Erst Covid, dann Erkältung Warum man nach Corona anfällig für andere Infektionen ist


Wenn einen nach Corona gleich die nächste Infektion flachlegt, ist das ärgerlich, aber nicht außergewöhnlich.
(Foto: IMAGO/Westend61)
Vermehrt berichten Menschen, sie würden nach einer überstandenen Corona-Infektion ständig krank. Eine mögliche Ursache dafür könnte ein durch Covid-19 geschwächtes Immunsystem sein.
Für die meisten ist Corona keine große Sache mehr, weil sie geimpft sind und/oder bereits ein oder mehrmals Covid-19 durchgemacht haben. Oft ist der Verlauf sogar weniger schlimm als bei einer gewöhnlichen Erkältung. Doch möglicherweise ist eine Infektion mit SARS-CoV-2 immer noch problematischer als gedacht, denn sie könnte eine länger anhaltende Immunschwäche auslösen, die anfällig für andere Krankheiten macht.
Ein Hinweis dafür sind Berichte von Menschen, die sich nach überstandener Corona-Infektion gleich eine Erkältung einfangen oder sogar mehrmals hintereinander krank werden. Die Erklärung dafür ist möglicherweise eine durch SARS-CoV-2 ausgelöste Immunschwäche, die unter Umständen auch mehrere Monate anhalten könnte.
"Nach der Infektion ist das Immunsystem empfänglicher für andere Viruserkrankungen", sagte kürzlich die Wiener Immunologin Eva Untersmayr-Elsenhuber der "Wiener Zeitung". Wer sich nach Covid-19 mit einer schweren Krankheit wie einer Pneumokokken-Infektion oder den Masern ansteckt, könne sogar über Monate mit einer Immunschwäche zu kämpfen haben, da die Antikörper, konkret die B-Zellen, herabgesetzt blieben, zitiert die Zeitung sie.
Langzeitveränderungen auch bei mildem Verlauf
Eine Studie unter Leitung ihres Kollegen Winfried Pickl von der Universität Wien bestätigt diese Einschätzung. Die im Fachjournal "Allergy" veröffentlichte Arbeit zeigt einer Mitteilung der Universität zufolge, "dass Covid-19 selbst bei mildem Verlauf zu beträchtlichen Langzeitveränderungen des Immunsystems führt".
Für die Studie untersuchte das Forscherteam relevante Immunparameter von 133 Personen, die Covid-19 hatten und genesen sind. Das Gleiche taten sie bei 98 Personen ohne Corona-Infektion. Geimpft war niemand, da es zum Start der Forschungsarbeit 2020 noch keine Covid-19-Vakzine gab.
Bei den Genesenen wurden jeweils zehn Wochen und zehn Monate nach deren Erkrankung sowohl die Anzahl als auch die Zusammensetzung verschiedener Immunzellen analysiert. Zusätzlich werteten Pickl und sein Team Wachstumsfaktoren im Blut aus, die unter anderem eine entscheidende Rolle bei der Regulation des Zellwachstums spielen.
Infektion des Knochenmarks?
Wenig überraschend hätten die Genesenen zehn Wochen nach der Infektion im Gegensatz zu den nicht infizierten Probandinnen und Probanden sowohl bei den T- als auch bei den B-Zellen deutliche Anzeichen einer Immunaktivierung aufgewiesen, so Pickl. Überrascht war das Forscherteam aber von den Ergebnissen zehn Monate nach der Erkrankung. "Selbst nach milden Krankheitsverläufen stellten wir eine deutliche Verringerung von Immunzellen im Blut fest", erklärt Pickl. Neben einem Abfall SARS-CoV-2-spezifischer Antikörper beobachteten die Forschenden auch eine "erstaunliche Veränderung der Wachstumsfaktoren im Blut".
Für Covid-19-Genesene bedeute dies, dass ihr Immunsystem möglicherweise nicht mehr optimal reagiere, schließen sie daraus. Als vermutlichen Auslöser nennt das Team eine Infektion des Knochenmarks, das die zentrale Produktionsstelle von Immunzellen ist.
Die Ergebnisse sind eine mögliche Erklärung für Long-Covid, aber auch für eine besonders hohe Anfälligkeit für andere Infektionskrankheiten nach einer Corona-Infektion. Pickl weist jedoch darauf hin, dass weitere Forschungen nötig seien, um die Hypothese zu bestätigen.
"Dramatischer Anstieg" anderer Infektionen
Neu sind Vermutungen und Hinweise, dass eine Covid-19-Infektion eine Immunschwäche hervorrufen kann, nicht. Sie wurden bereits in den vorangegangenen Erkältungssaisons diskutiert und untersucht. So deutete im vergangenen Oktober eine in "Sage Journals" veröffentlichte Studie des Universitätsklinikums Düsseldorf laut Forscherteam auf einen "dramatischen Anstieg von nicht-Covid-bedingten Infektionen der oberen Atemwege (URTI) in allen demografischen Untergruppen in Deutschland hin, der mit enormen Auswirkungen auf sozioökonomische Variablen wie die Häufigkeit oder Dauer von Krankschreibungen verbunden ist".
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werteten dafür elektronische Krankenakten einer großen deutschen Datenbank aus, die insgesamt 1.403.907 Patienten aus 947 Hausarzt- und 175 Kinderarztpraxen umfasst, die zwischen Januar 2019 und Dezember 2022 an einer Infektion der oberen Atemwege (URTI) erkrankt waren. Das wichtigste Ergebnis ihrer Analyse sei "zweifellos der dramatische und plötzliche Anstieg der URTI-Besuche nach der Lockerung der Covid-Maßnahmen im Jahr 2022", schreiben die Forschenden.
Zwei diskutierte Möglichkeiten
Ein Grund für diese Zunahme könne sein, dass eine Covid-19-Infektion ein Risikofaktor für eine spätere Infektion mit anderen Atemwegsviren sei, so die Autoren der Studie. Wissenschaftlich erwiesen sei dies zwar bisher nicht, andere Forschungen kämen aber zu ähnlichen Ergebnissen. Explizit nennen sie eine Studie der Case Western Reserve University aus dem November 2022. Sie stellte durch die Auswertung einer großen US-Datenbank fest, dass sich knapp 19 Prozent der Kleinkinder nach einer Corona-Infektion mit dem Respiratorischen Synzytialvirus (RSV) ansteckten, während es bei den nicht Infizierten nur rund zehn Prozent waren.
Die Düsseldorfer Forschenden halten es auch für möglich, dass die Menschen wegen der Corona-Maßnahmen zu wenig Kontakt mit Krankheitserregern hatten, um ihr Immunsystem ausreichend zu "trainieren". Allerdings sei diese Hypothese "zwar häufig in der Tagespresse, nicht aber in der wissenschaftlichen Literatur aufgetaucht und gilt noch als unbewiesen".
Immunsystem benötigt kein Training, aber Auffrischung
"Das Immunsystem ist nicht so wie ein Muskel, der, wenn man ihn lange Zeit nicht braucht, dann irgendwie weniger gut funktionieren würde", sagte im Dezember 2022 Carsten Watzl dem WDR. Er ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Ein Teil des Immunsystems benötige allerdings Auffrischungen zum Schutz vor bestimmten Erregern, so der Spezialist.
"Es ist so, dass wir bei einigen Infekten oder einigen Erregern unsere Immunität regelmäßig auffrischen müssen, und danach wieder ein paar Jahre geschützt sind." Weil dies bei vielen Menschen nicht stattgefunden habe, "haben wir jetzt den doppelten oder dreifachen Jahrgang an Menschen, die gerade ihre Immunität wieder auffrischen".
SARS-CoV-2 kein Zerstörer
Außerdem muss beachtet werden, dass nicht nur Covid-19, sondern auch andere schwere Virusinfektionen das Immunsystem schwächen. Stark vereinfacht beschrieben kann der Körper nur eine bestimmte Menge von Immunzellen produzieren, die im Falle einer Infektion spezifisch reagieren und damit nicht gegen andere Erreger wirksam sind. Bis wieder ausreichend naive Immunzellen im Blut vorhanden sind, die sich an neue Angreifer anpassen können, können je nach Alter der Patienten und Schwere der Erkrankung Wochen oder Monate vergehen.
Schon gar nicht würde Covid-19 das Immunsystem wie HIV zerstören, sagte die Wiener Molekularbiologin Sylvia Kerschbaum-Gruber der österreichischen Zeitung "Der Standard". Wäre dies der Fall, gäbe es keine Hybridimmunität aus Impfung und Infektion, die am besten vor einem schweren Verlauf schütze.
Emanuel Wyler vom Berliner Max Delbrück Center für Molekulare Medizin sieht zwar einen erschöpfenden Effekt durch SARS-CoV-2, schätzt ihn aber niedrig ein. "Auf einer Skala, auf der ein Rhinovirus kaum bis keinen Schaden am Immunsystem anrichtet und HIV es komplett zerstört, würde ich SARS-CoV-2 - jetzt, da die meisten Menschen gegen das Virus geimpft, davon genesen oder beides sind - irgendwo in der Mitte verorten", sagte er dem Wissenschaftsmagazin Spektrum.de.
Quelle: ntv.de