Was eine Vier-Grad-Welt bedeutet "Der Klimawandel bedroht unsere Zivilisation"
11.05.2019, 09:20 Uhr
Im Hitzesommer 2018 standen in Brandenburg die Wälder in Flammen - dies könnte in Zukunft die Regel sein.
(Foto: imago/snapshot)
Die globale Temperatur droht zu kippen. Die meisten Staaten tun zu wenig, um dies zu verhindern. Wohin steuert der Planet, wenn es mit dem CO2-Ausstoß weitergeht wie bisher? Mit der Meeres- und Polarforscherin Antje Boetius, die auch das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven leitet, spricht n-tv.de über die Gefahren eines ungehemmten Klimawandels - und über die Chancen, ihn noch zu stoppen.
n-tv.de: Es geht bei den Klimazielen von Paris darum, die Erderwärmung bis 2100 auf 2 Grad oder besser noch auf 1,5 Grad zu begrenzen. Machen 0,5 Grad wirklich so einen großen Unterschied aus?
Antje Boetius: Die Forschung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass 1,5 oder 2 Grad Erwärmung bis 2100 sehr wohl einen Unterschied machen und zwar einen erheblichen. Besonders deutlich wurde das in der Meeres- und Polarforschung. Der Weltklimarat warnt: Bei 1,5 Grad wird mit recht hoher Wahrscheinlichkeit einmal in 100 Jahren das arktische Meereis im Sommer komplett verschwinden. Bei 2 Grad und darüber hinaus müssen wir jedes Jahrzehnt mit einem Verschwinden des Meereises in der Arktis rechnen.
Was hat der Meereis-Schwund für Folgen?

Antje Boetius ist Meeres- und Polarforscherin und Leiterin des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven.
(Foto: Kerstin Rolfes)
Kein Meereis im Arktischen Ozean bedeutet das Ende von Arten, die das Eis zum Leben brauchen: Eisbären, das Pazifische Walross, Ringelrobben, Polardorsch. Aber auch auf den Menschen hat es Auswirkungen durch Extremwetter. Kein Meereis im Sommer zu haben, bedeutet eine große Veränderung der Großwetterlage. Vor allem wegen der Zusammenhänge mit den Polarwirbeln und dem Jetstream, der bei uns Dürren erzeugen kann, oder in den USA enorme Kälteeinbrüche.
Die Klimaziele von Paris sollen ja einen dramatischen Treibhauseffekt verhindern. Aber fast alle Länder hinken bei der Umsetzung hinterher - auch Deutschland. Wenn es so weitergeht wie bisher: Wie heiß kann es noch werden?
Angenommen, wir verbrauchen so viele fossile Brennstoffe wie bisher - dann kommen wir in eine Vier-Grad-Welt. Und dann berühren wir nach heutigem Wissen einen sogenannten Tipping-Point, also einen Kipppunkt der Erde. Zum Beispiel taut dann der Permafrost in der Arktis in einem solchen Maß auf, dass das, was dort an gefrorenem Kohlenstoff liegt, freigesetzt wird. Wenn ehemals gefrorener Kohlenstoff ins Meer fällt und von den Bakterien gefressen wird, erhöht er den CO2-Gehalt der Atmosphäre nochmal deutlich. Es kann auch passieren, dass im Permafrost gebundenes Methan in die Luft entweicht. Oder die Wälder brennen bei Hitzewellen ab und speichern kein CO2 mehr, sondern emittieren CO2. Es gibt mehrere solcher Kippschalter, die in einer Vier-Grad-Welt nochmal die CO2-Emissionen beschleunigen würden. Dabei kann auf recht kurzer Zeitskala nochmal etwa ein Drittel oder ein Viertel von dem, was bereits als Kohlenstoff in Form von CO2 in der Atmosphäre vorhanden ist, dazukommen.
Gab es so etwas in der Geschichte der Erde schon mal?
Ja. Es gab ja auch lange vor dem Menschen Eiszeiten und Heißzeiten, zum Beispiel wenn durch ihre Umlaufbahn die Erde der Sonne näherkam und dann große Kohlenstoffreservoirs des Planeten in die Luft gingen oder Lebewesen keinen Kohlenstoff mehr binden konnten. Und genau diese "Heißwelt"-Szenarien erforscht die Wissenschaft gerade, um herauszufinden, wie schnell das gehen kann und wann das umschlägt. So muss man ehrlich sagen: Wenn wir nichts tun, bedeutet das enorme Herausforderungen für die Zivilisation und eine große Ungerechtigkeit, denn nicht nur sind wir alle Verlierer, sondern besonders ärmere Menschen, die ohnehin weniger CO2 emittieren, werden mehr als alle anderen bestraft.
Ist das Überleben der Menschheit dadurch bedroht?
Ich würde nicht sagen, dass per se das Überleben der Menschheit bedroht ist. Und ich würde auch nicht von der Zerstörung des Planeten sprechen. Aber der Schaden, den wir anrichten, ist immens und führt zur unwiederbringlichen Auslöschung von Arten und Ökosystemen. Und diese Zivilisation, wie wir sie kennen und lieben, unser Wohlstand und der soziale Frieden, das freie Leben in Europa, ist dann bedroht.
Was glauben Sie, könnte passieren?
Mit einem Vier-Grad-Szenario im Jahr 2100 wird die Häufigkeit der Flutwellen, der Extremwetter, der Dürren in Afrika, der wahnwitzigen Regenfälle in Asien und auch in Afrika zunehmen. Die Menschen dort werden dadurch vertrieben. Auch Krankheiten werden sich ganz anders ausbreiten, auch bei uns. Und es machen sich nicht eine Million Menschen nach Deutschland auf den Weg, sondern 100 Millionen. Das führt dann zu einer völligen Veränderung unseres Lebens. Wir haben ja schon gesehen, was die jüngste Flüchtlingsdebatte bewegt hat in unserer Gesellschaft.
Wenn sich in Deutschland die Temperaturen im Schnitt um vier Grad erhöhen würden - bedeutet das für uns nicht lediglich, dass es wie am Mittelmeer wird?
Oh nein - wir leben ja in den nördlichen Breiten, unsere Landwirtschaft und unsere Infrastruktur ist einfach nicht dafür gemacht. Wir dürfen da nicht nur "Durchschnitt" denken, wir müssen in Extremen denken und ihren Konsequenzen. Unser letzter Sommer zeigte es doch - würden noch drei so heiße folgen, bedeutet das, der Brandenburger Wald ist gefährdet, es brennt überall, die Landwirtschaft hat große Ausfälle, viele Betriebe würden das nicht schaffen. Auch hätten die Binnenschifffahrt und die Kraftwerke kein Flusswasser mehr. In der Ostsee könnten Wundbrand erregende Bakterien, sogenannte Vibrionen, wachsen. Auch unsere Kanalisation ist nicht ausgelegt für Extremwetter. Die Erwärmung bedeutet, dass mehr Ozeanwasser verdunstet und mehr abregnet. Massive Regenfälle, die ja bisher selten vorkommen, werden häufiger und dann läuft die Kanalisation über. All das wirkt auch auf unsere Gesundheit und die Natur.
Welche Veränderungen durch den Klimawandel bemerken Sie als Meeresbiologin bereits heute?
In der Arktis, die doppelt so schnell wärmer geworden ist wie der Rest der Welt, beobachten wir nicht nur den enormen Rückgang des Meereises und das Tauen des Permafrosts sowie schnelleres Schmelzen der Gletscher, sondern auch bereits eine Veränderung des Lebens im Meer. Die Lebensräume von Fischen verschieben sich schließlich, der Dorsch etwa dringt weiter nach Norden vor, polare Arten haben aber keine Ausweichmöglichkeit. Wir sehen also, dass der Klimawandel direkt auf die Verteilung von Arten auf der Erde wirkt. Und diese Veränderungen sind jetzt schon da.
Ist das ambitionierte Ziel von maximal 1,5 Grad Erwärmung des Klimas überhaupt noch zu schaffen?
Es ist technisch schaffbar mit der nötigen Unterstützung durch die Politik und natürlich die Bürger, durch uns alle. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts zur Umsteuerung von Kohle auf Windkraft zeigt, dass Deutschland seine Klimaziele erreichen könnte mit der richtigen Investition und Bereitschaft. Gleichzeitig sieht man auch, dass sich in der Bevölkerung und auch in der Industrie etwas zu tun beginnt. Etwa die ganzen jungen Menschen, die jetzt auf die Straße gehen. Es ist ja enorm, wie Klimawandel ein politisches Thema geworden ist und vielleicht sogar wahlentscheidend wird. Alle fragen nach einem Paket an Lösungen, etwas Sektorenübergreifendes und etwas, das wir in Deutschland machen können, das um sich greift und international wirkt.
Machen Ihnen die Schüler-Demos der "Fridays for Future" und die politische Dynamik, die damit einhergeht, also Hoffnung?
Mir macht das absolut Hoffnung und viele von uns Wissenschaftlern haben daher auch zur Unterstützung "Science 4 Future" gegründet, wo wir Fakten klären. Aber wir müssen den jungen Menschen nun eben auch konkrete Lösungen anbieten, da müssen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik unaufgeregt zusammenarbeiten und die Bürger mitnehmen.
Derzeit wird in Talkshows und in anderen Medien über einen Preis für CO2 debattiert, etwa mittels einer CO2-Steuer. Was halten Sie davon?
Ich bin Naturwissenschaftlerin, kann vor allem interpretieren, was wir mit wissenschaftlichen Methoden beobachten und was wir auf Basis von immer besser werdenden Erdsystemmodellen analysieren, testen und vorhersagen können. Aus den Wirtschaftswissenschaften kommt der Vorschlag - zum Beispiel von den Wirtschaftsweisen - dass es eine Bepreisung des schädlichen CO2 braucht, bei gleichzeitiger Entlastung der Strompreise. Damit fördert man die regenerativen Energien. Mein Kollege Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat gerade ein System vorgeschlagen, was gleichzeitig auch noch für größere soziale Gerechtigkeit sorgt. Denn es geht nicht an, dass die Ärmeren, die weniger CO2 verbrauchen, mehr der Last tragen müssen, das Energiesystem umzubauen. In den Talkshows der letzten Woche sind wir Wissenschaftler kaum zu Wort gekommen, die Politik ist im Wahlkampf. Aber wenigstens ist das Thema Klima nun dort, wo es hingehört. Wir müssen uns darüber auseinandersetzen, aber vor allem müssen wir eine Lösung finden und zwar schnell.
Mit Antje Boetius sprach Kai Stoppel
Quelle: ntv.de