Warnung vor Öko-RAF Drohen Klimaaktivisten radikaler zu werden?
10.11.2022, 18:33 Uhr
Der Protest der Klimaaktivisten stößt eine hitzige gesellschaftliche Debatte an.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Klebe- und Schmier-Aktionen von Klimaaktivisten sorgen für Aufruhr. Manche warnen vor einer Radikalisierung und Ökoterrorismus. Forscher betonen jedoch, dass sich die Gruppen durch ihren Gewaltverzicht auszeichnet. Doch sie warnen: Das könnte sich irgendwann ändern.
Mit Straßenblockaden und Schmier-Attacken auf berühmte Gemälde sorgen Klimaaktivisten für Aufsehen, aber auch Empörung. Aufgeheizt wurde die Debatte in Medien und der Politik durch den Unfalltod einer Radfahrerin in Berlin vergangene Woche. Diese war von einem Betonmischer überrollt worden und später gestorben. Aktivisten der Gruppe "Letzte Generation" hatten zuvor durch einen Blockade-Protest den Verkehr gestoppt, ein Spezialfahrzeug der Feuerwehr, das auf dem Weg zur Unfallstelle war, blieb daher im Stau stecken.
Ein mögliches Mitverschulden der Klimaaktivisten an dem Tod der Radfahrerin ist zwar nicht belegt, dennoch werden die Methoden der Protestler zum Teil heftig kritisiert. CSU-Politiker Alexander Dobrindt sprach von einer Radikalisierung der Klimabewegung und verglich die "Letzte Generation" mit der linksextremistischen Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF). Aber ist die Sorge vor einer Radikalisierung berechtigt?
"Wenn eine Radikalisierung der Bewegung beklagt wird, geht es meist um die Mittel", sagt Robin Celikates, Professor für Sozialphilosophie an der Freien Universität Berlin. Allerdings betont er, dass Protestpraktiken wie Schulstreiks, Straßenblockaden oder Blockaden von Kohleabbau - wie die Waldbesetzungen im Hambacher Forst im Jahr 2012 und im Danneröder Forst in 2019 - im historischen und internationalen Vergleich noch immer "relativ moderat" seien.
Der Eindruck der Radikalisierung sei vor allem darauf zurückzuführen, dass es vermehrt zu Blockaden im Straßenverkehr oder öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Kunstmuseen kommt, die auf Störung und Provokation angelegt sind, so Celikates. "Zu diesem Eindruck tragen sicher auch die starken und zum Teil aggressiven Gegenreaktionen aus der Politik, aus manchen Medien und auch aus Teilen der Öffentlichkeit bei."
"Schreckgespenst Ökoterrorismus"
Das Schreckgespenst eines neuen Ökoterrorismus oder einer "grünen RAF" seien in der momentanen Situation aber völlig überzogene Diskreditierungsversuche, so Celikates. Damit solle grundsätzlich legitimer - wenn auch im Einzelfall natürlich nicht immer gerechtfertigter - Protest kriminalisiert werde. Der Wissenschaftler betont, dass alle Klimaprotestformen bisher "explizit und aus Prinzip Gewalt gegen Personen" ausschlössen. Und eben das grenze sie klar von gewaltsamem Widerstand oder gar Terrorismus ab.
Politikwissenschaftler Sebastian Haunss von der Universität Bremen weiß "mindestens drei Gründe", warum es übertrieben sei, von einer Radikalisierung der Klimaproteste zu reden. "Zum einen gibt es keine generelle Tendenz zu stärker konfrontativen Protestformen in der Klimabewegung." Zum anderen seien die Protestformen der "Letzten Generation" nur sehr begrenzte Regelüberschreitungen, bei denen es maximal zu geringen Sachbeschädigungen komme. Angriffe auf Personen fänden nicht statt. "Das Gewaltniveau und vermutlich auch die Summe der Sachschäden jedes Fußballbundesliga-Samstages dürften deutlich höher liegen", so Haunss.
Drittens sei auch auf der Ebene der Forderungen keine Radikalisierung zu beobachten. "Hier besteht zwischen den verschiedenen Gruppen der Klimabewegung eine große Übereinstimmung", so Haunss. Sie alle forderten vor allem die Einhaltung der Pariser Klimaziele - letztlich also die Einhaltung eines bereits beschlossenen internationalen Vertrages und damit eine "recht gemäßigte Forderung".
Konsens der Gewaltfreiheit in Gefahr?
Auch Simon Teune, Gründungsmitglied des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung, betont, dass die Bereitschaft, Gewalt anzuwenden, in der Klimagerechtigkeits-Bewegung nicht zu beobachten sei. "Weder gibt es eine Strömung in der Bewegung, die Gewaltanwendung als legitim ansieht, noch gibt es ein Milieu, das bereit wäre, Gewalt anzuwenden." Eine Position, welche die Bewegung von früheren sozialen Bewegungen unterscheide.
Aber ob es dabei bleibe, sei nicht sicher, warnt Teune. Denn der Kampf gegen die Klimakrise sei "ein Kampf gegen die Uhr" - bisherige Aktionen von Gerichtsprozessen über Großdemonstrationen bis hin zum zivilen Ungehorsam hätten bislang jedoch nicht zu einem Umdenken in der Klimapolitik geführt. "Es ist durchaus denkbar, dass die Frustration und die Angst vor der bedrohlichen Entwicklung eines Klimakollapses die Kalküle in der Bewegung verändert und dass einzelne oder auch kleinere Gruppen den Konsens der Gewaltfreiheit aufkündigen." Bislang zeichne sich das aber nicht ab, betont Teune.
Auch Sozialphilosoph Celikates betont, dass das Radikalisierungspotential zunehme, wenn die Politik weiterhin nicht willens oder in der Lage sei, adäquate Antworten auf die Krise zu finden und die notwendigen Veränderungen schnell genug auf den Weg zu bringen. "Die Verantwortung liegt damit vor allem bei der Politik, dass es nicht zu einer Eskalation kommt."
Quelle: ntv.de