Großfamilie in der Bronzezeit Beziehungsgeflecht aus drei Generationen entdeckt
23.08.2023, 10:26 Uhr Artikel anhören
Das Bild zeigt den Grabhügel "Kurgan 1" während der Ausgrabung.
(Foto: Shetlana Sharapova)
Bei einer Ausgrabung am südlichen Ural stoßen Archäologen und Archäologinnen auf ein Grab, in dem insgesamt 44 Menschen beigesetzt worden sind. Die späteren Analysen ergeben, dass es sich um ein Familiengrab aus der Bronzezeit handelt. Fachleute sind begeistert.
Ein Grabhügel in der südrussischen Steppe gibt Einblick in die Familienstruktur eurasischer Viehhirten vor etwa 3800 Jahren. In der bronzezeitlichen Anlage "Kurgan 1" am südlichen Ural sind Dutzende Angehörige einer Großfamilie beigesetzt. Deren Beziehungsgeflecht skizziert ein internationales Forschungsteam um Jens Blöcher und Joachim Burger von der Universität Mainz in den "Proceedings" der US-nationalen Akademie der Wissenschaften ("PNAS").
Das Team analysierte die Genome von 32 der insgesamt 44 in dem Grabhügel beigesetzten Menschen. Dabei handelt es sich um Angehörige aus drei Generationen: sechs Brüder, ihre Frauen, Kinder und Enkel. Der wahrscheinlich älteste Bruder, der zum Zeitpunkt seines Todes mit mehr als 50 Jahren auch der bei weitem älteste der analysierten Individuen war, hatte demnach die mit Abstand meisten Kinder: sieben davon mit einer Frau, ein achtes Kind mit einer anderen Frau, die aus der weiter östlich gelegenen asiatischen Steppe stammte. Die fünf anderen Brüder lebten demnach wahrscheinlich monogam und hatten deutlich weniger Kinder.
"Die Grabstätte bietet eine faszinierende Momentaufnahme einer prähistorischen Familie", wird Erstautor Blöcher in einer Mitteilung der Uni Mainz zitiert. "Es ist bemerkenswert, dass der erstgeborene Bruder offenbar einen höheren Status innehatte und dadurch auch erhöhte Reproduktionschancen. Wir kennen dieses Recht des männlichen Erstgeborenen zum Beispiel aus dem Alten Testament, aber auch aus historischen Zeiten in Europa."
Alle Frauen kamen aus anderen Familien
Zudem deutet die Analyse auf eine strikt patrilokale Gesellschaft hin: Sämtliche beigesetzte Frauen waren zugezogen und nicht untereinander verwandt. Da keine Schwestern der sechs begrabenen Brüder gefunden wurden, sind diese - sofern es sie gab - wohl an andere Orte gezogen. "Weibliche Heiratsmobilität ist ein universell verbreitetes Muster, das aus wirtschaftlicher und evolutionärer Sicht sinnvoll ist", erläutert Studienleiter Burger. "Während ein Geschlecht lokal bleibt und die Kontinuität der Stammeslinie und des Besitzstandes sichert, heiratet das andere Geschlecht von außen ein, um Verwandtenehen und Inzucht zu verhindern."
Wie lange "Kurgan 1" als Grabhügel genutzt wurde, ist unklar. Das Team geht von etwa 15 Jahren aus, möglich sei aber auch ein deutlich längerer Zeitraum von mehreren Jahrzehnten.
Männer lebten länger als Frauen
Bemerkenswert ist die vermutlich geringe Lebenserwartung der damaligen erwachsenen Bevölkerung: Bei den Frauen betrug sie demnach etwa 28 Jahre, Männer lebten mit im Mittel 36 Jahren etwas länger. "Der Gesundheitszustand der hier begrabenen Familie muss sehr schlecht gewesen sein", sagt Blöcher. Die hiesigen Viehhirten, die Rinder und Schafe hatten, kannten zwar bereits Metallverarbeitung, Ackerbau nutzten sie aber kaum.
Auffällig ist auch, dass die letzte Generation, die in dem Grabhügel bestattet wurde, fast nur aus Säuglingen und Kleinkindern besteht. Möglicherweise, so das Forschungsteam, seien die Menschen durch Krankheiten dezimiert worden oder sie seien an einen anderen Ort gezogen. Ebenfalls kurios: In dem gesamten Grabhügel fanden die Forscher keine Mädchen über dem Alter von fünf Jahren. Der Grund ist rätselhaft: Möglicherweise, so spekuliert Burger, seien Mädchen woanders bestattet worden.
Quelle: ntv.de, Walter Willems, dpa