Biorhythmus und Ernährung "Es gibt unpassende Essenszeiten"
30.06.2024, 06:23 Uhr Artikel anhören
Menschen, die am Morgen schwer in die Gänge kommen, müssen nicht unbedingt frühstücken.
(Foto: imago stock&people)
Gegen 8 Uhr gibt es Frühstück, das Mittagessen steht um 12 Uhr auf dem Tisch und spätestens um 18 Uhr ist das Abendbrot fertig. So oder ähnlich könnten die Essenszeiten eines Menschen aussehen, der sich im Einklang mit seinem Biorhythmus ernährt. Doch für viele Menschen sollten andere Zeiten gelten. Warum, erklärt Frau Professor Annette Buyken im Gespräch mit ntv.de. Die Wissenschaftlerin war an einer aktuellen Untersuchung zu diesem Thema beteiligt.
ntv.de: Wie isst man gegen die "innere Uhr"?
Professorin Anette Buyken: Jede(r) von uns hat eine eigene "innere Uhr", von der es abhängt, wann wir schlafen, aber auch essen oder Sport treiben, wenn wir unseren Tag "frei" strukturieren können, zum Beispiel an freien Tagen. Wenn wir eigentlich gern spät aufstehen und dann aufgrund sozialer Rahmenbedingungen wie Universität, Schule oder Lehre früh aufstehen und früh frühstücken, dann tun wir das gegen unsere innere Uhr. Ebenso kann es bei sozialen Anlässen dazu kommen, dass Menschen, die gern früh schlafen gehen und folglich gern früh Abendbrot essen,"zu spät" essen. Auch dies wäre dann "Essen gegen die innere Uhr". Alle Menschen, die weder "Eule" noch "Lerche" sind, haben damit weniger Probleme, weil die Rahmenbedingungen gut zur eigenen inneren Uhr passen.
Was passiert, wenn man über einen längeren Zeitraum, also mehrere Monate oder sogar Jahre, gegen die innere Uhr isst?
Man geht davon aus, dass unsere "innere Uhr" aus dem Takt gerät. Durch Mahlzeiten zu den "unpassenden" Zeiten kommt es zu einer Desynchronisation zwischen dem zentralen Zeitgeber, der durch das Tageslicht beeinflusst ist, und den Zeitgebern in unseren peripheren Organen. Dadurch wird die zirkadiane Rhythmik, der ganz viele unserer Stoffwechselprozesse unterliegen, gestört und das begünstigt langfristig Erkrankungen wie Diabetes oder koronare Herzkrankheiten. (Mit zirkadianem Rhythmus wird die Fähigkeit eines Organismus bezeichnet, physiologische Vorgänge auf eine Periodenlänge von etwa 24 Stunden zu synchronisieren. Der wichtigste zirkadiane Rhythmus ist der Schlaf-Wach-Rhythmus. - Anm. d. Red.)
Wie haben Sie herausbekommen, welche/r Studienteilnehmer/in zu den frühesten Lerchen oder zu den spätesten Eulen gezählt wird?
In unserer Studie haben wir zunächst über 300 Studierende gebeten, einen Fragebogen zur Bestimmung des sogenannten "Chronotypen" (also der inneren Uhr) auszufüllen. Dieser Fragebogen - der MunichChronotyp Questionnaire (MCQT) - wurde schon in vielen Studien eingesetzt und validiert. Er fragt nach den Schlafzeiten unter der Woche und an freien Tagen und daraus lässt sich der Chronotyp errechnen. Zur Interventionsstudie haben wir dann die Studierenden mit den frühesten (Lerche) und spätesten (Eule) Chronotypen eingeladen. In den Tagen vor der Intervention haben die Teilnehmenden noch ein Accelerometer getragen. Damit konnten wir feststellen, wann sie am Wochenende - also an freien Tagen - tatsächlich schlafen und aufstehen.
Was bewirkt ein hoher Glukosespiegel und wieso sollte man solche Spitzen eher meiden?
Ein hoher Glukosespiegel verursacht sogenannten "oxidativen Stress", das heißt, es werden schädliche Sauerstoffverbindungen, sogenannte "reactive oxygen species" gebildet, die dann zu einer erhöhten Entzündungsantwort führen. Das schädigt langfristig die Gefäße und begünstigt eine sogenannte Insulinresistenz. Wird dies immer wieder verursacht, dann steigt das Risiko, einen Diabetes oder koronare Herzkrankheiten zu erleiden. Bei gesunden Menschen zieht ein hoher Glukosespiegel eine sehr schnelle Insulinantwort nach sich, das heißt, der Glukosespiegel ist nur kurz erhöht. Bei Menschen mit Insulinresistenz gelangt weniger Zucker aus dem Blut in die Körperzellen. Der Blutzuckerspiegel ist bei ihnen entsprechend länger erhöht.
Gab es bei Ihrer Untersuchung ein Ergebnis, das Sie so nicht erwartet hatten?
Wir wussten aus der Literatur, dass die Fähigkeit, Glukose zu verstoffwechseln, abends schlechter ist als morgens. Unsere Testmahlzeit, die morgens um 7 und abends um 20 Uhr verzehrt werden musste, war so ausgewählt, dass sie eine hohe Glukoseantwort auslösen sollte. Wir hatten erwartet, dass sowohl Eulen als auch Lerchen eine zirkadiane Rhythmik in der Glukoseantwort zeigen, dass also beide mit der Testmahlzeit morgens besser klarkommen würden als abends. Wir hatten vermutet, dass das abendliche Problem bei Lerchen dann noch größer ist als bei Eulen, weil sie - wie wir alle - abends insulinresistenter sind und die Mahlzeit gegen die innere Uhr - also zu spät - essen mussten. Wir waren dann überrascht, dass die Eulen keine zirkadiane Rhythmik zeigten: Eulen hatten morgens dieselbe Antwort wie abends und das, obwohl man morgens weniger insulinresistent ist. Für die Eulen war es also wirklich ein Problem, dass sie die Mahlzeit "zu früh", also gegen die innere Uhr verzehren mussten.
Wie genau könnten Eulen die "ungünstigen" Kohlenhydrate beim zu frühen Frühstück austauschen und ist es in diesem Fall nicht besser, das Frühstück dann ganz wegzulassen?
Die Frühstücksfrage wird kontrovers diskutiert und gar kein Frühstück zu verzehren, kann sich auch ungünstig auf die Glukoseregulation auswirken. Allerdings wissen wir aus der Literatur, dass vor allem Lerchen von einem Frühstück profitieren. Für Eulen ist es wahrscheinlich sinnvoll, später zu frühstücken, also ihr Frühstück wie ein zweites Frühstück einzunehmen zu einem Zeitpunkt, an dem sie an freien Tagen frühstücken würden. Müsli - vor allem mit kernigen Vollkornflocken - und Obst und Milchprodukte oder Milchersatzprodukte, gern ergänzt um ein paar Nüsse oder Samen, sind eine gute Alternative zu Weißbrot oder Laugenbrezel. Wer lieber Brot essen möchte, könnte zu Ganzkornbrot, also Vollkornbrot mit ganzen Körnern greifen.
Gibt es eine Idee oder einen allgemeinen Tipp, wie man den richtigen Zeitpunkt für die Aufnahme von Kohlenhydraten finden kann oder sollte man sie einfach ganz weglassen?
Ganz weglassen kann man Kohlenhydrate nicht, das macht man auch bei "low carb" nicht. Wichtig sind aus unserer Sicht zwei Dinge. Erstens: Augen auf beim Abendbrot: weil wir alle abends weniger gut mit Kohlenhydraten umgehen können, egal ob Eule, Lerche oder keines von beidem, sollte man abends große Portionen ungünstiger Kohlenhydrate vermeiden - also Pizza, Pommes, weißen Reis, Weißbrot und so weiter halbieren und mit Gemüse aufpeppen oder öfter zu Linsen- oder Kichererbsengerichten greifen. Zweitens: Für die Eulen unter uns: morgens ist leider auch keine gute Zeit für die ungünstigen Kohlenhydrate.
Mit Frau Professor Anette Buyken sprach Jana Zeh.
Quelle: ntv.de