Wissen

Virus-Signale aus dem Klärwerk Berliner Abwasser enthüllt massive Corona-Welle

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Regelmäßige Proben aus dem Abwasser, Analyse im Labor: "Aktuell sehen wir in Berlin eine SARS-CoV-2-Welle."

Regelmäßige Proben aus dem Abwasser, Analyse im Labor: "Aktuell sehen wir in Berlin eine SARS-CoV-2-Welle."

(Foto: picture alliance/dpa)

In der deutschen Hauptstadt braut sich etwas zusammen: In den Kläranlagen Berlins verzeichnen Forscherinnen und Forscher mitten im Sommer einen auffallend starken Anstieg der gemessenen Virusmengen. Das zuständige Landesamt bestätigt: "Aktuell sehen wir eine SARS-CoV-2-Welle".

Die ungewöhnliche Häufung an Sommerinfektionen geht zumindest in Berlin nicht nur auf harmlose Erkältungserreger zurück. Routinemäßige Messungen im Abwasser deuten auf einen massiven Anstieg der Corona-Ansteckungen im Einzugsgebiet der deutschen Hauptstadt hin. Die gemessenen Viruslasten steigen an allen drei Berliner Messstellen steil an - und deutlich stärker als an anderen Klärwerken im Bundesgebiet.

Technische Ursachen schließt das zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) aus. "Aktuell sehen wir in Berlin eine SARS-CoV-2-Welle, welche mit einer erhöhten Ausscheidung von SARS-CoV-2-RNA einhergeht", bestätigte Behördensprecher Daniel Sagebiel auf Anfrage. Die übrigen Indikatoren - wie etwa die Hospitalisierungsinzidenz - zeigen dagegen bisher noch keine auffälligen Bewegungen.

CoronavirusErgebnisse der Abwassersurveillance in Berlin

Hinweis: Die ntv.de Infografiken werden wöchentlich aktualisiert.

Das Infektionsgeschehen scheint sich den Daten zufolge auf das gesamte Stadtgebiet zu erstrecken. Die analysierten Abwasserproben stammen aus den drei Klärwerken Ruhleben im Nordwesten, Schönerlinde im Norden und Waßmannsdorf im Süden der Hauptstadt. Früheren Angaben zufolge wird damit das Abwasser von rund 84 Prozent der Berliner Bevölkerung erfasst.

"Die Coronaviren gelangen beispielsweise beim Zähneputzen über den Speichel oder besonders über die Ausscheidungen aus dem Verdauungstrakt ins Abwasser", erklärt LAGeSo-Mediziner Sagebiel. Im Fall einer Ansteckung vermehren sich Coronaviren zunächst unbemerkt im Menschen. Dies geschieht bereits mehrere Tage, bevor sich erste Symptome zeigen. Die Stichproben aus der Kanalisation können somit bereits Hinweise auf mögliche Ansteckungswellen in der Bevölkerung liefern, lange bevor andere Indikatoren anschlagen.

Das Abwasser-Screening ermöglicht keine Aussagen zum individuellen Krankheitsverlauf oder zu einer etwaigen Häufung schwerer Covid-Erkrankungen. Deshalb behalten Mediziner zusätzlich auch die Meldungen aus den Arztpraxen und den Krankenhäusern im Blick. Bisher gibt es keine Anzeichen für eine Häufung schwererer Corona-Infektionen. Allerdings laufen die übrigen verfügbaren Kennzahlen zur Corona-Lage - wie etwa die Covid-Fälle auf den Intensivstationen - der Entwicklung in der Regel mehrere Wochen hinterher.

Bundesweit ging die hochgerechnete Zahl der Atemwegserkrankungen zuletzt leicht zurück, allerdings verwies das Robert-Koch-Institut (RKI) in diesem Zusammenhang auf mögliche Einflüsse durch den Ferienbeginn in mehreren Bundesländern auf das "Konsultationsverhalten" in der Bevölkerung. Klärwerke in einzelnen anderen deutschen Großstädten wie zum Beispiel Düsseldorf zeigen ebenfalls einen erkennbaren Anstieg der Viruslasten - jedoch nicht in den Berliner Ausmaßen.

Das Abwassermonitoring bietet für Virologen, Mediziner und Epidemiologen im Vergleich zu den übrigen Frühwarnsystemen große Vorteile: Die Stichproben aus der Kanalisation ermöglichen einen viel umfangreicheren und schnelleren Überblick über das aktuelle Infektionsgeschehen. "Die wenigsten Menschen gehen täglich zum Testen", fasst Sagebiel zusammen, "aber jeder geht täglich zur Toilette".

In einer einzigen Mischprobe sind Ausscheidungen von vielen Hunderttausend Menschen enthalten. Als Frühwarnindikator ist die Abwasser-Beprobung somit nicht nur sehr viel bequemer, sondern auch "deutlich kostengünstiger als die Erfassung jedes einzelnen Menschen mittels PCR-Tests".

Neben der messbaren Virusmenge schauen die beteiligten Forscher auch auf die Art der enthaltenen Erreger. Im Labor werden die gefundenen Virusreste sequenziert. Auf diese Weise ist es möglich, die jeweils vorherrschende Virusvariante zu bestimmen und auch neue Erreger-Mutationen frühzeitig zu erkennen.

Corona-Mutationen im Visier

"Der aktuelle Anstieg im Abwasser seit Mitte April geht mit einer großen Sublinienvielfalt einher", heißt es aus Berlin. "Aktuell entstehen im Corona-Virusgenom eine Vielzahl verschiedener Kombinationen von Mutationen, welche dann als unterschiedliche Sublinien klassifiziert werden." Im Berliner Abwasser sind das derzeit vor allem die Subtypen JN.1.18 und KP.3. Der Trend ist allerdings noch unklar.

Mehr zum Thema

Zusätzlich zur Abwasserüberwachung an den drei größten Berliner Klärwerken nimmt ein "automatischer Probennehmer" einmal wöchentlich auch am Berliner Großflughafen BER eine sogenannte 24-Stunden-Mischprobe aus der Kanalisation. Die enthaltenen Virusreste werden ebenfalls sequenziert. Die Virologen wollen damit den Einfluss von Tourismus-Strömen im Blick behalten.

Infektiös sind die gemessenen Virusmengen im Abwasser nicht mehr. "Das Coronavirus ist aufgrund seiner Hülle sehr empfindlich gegenüber Umwelteinflüssen und Reinigungsmitteln, daher sind im Abwasser keine intakten Coronaviren mehr vorhanden, sondern lediglich RNA-Bruchstücke der Viren."

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen