Volker Kutscher im Interview "Politik der Ausgrenzung führt zu Mord und Totschlag"
04.11.2024, 17:59 Uhr Artikel anhören
Volker Kutscher liefert mit der "Rath"-Reihe Bestseller in Serie ab.
(Foto: Anett Kürten)
In den USA droht eine Rückkehr von Donald Trump als Präsident. In Deutschland erstarkt die rechtsextreme AfD von Wahl zu Wahl. Genau in diese Zeit fällt der Abschluss der "Rath"-Reihe von Bestsellerautor Volker Kutscher. Im Interview mit ntv.de redet er Tacheles über Politik, Geschichtsvergessenheit, Weckrufe und seine schriftstellerischen Pläne.
ntv.de: Herr Kutscher, 2007 kam "Der nasse Fisch" heraus, das erste Buch Ihrer "Gereon-Rath"-Reihe. Nun haben Sie sie mit Ihrem neuen Bestseller "Rath" beendet. 10 Romane in rund 15 Jahren. War das so von Anfang an geplant?
Volker Kutscher: (lacht) Ja und nein. Als ich vor 20 Jahren damit begonnen habe, "Der nasse Fisch" zu schreiben, wusste ich, dass es eine Reihe werden soll. Zugegeben, noch sehr grob konzipiert. Als ich den Roman begonnen habe, wusste ich beispielsweise noch nicht, wie er endet. Ich wusste aber, dass die Figuren Vorrang haben sollen. Und ich wusste, dass jeder Roman in einem Kalenderjahr spielen und ein Ereignis aus dem jeweiligen Jahr mit in die Handlung eingebettet werden soll. Ursprünglich wollte ich in vier Romanen vor 1933 die sterbende Republik erzählen und in vier Romanen danach die sich etablierende Diktatur. Dann wäre ich im Jahr 1936 herausgekommen, das erschien mir aber zu früh. Ich wollte mit der Pogromnacht 1938 aufhören, und das tue ich nun mit "Rath". Das ist der zehnte Band dieser Kriminalromanreihe - und eben der Abschluss.
Wie geht es Ihnen denn damit jetzt?
Eigentlich ganz gut (lacht). Ich hatte schon Zweifel und etwas Druck, weil mit "Rath" ja die Reihe beendet wird. Damit war klar: Der Abschluss des Romans ist auch der Abschluss der Reihe. Die Herausforderung war, offene Fäden aus den vorherigen Romanen alle aufzugreifen, sinnvoll zu einer Geschichte zu verweben - und das Ganze in weniger als 1000 Buchseiten zu packen. Gleichzeitig war mir das Thema Reichspogromnacht sehr wichtig, das ich angemessen im Roman berücksichtigt wissen wollte.
Wie kam es überhaupt zu der Idee, eine Kriminalromanreihe zu schreiben, die Ende der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre spielen soll?
Bevor ich mit der "Rath"-Reihe angefangen habe, habe ich als Redakteur gearbeitet und hatte - sozusagen als Hobby - mit einem Freund zusammen mehrere Regionalkrimis geschrieben. Das hat Spaß gemacht, war auch erfolgreich und so reifte in mir der Gedanke für einen Roman im Berlin um die 1930er-Jahre. Diese Zeit hat mich schon immer interessiert. Aber da habe ich schnell gemerkt, dass es so viel Stoff, so viel Geschichte gibt, die mit einfließen sollten, dass ich dachte: Mache doch eine Reihe - und erzähle die nicht nur in der Weimarer Republik, sondern über das Jahr 1933 hinaus.
Hat sich der Erfolg sofort eingestellt?
Nein! Viele Verlage haben "Der nasse Fisch" damals abgelehnt, es hat anderthalb Jahre gedauert, bis ein Verlag das Manuskript angenommen hat - Kiepenheuer & Witsch. Und auch nach dem Erscheinen im August 2007 hat es noch ein paar Jahre gedauert, bis ich wusste: Du kannst von der Schriftstellerei leben. Meinen Job hatte ich schon 2004 gekündigt.
Ein kleiner Einblick: Worum geht es in "Rath", es spielt 1938 …
Ohne zu viel zu spoilern … Gereon Rath, einst für tot erklärt worden, ist wieder in Deutschland. Sein Vater liegt im Sterben. Gereon befindet sich deshalb in Köln, wohnt bei Konrad Adenauer, ist dessen Gärtner und Chauffeur. Er muss aber vollkommen im Verborgenen bleiben, weil er sonst sofort die SS und den SD am Hals hätte. Er trifft sich heimlich mit seiner Ehefrau Charly in Hannover. Charly wohnt nach wie vor in Berlin und arbeitet als Privatdetektivin, will aber raus aus Deutschland, das unter dem Nazi-Regime nicht mehr das ihrige ist. Als zwei Hitlerjungen ermordet werden, gerät Charlys und Gereons ehemaliger Pflegesohn Fritze unter Mordverdacht und flieht. Charly versucht, Fritzes Unschuld zu beweisen, und ermittelt. Dabei sticht sie in einige Wespennester und gerät selbst in Gefahr, sodass Gereon nach Berlin fährt, um ihr zu helfen.
Zurück in die Höhle des Löwen: Das klingt spannend und macht Lust, "Rath" zu lesen oder zu hören. Ohne zu viel verraten zu wollen: Sie hätten die Reihe in die eine oder andere Richtung auch fortsetzen können …
Ja, "Rath" hat ein offenes Ende. Ein klassisches Happy End á la Hollywood war nicht möglich, das habe ich beim Schreiben sehr schnell gemerkt. Aber auch ein vergiftetes Happy End, an das ich eine Weile gedacht habe, erschien mir falsch. Mit dem offenen Ende können die Leser und Hörer nun ihrer eigenen Fantasie freien Lauf lassen und sich Gedanken machen, in die damalige Zeit eintauchen. Das ist mir wichtig, auch weil ich hoffe, dass ich meine Fans für Geschichte interessieren kann.
Gerade in der heutigen Zeit sehr wichtig …
Absolut! Geschichte ist wichtig. Geschichtsvergessenheit ist einer der Gründe für die Probleme von heute. Dass Menschen allen Ernstes glauben, dass sich die komplexen Probleme unserer Zeit mit einfachen Antworten lösen lassen, wenn sie eine rechtsextreme Partei wählen. Vor rund 100 Jahren hat genau diese Denke kein Problem gelöst, sondern das Land vor die Wand gefahren. Das sollte man nicht vergessen!
Dabei hilft die "Rath"-Reihe auf jeden Fall. Ist der Mix zwischen fiktivem Kriminalroman und realen Geschichtsereignissen das Erfolgsgeheimnis der Romane um den aus Köln stammenden Kommissar?
Keine Ahnung, warum die Romane Erfolg haben. Aber es freut mich natürlich, dass sie gelesen werden, ich möchte ja zum Nachdenken anregen. Allerdings muss ich auch gestehen, dass ich mir vor 20 Jahren, als ich mit dem Schreiben der Reihe begonnen habe, nicht vorstellen konnte, dass unsere Demokratie noch einmal so in Bedrängnis geraten würde. Jedenfalls nicht von innen.
Bereitet Ihnen der Aufstieg der AfD Sorgen?
Ja, natürlich. Je weiter die Partei sich nach rechts entwickelt, umso mehr Sorgen um unser Land, um unsere Demokratie, um unsere Menschlichkeit, unser Miteinander habe ich. Es wird immer offensichtlicher, dass Faschisten in dieser Partei nicht die Ausnahme, sondern vielmehr die Regel sind. Und die bestimmen die Richtung. Wenn man an die tumultartige konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags denkt, an die destruktive Sitzungsleitung durch den AfD-Alterspräsidenten Treutler, erinnert das doch sehr an Hermann Göring, der als Reichstagspräsident seinerzeit eine parlamentarische Debatte unmöglich gemacht hat. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Die AFD ist kein reines ostdeutsches Thema, im Westen gibt es das Problem ebenso. Man muss sich wirklich Gedanken machen. Und ich kann nur hoffen, dass ich mit meinen Büchern die Menschen dazu anrege. Eine Rechtsauslegerpartei aus Protest zu wählen, kann nicht die Lösung sein.
"Rath", der Abschluss der Reihe, ist in meinen Augen ein Appell an die Menschlichkeit – und gleichzeitig aber auch ein Weckruf …
Ja, aber das gilt nicht nur für "Rath", sondern für die gesamte Reihe. Bei diesem Roman wird das aufgrund der Reichspogromnacht-Schilderungen natürlich besonders deutlich. Die Pogromnacht zeigt, dass eine Politik der Ausgrenzung in letzter Konsequenz zu Mord und Totschlag führt.
Die Ereignisse in den 1930ern spart sich die TV-Serie "Babylon Berlin" allerdings. Sie will nur bis 1933 erzählen …
Ja, das stimmt, da unterscheiden sich die Konzepte. Mir war es ja gerade wichtig, über 1933 hinaus zu erzählen. Meine Romane dienen auch nur als Basis, als grobe Vorlage, die Drehbuchautoren und Regisseure erzählen ihre Geschichten ziemlich frei. Die fünfte Staffel wird gerade gedreht, und dann ist auch "Babylon Berlin" zu Ende erzählt.
Mit "Rath" ist die Romanreihe endgültig beendet, Sie selbst sind gerade auf Lesereise quer durch Deutschland. Gibt es denn schon Ideen oder Pläne für ein neues Buch, eine neue Reihe?
Erst einmal gibt es noch Rath: Mit der Künstlerin Kat Menschik habe ich zwei illustrierte Erzählbände herausgebracht, "Moabit" und "Mitte", da wird es nächstes Jahr noch ein drittes Buch geben, das in der Rath-Welt spielt. Der Titel steht bereits fest, es wird "Westend" heißen. Aber ich muss es noch schreiben. (lacht) Daneben habe ich ein Dutzend Kurzgeschichten rund um den "Rath"-Kosmos geschrieben, die würde ich gerne bündeln, erweitern und als Kurzgeschichtenband veröffentlichen. Was das Thema Roman angeht, weiß ich nur, dass ich wieder einen schreiben werde. Aber was das sein wird, das entscheide ich erst in zwei, drei Jahren.
Mit Volker Kutscher sprach Thomas Badtke
Quelle: ntv.de
