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Zweitmeinung nicht per Gesetz "Jeder Patient soll selbst entscheiden"

Das Arzt-Patienten-Verhältnis sollte auf Vertrauen basieren.

Das Arzt-Patienten-Verhältnis sollte auf Vertrauen basieren.

(Foto: imago/McPHOTO)

Wer sich einer Operation unterziehen muss, bekommt ein flaues Gefühl. Patienten sind nicht immer sicher, ob der Eingriff wirklich sein muss. Die Zweitmeinung eines Facharztes könnte Abhilfe schaffen, darf aber nicht zur gesetzlichen Verordnung werden.

Wer sich einer Operation unterziehen muss, bekommt ein flaues Gefühl. Viele Patienten sind nicht immer sicher, ob der Eingriff wirklich sinnvoll ist und machen sich deshalb im Internet kundig - und sind noch unsicherer. Die Zweitmeinung eines Facharztes könnte Abhilfe schaffen, darf aber nicht zur gesetzlichen Verordnung werden. Was eine Zweitmeinung tatsächlich leisten kann, warum der Hinweis darauf keine Infragestellung der bereits gestellten Diagnose und warum die gesetzliche Verordnung für Patienten nicht sinnvoll ist, erklärt Dr. Thomas Wolfram, Sprecher der Geschäftsführung der Asklepios Kliniken Hamburg in einem Gespräch mit n-tv.de.

n-tv.de: Dr. Wolfram, in Ihrer Untersuchung haben Ärzte selbst angegeben, nur selten zu einer ärztlichen Zweitmeinung zu raten. Hat Sie das überrascht?

Nein. Es war ja so, dass neun von zehn Ärzten innerhalb von zwölf Monaten wenigstens einen Patienten auf die Einholung einer Zweitmeinung hingewiesen haben. Das spricht dafür, dass die Bereitschaft der Ärzte prinzipiell da ist und dass der Hinweis auf die Einholung einer Zweitmeinung keineswegs etwas mit der Infragestellung der gestellten Diagnose zu tun hat.

Der Hinweis auf eine Zweitmeinung zerstört also nicht das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten. Was bewirkt denn dieser Hinweis im besten Falle?

Ärzte selbst beklagen unnötige Operationen und rufen Patienten auf, vor dem Eingriff eine Zweitmeinung einzuholen.

Ärzte selbst beklagen unnötige Operationen und rufen Patienten auf, vor dem Eingriff eine Zweitmeinung einzuholen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Hinweis auf eine Zweitmeinung durch den behandelnden Arzt kann dem Patienten deutlich mehr Sicherheit und eben auch Mündigkeit im Entscheidungsprozess vermitteln. Unsere Erfahrungen zeigen, dass – von wenigen Ausnahmen abgesehen – dieser Hinweis das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten stärkt. Aber auch für den Arzt kann eine Zweitmeinung eine größere Sicherheit bringen. Dennoch sollte jeder Patient selbst entscheiden können, ob er sich eine Zweitmeinung einholt oder nicht.

Patienten, die über gesetzliche Krankenkassen versichert sind, haben ja bereits ein Recht, beispielsweise vor einer geplanten Operation, eine Zweitmeinung einzuholen. Viele wissen nichts davon und die meisten nutzen ihr Recht auch nicht. Was könnte ein Gesetz diesbezüglich leisten?

Tatsächlich weiß nicht jeder Patient über die bereits bestehenden Rechte Bescheid. Ich denke, dass auch ein Gesetz daran nicht viel ändern kann. Wir sehen das ja bereits am Patientenrechtestärkungsgesetz, von dem wahrscheinlich nur ein Bruchteil aller Patienten weiß. Wir appellieren deshalb auch in erster Linie an die Ärzte, vor allem verunsicherten Patienten aktiv das Einholen einer Zweitmeinung anzubieten. Gesetze, die eine Zweitmeinung festlegen, würden unserer Meinung nach ungünstig in das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt eingreifen und so eher das Gefühl vermitteln, dass Ärzte ihre Diagnoseentscheidungen willkürlich beziehungsweise fehlerhaft treffen.

Schon heute sind die Praxen und Terminkalender vor allem bei Fachärzten randvoll. Es scheint, als würden die strukturellen Voraussetzungen dafür fehlen, jedem, dem eine geplante Operation bevorsteht, eine Zweitmeinung einholen zu lassen.

Das ist in der Tat das entscheidende Problem. Der Gesetzgeber hat ja vorgesehen, dass für diese Zweitmeinungen die Krankenkassen verantwortlich sind. Da die Krankenkassen selbst, abgesehen vom Medizinischen Dienst, über keine Fachleute verfügen, die genügend Wissen über Operationsmethoden oder alternative Handlungskonzepte haben, ist das nicht der richtige Weg. Wir sind der Meinung, dass die Ärzteschaft selbstorganisatorisch handeln können sollte, um eine Zweitmeinung einzuholen. Nur so schafft man die Möglichkeit, von Kollege zu Kollege schnell für einen Patienten eine zweite Meinung einzuholen, denn nicht in jedem Fall muss der Patient selbst vorstellig werden. Dieser Weg spart Zeit, die für viele Patienten einen wichtigen Faktor darstellt.

Der Gesetzesentwurf sieht jedoch etwas anderes vor.

Dr. Thomas Wolfram stand als Unfallchirurg am OP-Tisch.

Dr. Thomas Wolfram stand als Unfallchirurg am OP-Tisch.

(Foto: asklepios.com)

Richtig. Die gesetzlich vorgesehene Schleife vom Arztkontakt zur Krankenkasse, die eine zweite Befundung organisieren muss, bis hin zur Vorstellung beim zweiten Arzt scheint mir nicht nur sehr formalistisch, sondern auch sehr zeitaufwendig für den Patienten zu sein. Eine Anstrengung, die gar nicht jeder Patient ohne Weiteres auf sich nehmen kann. Unberücksichtigt bei diesem Vorhaben bleibt auch, dass der Patient, der beispielsweise in ein Krankenhaus geschickt wird, dort eine zweite Befundung erfährt. Die Vorwürfe, die auch in den Medien immer wieder kursieren, dass insgesamt zu oft und in vielen Fällen auch aus den falschen Gründen operiert würde, unterstellt ja nicht nur uns Ärzten fahrlässigen Handeln auf Kosten des Patienten (und der Krankenkassen), sondern auch dem Patienten, dass er sich ohne Leidensdruck einer invasiven Behandlung unterzieht. Solche Vorwürfe sind nicht gerechtfertigt. Andererseits gibt für eine gewisse Anzahl von Patienten durchaus Behandlungsmöglichkeiten, die vor einem operativen Eingriff erfolgreich sein können. Wir handhaben das an den Asklepios Klinik so, dass ein Patient, der eingewiesen wird, die Möglichkeit hat, auf andere Behandlungsmethoden zurückzugreifen. Bei einer bevorstehenden Wirbelsäulenoperation beispielsweise kann das der Besuch eines konservativen Orthopäden oder die Vorstellung bei einem Schmerztherapeuten sein. Wenn solche Alternativen in einer akzeptablen Zeit umsetzbar sind, dann ist es auch ein echter Mehrwert für den Patienten.

Die sogenannte Telemedizin soll im Hinblick auf Zeitersparnis beim Zweitmeinungsverfahren Abhilfe schaffen können?

Tatsächlich gibt es einige ausgewählte Erkrankungsbilder, bei denen man mit Hilfe der Telemedizin ein Zweitmeinungsverfahren abkürzen kann und so für den Patienten zusätzlichen Aufwand vermeidet. Die überwiegende Anzahl der Erkrankungen jedoch setzt die persönliche Untersuchung und den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt voraus. Wir sehen das als besonders wichtig an, damit Patienten nicht auf Beratungsportale im Internet zurückgreifen. Selbst wenn man Unterlagen und Röntgenbilder dort einreicht, sollten Patienten nicht auf diese Art der Befundung setzen. Medizinstudenten lernen bis heute, dass die gründliche Untersuchung des Patienten ein wesentlicher Baustein bei der Diagnosefindung ist. Und das sollte auch so bleiben.

Wie könnte denn Ihrer Meinung nach ein gelungener Gesetzesinhalt zum Zweitmeinungsverfahren lauten?

Es darf unserer Meinung nach nicht im Gesetz verankert werden, dass ein Patient zwingend einem zweiten Arzt vorgestellt werden muss. Das geht nämlich nicht nur an der Realität vorbei, sondern schafft mehr Misstrauen als Vertrauen. Jeder Patient sollte aber die Möglichkeit haben, eine zweite Meinung einzuholen. Dieses Recht sollte Patienten sogar aktiv durch die behandelnden Ärzte angeboten werden. Die Entscheidung, ob jemand eine zweite Meinung einholt oder nicht, sollte allerdings jeder Patient frei entscheiden können. Nach wie vor ist das Arzt-Patienten-Verhältnis ein Vertrauensverhältnis und dieses sollte auch durch gesetzliche Regelungen nicht infrage gestellt werden. Zudem sollten die Krankenkassen jede Zweitmeinung für Patienten, die sie sich wünschen, übernehmen. Diese Zweitmeinung sollte im Konsens mit Ärzten, egal ob ambulant oder stationär praktizierend, erarbeitet werden. Nicht die kostengünstigste Variante sollte dabei im Vordergrund stehen, sondern die beste Variante für den Patienten. Außerdem muss bei dem geplanten Formalismus sichergestellt werden, dass die Zweitmeinung in einer für den Patienten akzeptablen Zeit realisierbar ist. Ein Verfahren zu etablieren, bei dem offengehalten wird, in welcher Zeit eine Zweitmeinung einzuholen ist, ist für Patienten inakzeptabel – und würde im schlimmsten Fall den Leidensdruck nur erhöhen.

Mit Dr. Thomas Wolfram sprach Jana Zeh

Quelle: ntv.de

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