehrsystemen sei nicht günstig genug. Der Einsatz der F16 in Polen habe den Ukrainern vor Augen geführt, wie weit die Europäer "entfernt sind von dem Verständnis, wie man Russland bekämpft". Deshalb seien die Finanzhilfen für die Ukraine auch eine Investition in Innovationen, von denen die Europäer selbst profitieren können und "keine bloße Spende".

Alle paar Monate werden neue Drohnen entwickelt

Von den Plänen der EU, erst 2027 ein Anti-Drohnen-System für alle EU-Mitgliedstaaten zur Verfügung zu stellen, hält Lomikovskyi nichts. "Was auch immer wir jetzt entwickeln, es wird Ende 2026 keine Rolle mehr spielen", sagt er. Die Technik entwickelt sich rasant. Der Innovationszyklus in der Ukraine liegt zwischen drei und sechs Monaten. Russland ist zwar weniger innovativ, lernt aber schnell dazu - und hat das Geld, mehr zu produzieren.

Lomikovskyi wünscht sich mehr europäische Investitionen in die ukrainische Verteidigungsindustrie. Zwar bauen etwa deutsche Rüstungskonzerne wie Rheinmetall und Quantum Systems in Produktionsstätten vor Ort - aber es bleibt noch viel Luft nach oben. Die Zusammenarbeit mit europäischen Firmen wird durch strenge Regeln der ukrainischen Regierung erschwert: Nicht nur der Export von Rüstungsgütern ist verboten, sondern auch der Technologietransfer mit ausländischen Unternehmen. Joint Ventures sind somit nicht möglich.

Brüssel und Kiew suchen nach Lösungen, um die gemeinsame Drohnenproduktion dennoch anzukurbeln. "Es gibt Gespräche mit der Ukraine, um in eine Lizenzproduktion zu gehen. Dabei würden die Ukrainer den Europäern verraten, welche Waffen an der Front besonders nützlich sind und ihnen Lizenzen vergeben, um sie nachzubauen - oder man kauft direkt von den Ukrainern", sagt Hannah Neumann, die für die Grünen im EU-Verteidigungsausschuss sitzt, ntv.de.

Strack-Zimmermann warnt vor weiteren hybriden Attacken

Eins zu eins lässt sich die "Himmelsfestung" der Ukrainer aber nicht auf die EU-Mitgliedstaaten übertragen. Die Anforderungen für ein europäisches Drohnenabwehrsystem sind höher, da es in einem offenen Luftraum funktionieren muss. Der Luftraum über der Ukraine ist hingegen geschlossen - deshalb können alle unbekannte Luftobjekte ohne Unterschied vom Himmel geholt werden. "In Europa gibt es vor jedem Abschuss eine intensive Prüfung, weil ansonsten zivile Flugobjekte wie etwa Sportflugzeuge versehentlich getroffen werden können", so Neumann.

Wie auch immer sie ihren Drohnenwall gestalten wollen - viel mehr Zeit sollten sich die Europäer nicht lassen. "Je schwieriger die militärische Lage für Russland ist, weil die Ukrainer weiterkämpfen und vom Westen mit entsprechenden Waffen versorgt werden, umso mehr wird sich Putin auf hybride Angriffe konzentrieren", sagt FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die den Verteidigungsausschuss des EU-Parlaments leitet, ntv.de. Putin wolle die Menschen in der EU damit gezielt verängstigen.

Ein Indiz dafür: Die Drohnen, die in den dänischen Luftraum eindrangen, flogen mit Licht. Normalerweise versuchen Drohnen, im Dunkeln und damit unter dem Radar zu bleiben. "Wenn eine Drohne so hoch mit Licht fliegt, will man, dass sie gesehen wird, um den Menschen Angst zu machen. Deswegen ist es höchste Zeit, dass die EU entschieden reagiert", so Strack-Zimmermann.

Die Reise nach Lwiw erfolgte auf Einladung der Nichtregierungsorganisation Your City Media Hub/Untold Stories from Ukraine mit Sitz in Lwiw.

Quelle: ntv.de

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