Fressattacken nach dem Kiffen Cannabis macht sogar Fadenwürmer heißhungrig
20.04.2023, 20:35 Uhr Artikel anhören
Bild eines Wurms, der gentechnisch so verändert wurde, dass bestimmte Neuronen und Muskeln fluoreszierend sind. Grüne Punkte: Neuronen, die auf Cannabinoide reagieren. Magentafarbene Punkte: andere Neuronen.
(Foto: Stacy Levichev/dpa)
Schon lange ist bekannt, dass der Cannabis-Wirkstoff THC für Menschen "leckeres Essen noch leckerer macht". Die Heißhungerattacken nach dem Kiffen, auch wenn man eigentlich satt war, sind geradezu legendär. US-Forscher finden heraus: Das ist auch bei winzigen Würmern so.
Kalorien bevorzugt: Seit Jahrhunderten ist bekannt, dass Cannabis bei Menschen Heißhunger auslösen kann - gerne auf Süßigkeiten wie Schokolade. Auch für andere Säugetiere wie etwa Ratten ist diese Wirkung belegt. Nun berichten Forschende aus den USA, dass sogar Fadenwürmer unter Einfluss von Cannabinoiden ein "hedonistisches Fressverhalten" zeigen und kalorienreiche Kost schlemmen.
"Konsumenten berichten unter dem Einfluss von Cannabis beständigen Hunger, selbst wenn sie vorher noch satt waren", schreibt das Team um den Neurowissenschaftler Shawn Lockery von der University of Oregon in Eugene im Fachblatt "Current Biology". "Begleitet wird dieses Hungergefühl oft durch ein spezielles Verlangen nach Lebensmitteln, die süß sind oder viel Fett enthalten."
Fressen mit besonderem Vergnügen
Der Effekt werde hervorgerufen vor allem durch den Hauptwirkstoff THC (Tetrahydrocannabinol). Der wirkt durch seine Ähnlichkeit zu körpereigenen Stoffen - sogenannten Endocannabinoiden - unter anderem im Gehirn auf Cannabinoid-Rezeptoren. Studien an anderen Säugetieren wie etwa Ratten deuten demnach darauf hin, dass die Tiere nicht nur mehr fressen und dabei kalorienreiche Kost bevorzugen, sondern dass auch sie dies mit besonderem Vergnügen tun.
Ein solches "hedonistisches Fressen" bescheinigt die Studie nun auch dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans, einem bei Genetikern wie Entwicklungsbiologen überaus beliebten Modellorganismus. Setzten sie die etwa einen Millimeter kleinen Bodenbewohner dem - bei Würmern wie Säugern vorkommenden - Endocannabinoid Anandamid aus, fraßen die Tiere mehr als sonst und bevorzugten ihre Lieblingsnahrung, bestimmte Bakterienstämme, noch stärker.
"Wir fanden heraus, dass Cannabinoide die Empfindlichkeit von einem der Geruchsnerven, der bei C. elegans hauptsächlich für die Erkennung von Nahrung zuständig ist, dramatisch verändern", wird Lockery in einer Mitteilung der Zeitschrift zitiert. Dies mache die Tiere gerade für ihr bevorzugtes Futter besonders empfänglich. "Diese Wirkung hilft, die Veränderungen im Fressverhalten des Wurms zu erklären, und erinnert daran, dass THC bei Menschen leckeres Essen noch leckerer macht", betont Lockery.
Cannabinoid-System reicht in Evolution sehr weit zurück
Ein weiterer Versuch unterstreicht diese Parallele: Ersetzte die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den bei den Würmern vorkommenden Cannabinoid-Rezeptor NPR-19 durch den menschlichen Cannabinoid-Rezeptor CB1, blieb der Effekt bestehen. Daraus schließt das Team, dass dieses körpereigene System in der Evolution äußerst weit zurückreicht: Die gemeinsamen Vorläufer von Fadenwürmern und Säugetieren lebten vor mehr als 500 Millionen Jahren.
"Dass die Wirkung von Cannabinoiden auf den Appetit über diesen langen Evolutionszeitraum bewahrt wurde, ist wirklich bemerkenswert", sagt Lockery. Es gebe eindeutige Parallelen zwischen der genetischen, neuronalen und verhaltensbezogenen Basis des hedonistischen Fressens bei C. elegans und Säugetieren. Das bestätige die Bedeutung des Wurms diesbezüglich als Modellorganismus, etwa zur Untersuchung von Essstörungen.
Cannabis-Präparate werden in der Medizin eingesetzt, um den Appetit anzuregen, etwa bei Menschen mit HIV oder bei Krebspatienten während einer Chemotherapie.
Quelle: ntv.de, Walter Willems, dpa