Wärmepumpen im Großformat Expertinnen: Gewässer für klimaneutrale Fernwärme nutzen
01.12.2024, 07:47 Uhr Artikel anhören
Im dänischen Esbjerg: Hier werden 100.000 Menschen mithilfe einer großen Meerwasserpumpe mit Wärme versorgt.
(Foto: IMAGO/Lobeca)
In Dänemark steht die größte Wärmepumpe der Welt, in Deutschland sind solche Anlagen bisher nicht installiert. Dabei könnten sie ganze Stadtviertel mit klimaneutraler Fernwärme versorgen. Zwei Forscherinnen erklären im Gespräch, welche Gewässer sich dafür eignen und wo es Probleme gibt.
Der Gebäudesektor verursacht in Deutschland laut Umweltbundesamt etwa 30 Prozent der CO2-Emissionen. Wenn wir die enormen Treibhausgasemissionen, die durch das Heizen entstehen, senken wollen, müssen wir Wärmepumpen einsetzen - sie sind eine Schlüsseltechnologie bei der Energiewende. Viele Jahre wurden Wärmepumpen in erster Linie als eine Lösung für das Beheizen von Einfamilienhäusern betrachtet.
Groß-Wärmepumpen haben aber ein riesiges Potenzial, ganze Stadtviertel mit klimaneutraler Fernwärme zu versorgen. Andere Länder haben das längst erkannt. In Dänemark steht die größte Wärmepumpe der Welt. Eine Meerwasser-Pumpe in Esbjerg versorgt 100.000 Menschen mit klimaneutraler Energie, nach Inbetriebnahme wurde dort ein ganzes Kohlekraftwerk abgestellt. Auch Deutschland hat viele Möglichkeiten, Wärmepumpen an Seen, Flüssen und dem Meer zu bauen. Wo stehen wir da, welche Chancen bieten Oberflächengewässer und was gilt es zu beachten? Carolin Peters und Bärbel Koppe von der Hochschule Wismar forschen auf diesem Gebiet und beantworten die Fragen dazu.
Warum eignen sich große Oberflächengewässer für Wärmepumpen?
Carolin Peters: Große Oberflächengewässer stellen große Energiespeicher dar, denn Wasser besitzt eine sehr hohe Wärmekapazität, das ist die Fähigkeit, thermische Energie zu speichern. Oberflächengewässer nehmen die Wärmeenergie der Sonne auf, speichern sie und geben sie im Winter zeitversetzt wieder ab. Im Winter kühlen sie sich ab und geben die Kälte im Sommer ab. Deswegen ist es an Gewässern im Sommer immer kühler als in der Umgebung. Und die Temperaturen sind relativ konstant im Vergleich zur Umgebungsluft. Auch das macht sie interessant für Wärmepumpen.
Welche Gewässer eignen sich besonders, wo sind große Wärmepumpen sinnvoll?
Bärbel Koppe: Grundsätzlich ist jedes Gewässer nutzbar. Bei Seen hängt es von der Größe ab und der Frage, wie sich die Wassertemperatur im Winter verhält. Ein flacher See wie das Steinhuder Meer ist ungünstig. Der ist im Mittel nur anderthalb Meter tief und kühlt schnell durch im Winter. Auch flache, kalte Gebirgsbäche sind thermisch nicht nutzbar. Dagegen können Tagebaurestlöcher durchaus thermisch genutzt werden. So existiert bereits eine Studie zur Nutzung des Zwenkauer Sees bei Leipzig. Tagebaurestlöcher haben den Vorteil, dass sie sehr tief sind - bis zu 50 oder 60 Meter. Ein solcher See friert im Gegensatz zu einem flachen See nicht bis zum Grund durch. Süßwasser hat seine höchste Dichte bei 4 Grad Celsius. Aus diesem Grund weisen tiefe Seen auch in strengen Wintern 4 Grad warmes Wasser am Grund auf. Wegen der Schichtungsphänomene ist bei Stillwasserseen darauf zu achten, in welcher Tiefe das Wasser zur thermischen Nutzung entnommen und in welcher Tiefe es wieder rückgeführt wird. Im Fluss haben wir dagegen infolge der Strömung ein gleichmäßigeres Temperaturprofil über die Tiefe.
Peters: Und der zweite Punkt ist, dass Siedlungen in unmittelbarer Nähe vorhanden sein müssen. Ein See, der nur touristisch genutzt wird, macht dafür wenig Sinn. Sonst ist das Leitungssystem zu lang und aufwendig. Die Frage ist auch, wie weit müssen die Anlagen voneinander entfernt sein, damit sie sich nicht gegenseitig beeinflussen. Da gibt es zum Beispiel die 'Planungshilfe Wärme- und Kältenutzung aus dem Bodensee' des Amtes für Wasser und Energie aus St. Gallen. Dort werden einerseits bauliche Aspekte erläutert, andererseits auch Hinweise zu Fördermöglichkeit und anfallenden Gebühren gegeben.
Es gibt noch einen weiteren Vorteil, oder?
Koppe: Wir haben in der Ostsee den Effekt, dass diese sich im Zuge der Erderwärmung übermäßig schnell erwärmt. Im wärmeren Wasser können sich zum Beispiel Bakterien wie Vibrionen vermehren und somit ein Gesundheitsrisiko darstellen. Mit einer thermischen Nutzung der Ostsee könnte das Problem der Erwärmung vermindert werden. Im Winter könnte durch die Einleitung des kühleren Wassers die Temperatur heruntergesetzt werden, womit das Wasser im Sommer länger bräuchte, um wieder in die hohen Temperaturen zu kommen. Das ginge dann in die richtige Richtung. Lokal müssen wir das aber ökologisch genauer betrachten.
Welche Projekte sind in Deutschland geplant?
Koppe: Die Stadt Wismar prüft in den Planungen, ob sie die Wismarbucht als Wärmequelle für einen Stadtteil nutzt. Es geht um Wendorf, ein Stadtteil, der in DDR-Zeiten für Werftarbeiter gebaut wurde und heute der bevölkerungsreichste Stadtteil Wismars mit Plattenbauten unterschiedlicher Generationen direkt an der Wismarbucht ist. Die Mehrfamilienhäuser sind in der Hand mehrerer Wohnungsbaugenossenschaften und es besteht bereits ein Fernwärmenetz. Insofern bietet sich der Stadtteil Wendorf als Pilotgebiet zur Nutzung der thermischen Energie der Ostsee an.
Wie wichtig ist das Zusammenwirken mit Fernwärme?
Koppe: Da, wo ein Fernwärmenetz besteht, kann man das natürlich nutzen. Es geht ja um die Dekarbonisierung der Fernwärme. Hier bietet der Stadtteil Wismar-Wendorf wegen der Lage am Wasser und der damit einhergehenden kurzen Leitungswege sowie des bestehenden Fernwärmenetzes sehr gute Voraussetzungen.
Wo bestehen Gefahren und Unsicherheiten?
Peters: Wir müssen wissen, wie die Gewässer aufgebaut sind und welche Besonderheiten die aquatische Flora und Fauna über das gesamte Jahr aufweist, um festzulegen, wo wir das Wasser entnehmen und auch zurückführen. Hole ich es aus dem Oberflächenwasser oder aus den tieferen Schichten und in welche Schicht des Gewässers leite ich es wieder zurück? Das ist wichtig, denn die Entnahme und das Zuführen von temperaturverändertem Wasser hat ja einen Einfluss auf die Gewässer und stellt einen ökologischen Eingriff dar. Um das zu bestimmen, müssen wir Temperaturmessungen über einen gewissen Zeitraum und bis zum Gewässerboden durchführen und damit können dann Potenzialanalysen durchgeführt werden. Neben der Temperatur spielen aber auch weitere Punkte eine Rolle. Beispielsweise im Salzwasser, da benötige ich einen Korrosionsschutz. Und ich muss wissen, was ist an organischem Material im Wasser? Wie groß ist die Sedimentfracht? Das sind die Dinge, die beachtet werden müssen.
Eine Gefahr besteht auch, wenn das Wasser sehr kalt ist, dann kann es am Verdampfer der Wärmepumpe zu Vereisungen kommen. Da kann aber mit einem Zwischenkreislauf, der zwischen den Wärmepumpenkreislauf und den Wasserkreislauf geschaltet wird, gearbeitet werden. Dann besteht auch kein Problem mit einer Verschmutzung durch Muscheln oder Algen an der Wärmepumpe.
Worin liegen noch Probleme?
Koppe: In erster Linie in der Bürokratie: In Deutschland sind die Genehmigungsprozesse relativ kompliziert. Viele Gemeinden wissen nicht, wie sie die thermische Nutzung von Gewässern genehmigen sollen. Für die thermische Nutzung, also den Wärmeentzug, gibt es in Deutschland noch keine vernünftige Regelung. Es besteht eine große Verunsicherung aufseiten der Verwaltung. Da fehlt es an wissenschaftlicher Evidenz.
Peters: In Deutschland dauern Genehmigung und Bedarfsplanung meist mehr als fünf Jahre. Wenn wir kein Wärmenutzungsbeschleunigungsgesetz bekommen wie beim LNG, dann sind lange Planungszeiten sicher, und da gehen schnell einige Jahre ins Land. Dann müssen wir ein Jahr eine Umweltverträglichkeitsprüfung machen. Auch die Finanzierung muss ja stehen. Das sind sicherlich einige Jahre, die da verstreichen. Wir wollen aber natürlich auch nichts einbauen, was dem Gewässer schadet. Dennoch ist jetzt Eile geboten, denn die Stadtwerke müssen sich aktuell im Rahmen der Kommunalen Wärmeplanung überlegen, wie sie ihre Ziele bis 2030 erreichen.
Andere Länder sind uns also voraus?
Peters: In Dänemark steht die derzeit größte Meerwasserwärmepumpe der Welt. Dort wird in Esbjerg im Meer Energie für 100.000 Menschen erzeugt. Die elektrische Antriebsleistung kommt aus einem Windpark im Meer, der direkt daneben steht. Damit ist der benötigte Strom ökologisch und erneuerbar. Die Meerwasserpumpe hat zudem ein Backup-System, sie können mit Hackschnitzeln noch nachheizen, wenn die Energie nicht reicht. So wurde in Esbjerg dann sogar ein Kohlekraftwerk komplett vom Netz genommen.
Koppe: Wir können in Deutschland auf Erfahrungen zurückgreifen, die andere Länder gemacht haben. Es ist ziemlich erschreckend, wenn man es international betrachtet. Wir stehen in dieser Hinsicht nicht gut da, bei uns wurde alles auf fossile Energien gesetzt und das Thema der thermischen Nutzung von Gewässern wurde ausgegrenzt.
Mit Carolin Peters und Bärbel Koppe sprach Oliver Scheel.
Quelle: ntv.de