Forschung in Schweden Kann der Straßenrand die Bestäuber retten?


Gleich neben der Straße haben viele Pflanzen und Insekten ihren Lebensraum.
(Foto: Svenja Horstmann)
Beim Stichwort Artenvielfalt denken die meisten an Lebensräume wie tropische Regenwälder oder Korallenriffe. Eher selten dürften vor dem inneren Auge Straßenränder auftauchen. Dabei ist ihr Beitrag zur Biodiversität erheblich, wenn auch kompliziert.
Den Sommer 2021 hat Svenja Horstmann überwiegend an schwedischen Straßen verbracht. Die 31-jährige Deutsche promoviert an der Universität im schwedischen Uppsala zum Einfluss des Straßenverkehrs auf Insekten. "Ich bin mit meinem Insektennetz durch den Straßenrand gelaufen und habe Bienen, Hummeln und Schmetterlinge gefangen", erzählt sie ntv.de über die dafür nötige Feldarbeit.

Svenja Horstmann hat ihren Master in Göttingen gemacht und promoviert nun in Uppsala.
(Foto: Anna Lundmark)
Drei Monate lang sammelte die Ökologin zusammen mit ihrer Assistentin Sophie Müller systematisch an 40 Straßen verschiedene Insekten und bestimmte sie. Das Projekt wurde von der schwedischen Transportadministration unterstützt, die unter anderem für die langfristige Planung von Verkehrswegen und deren Pflege in dem Land verantwortlich ist.
Viele der Arten, die heute an Straßenrändern vorkommen, haben ihre Heimat in den naturnahen Graslandschaften, wie es sie bis in das letzte Jahrhundert fast überall in Europa gab. Auf den großen Flächen weidete Vieh oder die Vegetation wurde gemäht, um die Weidetiere über den Winter zu bringen. "So hat sich das naturnahe Grasland über die Jahrtausende zu einem der artenreichsten Habitate der Welt entwickelt", erläutert Horstmann. "Es gibt dort sehr viele Pflanzen, die extrem viel Pollen und Nektar für Bienen und Schmetterlinge bieten und Habitat für andere Insekten sind." Sowohl im Boden als auch in Büschen oder Pflanzenstängeln finden Insekten außerdem viele Nistmöglichkeiten.
Das Problem ist, dass es diese artenreichen Graslandschaften inzwischen immer seltener gibt. Das liegt an der viel intensiveren Landwirtschaft, zudem sind Flächen in Schweden auch durch erhöhte Waldwirtschaft verloren gegangen. Manche sind zugewachsen, weil sie nicht mehr als Weideflächen genutzt wurden. An dieser Stelle kommen die Straßenränder ins Spiel. Denn auch sie werden nicht nur in Schweden lediglich ein- bis zweimal im Jahr gemäht, um die Sicherheit des Straßenverkehrs zu gewährleisten. Dieses regelmäßige, aber seltene Mähen ist gut für viele Pflanzen und Insekten.
Keine schnelle Antwort
"Seit einigen Jahren sind Straßenränder als mögliches Ersatzhabitat für Pflanzen und Bestäuber in den Fokus der Forschung gerückt, die unter dem Verlust von den naturnahen Graslandschaften leiden", so die deutsche Doktorandin. Denn dort fänden sich ähnliche Pflanzen und Insekten. Bei etwa sieben Millionen Kilometern Straßenlänge in Europa mit durchschnittlich vier Metern Randstreifen ergibt sich eine gewaltige Grünfläche, die diesen Arten Lebensraum bieten kann.
Horstmanns Forschung zeigt jedoch, dass es beim Schutz der Artenvielfalt selten schnelle und einfache Antworten gibt. "In Schweden werden aus Gründen des Biodiversitätsschutzes manche Straßenränder gezielt nur einmal gemäht, statt wie viele andere zweimal. Dadurch gibt es mehr Blühpflanzen im Sommer und umso mehr Blühpflanzen es gibt, desto mehr Bienen und Schmetterlinge gibt es entlang der Straße." Daraus könnte man die Regel ableiten, es solle nur einmal und später gemäht werden.
Das wiederum hätte aber auch andere Folgen. Beispielsweise könnte es dazu führen, dass Gräser bessere Standortbedingungen bekommen. Gräser bieten jedoch fast keine Ressourcen für Bienen und Schmetterlinge, das spätere Mähen könnte sich mittel- oder langfristig also sogar als schädlich für die Insekten erweisen. Außerdem bilden die Grasstreifen ja nun einmal den Rand von Straßen und der Straßenverkehr hat eigene Belastungen für den Lebensraum: Lärm, Abgase, Turbulenzen durch die Bewegung der Autos oder Chemikalien, die zur Eisbeseitigung eingesetzt werden.
Horstmanns Erhebungen ergaben, dass der Straßenverkehr vor allem an schmalen Straßenrändern einen starken Einfluss hat. Bei nur zwei bis drei Meter breiten Streifen und einem hohen Verkehrsaufkommen fand sie deutlich weniger Bienen und Schmetterlinge, aber auch insgesamt weniger Arten als an breiten Straßenrändern sowohl mit höherem als auch mit geringerem Verkehrsaufkommen. "Breite Straßenränder und wenig Verkehr, das ist am besten."
Vielleicht doch ökologische Falle?
Der Effekt der "Ersatzgraslandschaften" macht sich bis in die Umgebung bemerkbar. Um zu testen, wie weit dieser Effekt reicht, brachte Horstmann wilde Erdbeerpflanzen in 20 und 100 Metern Entfernung zum Straßenrand aus. "Wir haben uns angeschaut, wie viele Bestäuber auf den Blüten der Erdbeerpflanzen landen und sie dann wahrscheinlich auch bestäuben." Später ernteten sie die reifen Erdbeeren, um sie zu untersuchen. "Das Interessante bei Erdbeeren sind die kleinen Nüsschen außen. Das sind die eigentlichen echten Früchte der Erdbeere. Wenn sie eng beieinander und vielleicht noch ein bisschen grün sind und auch kein Fruchtfleisch dazwischen ist, dann liegt das daran, dass die Blüten nicht richtig bestäubt wurden. Und obwohl Erdbeeren auch windbestäubt werden können, führt die Bestäubung durch Insekten zu besseren Erträgen." So konnte die Biologin belegen, dass Straßenränder mit mehr Blühpflanzen dazu führen, dass auch bis 100 Metern Entfernung mehr Insekten kommen, um die Erdbeerpflanzen zu bestäuben.
Horstmanns Erkenntnisse fließen in mehrere wissenschaftliche Veröffentlichungen ein, aber auch in Empfehlungen für die schwedische Transportadministration. "Ich werde empfehlen, vor allem an Straßenrändern oder Straßen mit weniger Verkehr so zu mähen, dass Biodiversität gefördert wird. Aber vielleicht nicht unbedingt an Straßen mit viel Verkehr." Bereits jetzt gebe es ein Experiment, bei dem das gemähte Gras entfernt wird. Bisher habe man es meist liegen lassen. "Dann wird es abgebaut und die ganzen Nährstoffe gehen wieder in den Boden. Nährstoffärmere Böden sind aber besser für viele Blühpflanzen, die sonst unter ähnlichen Bedingungen in naturnahen Graslandschaften vorkommen und damit auch für Bienen und Schmetterlinge."

(Foto: RTL)
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In ein paar Jahren könnte daraus die Vorgabe entstehen, dass an nicht so verkehrsreichen Straßen nur einmal im Jahr gemäht und das Schnittgut entfernt wird. Allerdings nur, wenn sich die Straßenränder für Bestäuber nicht als ökologische Falle entpuppen. "Einer Wildbiene, die auf der Suche nach einem Habitat zum Nisten oder nach Nektar und Pollenressourcen ist, könnte der Straßenrand attraktiv erscheinen", beschreibt Horstmann dieses Phänomen. Vielleicht führe eine Brut dort aber zu höheren Mortalitätsraten durch den Verkehr. "Das kann dann im schlimmsten Fall dazu führen, dass zwar sehr viel Einwanderung passiert, aber die Arten dann einfach verschwinden, weil sie unter den Einflüssen leiden oder lokal aussterben."
Insofern sind auch Horstmanns Ergebnisse nach drei Jahren Forschung an den Straßenrändern vorläufig. Sie hofft auf weitere Studien, vielleicht in anderen Ländern, die ihre Daten belegen. Für die Ökologin, die Ende des Jahres ihre Promotion abschließen will, macht gerade der Blick auf die Artenvielfalt vor der Haustür die Wichtigkeit von Natur deutlich. "Das ist alles so komplex. Und ich finde, wir dürfen uns nicht immer anmaßen, zu denken, dass wir alles verstehen. Und das lässt mich das Ganze auch noch mehr wertschätzen."
Quelle: ntv.de