Politik

Debatte der EU-Spitzenkandidaten Für die einen ist Putin Verbrecher, für die anderen Handelspartner

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Die Spitzenkandidaten für die Europawahl haben zu Putins Politik teilweise gegensätzliche Ansichten.

Die Spitzenkandidaten für die Europawahl haben zu Putins Politik teilweise gegensätzliche Ansichten.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Die Spitzenkandidaten für die Europawahl sind sich in ihrer TV-Debatte beim Vorgehen gegen Russland uneinig. Deutlich wird das bei der Einschätzung von Präsident Putin. Auch die Fragen der Klimapolitik erhitzen die Gemüter - besonders beim Stichwort Verbrenner-Verbot.

Eine Runde Glückskekse, informative Einspieler und gleich zu Beginn ein paar Witze der Kunstfigur Gernot Hassknecht: "Der große Kandidatencheck" vor der Europawahl im ZDF gibt sich am Donnerstagabend sichtlich Mühe, die komplexe EU-Politik appetitlich zu verkaufen. Das ist größtenteils gelungen, auch dank der Themenauswahl für die Diskussionsrunden: Außenpolitik, Migrationspakt, Green Deal. Das Spannendste sind die Fragen zur Ukraine-Politik am Anfang. Alle Kandidaten sind sich einig: Sie wollen für Frieden in Europa sorgen - Russlands Angriffskrieg in der Ukraine soll aufhören. Bei der Frage nach dem Wie gehen die Meinungen jedoch weit auseinander.

Die Debatte dreht sich vor allem darum, ob und inwiefern Friedensgespräche stattfinden sollten. FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat dazu eine klare Meinung: Normale Menschen könnten nicht mit Putin verhandeln, weil mit ihm ein "Verbrecher am Tisch sitzt, der die Ukraine von der Landkarte streichen will". Wenig überraschend bemüht sich René Aust, der auf Platz drei der AfD-Kandidatenliste für die Europawahl steht, besonders russlandfreundlich aufzutreten. Für ihn besteht die Aufgabe der EU darin, "Handelsbeziehungen" mit Putin aufzubauen, um den Krieg zu beenden. Auf die Rückfrage, ob ihm der völkerrechtswidrige Angriff Moskaus egal sei, antwortet Aust ausweichend.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah gerade wegen Vorwürfen der Einflussnahme aus Russland an diesem Abend nicht mitdiskutieren darf. Erst am Mittwoch durchsuchten Ermittler die Büros von Krahs Ex-Mitarbeiter Guillaume P. in Brüssel und Straßburg sowie an seinem privaten Wohnsitz in Brüssel. Die belgische Staatsanwaltschaft teilte mit, die Ermittlungen stünden in einem Zusammenhang mit dem russischen Propaganda-Netzwerk um die Webseite "Voice of Europe".

Weber: "Putin wird nicht stoppen"

Über das Internetportal mit Sitz in Prag soll nach Berichten des "Spiegel" und der tschechischen Zeitung "Denik N" Geld für prorussische Äußerungen an europäische Politiker geflossen sein. Aufgrund seiner Spionageverstrickungen und unangebrachten Äußerungen über die SS erteilte die AfD-Parteispitze Krah ein Auftrittsverbot. Auch gegen den Listen-Zweiten Petr Bystron laufen Ermittlungen wegen des Verdachts, er habe russische Gelder angenommen. Ihn wollte die AfD wohl auch nicht ins TV-Studio schicken.

Auf dem Wahlzettel steht am 9. Juni noch eine Partei, die Russland eher zugewandt ist: das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Sie schickt als Spitzenkandidaten Fabio De Masi ins Rennen. De Masi urteilt im Gegensatz zu Aust, Russlands Invasion in die Ukraine sei "ein ganz klares Verbrechen" - um gleich darauf zu relativieren: Es gebe "eine Vorgeschichte". De Masi verweist auf 17 Jahre alte Äußerungen des CIA-Direktors William Joseph Burns, der früher US-Botschafter in Russland war. Burns habe damals gewarnt, es sei ein Fehler gewesen, die NATO zu erweitern und somit näher an Russlands Grenzen zu schieben. Dies habe Moskau provoziert. Und De Masi hat eine weitere Relativierung im Gepäck: Nicht nur Russland, auch die NATO habe schon völkerrechtswidrige Angriffe gestartet.

Die meisten anderen Kandidaten haben eine andere Sicht auf die Lage. Manfred Weber, CSU-Spitzenkandidat und Vorsitzender der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, pocht auf eine Stärkung der NATO. Besonders auf die Verteidigungsfähigkeit der EU legt er Wert. Die Mitgliedstaaten müssten endlich zusammenfinden, um eine "Verteidigungsunion" aufzubauen, fordert Weber. Die russische Aggression entlang der Grenze zu den baltischen Staaten bereitet ihm Sorgen. "Putin wird nicht stoppen", so Webers Überzeugung. Die EU müsse sich rüsten, falls Putin doch den Angriff auf europäisches NATO-Gebiet wagt.

Union will Verbrenner-Verbot zurücknehmen

Unterbrochen werden die Diskussionen immer wieder von Einspielern mit Informationen zur EU, aber auch von Schnellfrage-Runden. Bei diesen Runden werden die Kandidaten einzeln aufgerufen, um in zwei Minuten auf möglichst viele Fragen zu antworten. Mancher Moment zum Schmunzeln ist dabei. Etwa als SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley gefragt wird, wer für sie der größte lebende Sozialdemokrat sei. Sie muss lange überlegen. Schließlich lacht sie. "Wir haben schon gedacht, dass Sie bei dieser Frage Zeit verlieren", sagt Moderator Mitri Sirin und lacht mit. Bundeskanzler Olaf Scholz will ihr als Antwort jedenfalls nicht über die Lippen kommen. Sie will eigentlich schon zur nächsten Frage übergehen, sagt dann aber doch, sie würde lieber eine Sozialdemokratin nennen und legt sich auf Manuela Schwesig fest.

Die Debatte über den EU-Migrationspakt hätte spannend werden können. Sie wird es aber nicht. Bei einer kurzen Frage-Runde im Publikum bringt ein junger Mann es auf den Punkt: Leider habe er zur Migrationspolitik wenig Neues von den Kandidaten erfahren. Er fügt an: "Bei der Asylfrage ist vor allem bei der AfD nicht so viel Überraschendes dabei."

Interessanter war da schon die Diskussion zum Green Deal. Die ehrgeizige Klima-Agenda wurde von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorangetrieben - bis ihre CDU sie dazu brachte, bei vielen Gesetzesvorhaben zurückzurudern. Für den Parteivorsitzenden Friedrich Merz haben wirtschaftliche Belange oberste Priorität. Im Wahlkampf stürzt die Union sich jetzt darauf, die Rücknahme des Verbrenner-Verbots zu fordern.

Für Reintke ist grüne Industrie "Wachstumstreiber der Zukunft"

Von der Leyen selbst nimmt nicht an der Diskussion teil, obwohl sie CDU-Spitzenkandidatin für die Kommissionspräsidentschaft ist. Eingeladen wurde an ihrer Stelle Daniel Caspary, der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament. Angesprochen auf die Bedeutung des Green Deals, ergeht auch Caspary sich in Relativierungen. Ja, der Green Deal sei schon wichtig, sagt er. Aber: "Vorgaben, Verbote, Einschränkungen müssen endlich aufhören", vor allem, wenn es um Verbrenner-Motoren gehe. Weber fügt hinzu: Von der Leyen sei zwar die Spitzenkandidatin der Union, "aber wir schlucken nicht alles, was uns vorgelegt wird". Auf den Einwand von Moderatorin Dunja Hayali, die Konservativen hätten dem Gesetz damals im Europaparlament doch zugestimmt, geht Weber nicht ein.

Die grüne Spitzenkandidatin Terry Reintke entgegnet Weber: "Ich kann nicht fassen, dass Sie Ihrer Kommissionspräsidentin so in den Rücken fallen." Die grüne Industrie und die Produktion von E-Autos seien die "Wachstumstreiber der Zukunft" in Europa. Allerdings hinke die Industrie hierzulande der Konkurrenz aus dem Ausland hinterher. Reintke sieht das Verbrenner-Verbot als Chance, den Wandel hin zu einer konkurrenzfähigen E-Auto-Herstellung in der EU voranzutreiben.

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Als AfD-Politiker Aust bei dem Thema zu Wort kommt, kochen die Emotionen noch einmal kurz hoch. Aust sieht in den Subventionen von grünen Technologien in Europa eine "Marktverzerrung". An den Klimawandel würden sich die Menschen schon irgendwie anpassen. Hier will Barley einhaken, wird aber sofort von Weber übertönt. Barley fragt Weber, ob sie auch mal zu Wort kommen dürfe. Doch Weber lässt sie nicht. Barley wirft die Hände in die Luft, rollt die Augen und sagt genervt: "Männer". Als Weber weiterredet, winkt Strack-Zimmermann ihm zu: "Hallo, Herr Weber?!" Schließlich wird Weber von Hayali gestoppt. Dann fragt Barley Aust, wie sich die Menschen denn bitte an Umweltkatastrophen wie die Überschwemmung des Ahrtals im Juli 2021 anpassen sollten. Aust leugnet daraufhin, dass der Klimawandel der Grund für die Flut war.

Am Ende der Sendung gibt es Glückskekse für die Kandidaten. Dann kommt noch einmal das Publikum im Studio zu Wort. "Demokratiefeindliche Parteien haben für mich im Europaparlament nichts zu suchen", sagt eine ältere Zuschauerin. Sie appelliert an die Politiker in der EU, nicht so viel über die Partikularinteressen der Mitgliedstaaten zu streiten: "Wir müssen uns alle ein bisschen zusammenraufen". Hayali lächelt sie an und sagt: "Bestes Schlusswort." Stimmt schon. Aber wie sollen die Politiker sich denn zusammenraufen, bei diesen gegensätzlichen Positionen?

Quelle: ntv.de

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