Kein "Erdzeitalter des Menschen" Gremium lehnt "Anthropozän" als Fachbegriff ab
07.03.2024, 14:28 Uhr Artikel anhören
Ein Objekt stellt in der Großen Landesausstellung Baden-Württemberg im Naturkundemuseum Schloss Rosenstein verschiedene Gesteinsschichten der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft dar. In seiner neuen Ausstellung setzt sich das Museum mit dem Anthropozän auseinander.
(Foto: picture alliance/dpa | Marijan Murat)
Der Vorschlag von Fachleuten, den Begriff Anthropozän offiziell als neue Epoche der Erdgeschichte auszurufen, wird nach einer Abstimmung eines zuständigen Fachgremiums überraschend abgewiesen. Die Begründung, warum der Begriff für das "Erdzeitalter des Menschen" abgelehnt wird, fehlt jedoch.
Die offizielle Anerkennung des Menschenzeitalters, des Anthropozäns, als neue Epoche der Erdgeschichte scheint erst einmal vom Tisch zu sein. Das zuständige Expertengremium, die sogenannte Subcommission on Quaternary Stratigraphy (SQS), hat gegen den Vorschlag gestimmt, wie der Experte Reinhold Leinfelder bestätigte. Er ist Mitglied der Arbeitsgruppe Anthropozän (AWG), die hinter dem Vorstoß steht, offiziell das Erdzeitalter des Menschen auszurufen.
Gründe für die Ablehnung seien ihm nicht bekannt, sagte Leinfelder. Zunächst hatten andere Medien über die Abstimmung berichtet. Die AWG äußerte wegen möglicher Verfahrensfehler Vorbehalte zur Gültigkeit des Ergebnisses, das laut "New York Times"(NYT) mit 12 zu 4 bei mehreren Enthaltungen und nicht abgegebenen Stimmen recht deutlich ausfiel.
Sedimentabfolge von 1950 als Vorlage
Grundsätzlich ist sich die Fachwelt weitgehend einig, dass der Mensch die Erde in vergleichsweise kurzer Zeit extrem verändert hat. Einige SQS-Experten taten sich laut NYT aber unter anderem mit dem von der AWG vorgeschlagenen relativ späten Startpunkt des Anthropozäns schwer. So schlugen Leinfelder und seine Kolleginnen und Kollegen ein Jahr um die Mitte des 20. Jahrhunderts vor. Als Referenz für den Start des sogenannten Anthropozäns sollte demnach eine Sedimentabfolge aus einem kleinen See in Kanada dienen. Konkret favorisierten die AWG-Forscher eine Sedimentlage aus dem Jahr 1950.
Den Beginn des Menschenzeitalters machen die Experten an sogenannten Geomarkern fest, allen voran radioaktiven Niederschlägen von Atomwaffen-Tests nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Plutonium-Isotope sind weltweit nachweisbar. Der Beginn der Industrialisierung hingegen, ein anderer denkbarer Start des Anthropozäns, ist in manchen Regionen kaum geologisch feststellbar, da sich diese Entwicklung zunächst auf bestimmte Teile der Welt wie Europa und die USA konzentrierte.
Trotz Kontroverse wird Begriff bereits verwendet
Geologen teilen die Erdgeschichte in verschiedene Zeitalter ein. Demnach leben wir derzeit im Holozän, das vor knapp 12.000 Jahren begann. Da die Menschheit aber zuletzt die Erde - unter anderem durch den Ausstoß von Treibhausgasen und die Zerstörung von Ökosystemen - massiv verändert hat, sehen Experten verschiedener Fachrichtungen das Zeitalter des Menschen angebrochen. Es gibt dazu aber durchaus kontroverse Diskussionen.
Der Begriff Anthropozän wird zwar bereits verwendet, um den immensen Einfluss der Menschheit auf die Erde zu betonen. Bislang ist die Epoche aber nicht nach geologischen Maßstäben definiert und offiziell anerkannt. Dazu wären mehrere Schritte notwendig. Zunächst hätte die SQS zustimmen müssen, danach die Internationale Kommission für Stratigraphie (ICS) und schließlich das Exekutivkomitee der International Union of Geological Sciences (IUGS).
Begriffseinführung durch Nobelpreisträger Crutzen
Eingeführt hatte den Begriff Anthropozän der niederländische Meteorologe Paul Crutzen. Der Nobelpreisträger und frühere Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz schlug den Begriff bei einer Konferenz im Jahr 2000 vor.
Die AWG äußerte sich in einer Mitteilung sehr zurückhaltend zum Ergebnis der SQS-Abstimmung. So seien die Ergebnisse ohne die Genehmigung des SQS-Vorsitzenden veröffentlicht worden. Es blieben zudem Fragen offen in Bezug auf die Gültigkeit der Abstimmung und deren Begleitumstände. Man stehe weiterhin voll hinter dem eigenen Vorschlag, teilte die AWG mit.
Quelle: ntv.de, Valentin Frimmer, dpa