Wissen

Angriff des Immunsystems Neu entdeckte Erkrankung zersetzt Kleinhirn

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Das Kleinhirn ist in der Grafik lila gefärbt.

Das Kleinhirn ist in der Grafik lila gefärbt.

(Foto: picture-alliance / Bildagentur-online/Saurer)

Ein junger Mann erkrankt, sein Zustand verschlechtert sich innerhalb von zwei Wochen rasant. Neben Doppelbildern hat er auch Schwierigkeiten beim Gehen und Sprechen. Behandelnde Ärzte vermuten zunächst eine Infektion, finden aber etwas anderes.

Ein Forschungsteam der Medizinischen Hochschule Hannover MHH hat eine neue Art einer Autoimmunerkrankung entdeckt, bei der das körpereigene Immunsystem das Kleinhirn zerstört. Ausschlaggebend dafür war der Fall eines jungen Mannes. Der 18-jährige Patient entwickelte innerhalb von zwei Wochen schwere Symptome. Er hatte deutliche Störungen im Bewegungsablauf, sah Doppelbilder und hatte Probleme beim Sprechen.

Die behandelnden Ärzte und Ärztinnen gingen aufgrund der Symptome und der Menge an Abwehrzellen im Nervenwasser zunächst von einer Infektion mit Bakterien oder Viren aus. "Da wir aber weder Bakterien noch Viren nachweisen konnten, haben wir Blutserum und Nervenwasser in unserem MHH-eigenen Liquor-Labor untersuchen lassen", wird Professor Kurt-Wolfram Sühs, Oberarzt an der Klinik für Neurologie mit Klinischer Neurophysiologie der MHH dazu in einer Mitteilung zitiert.

Drei weitere Betroffene identifiziert

Daraus ergab sich schnell der Verdacht auf einen Autoantikörper als Verursacher der Beschwerden, der sich bei weiteren Untersuchungen bestätigte. Der als Anti-DAGLA bezeichnete Autoantikörper konnte, der Mitteilung zufolge, wenig später auch im Nervenwasser von drei weiteren Patienten nachgewiesen werden, die unter ausgeprägten Gang-, Sprach- und Sehstörungen litten. Insgesamt wurden mehr als 101 Proben von Patientinnen und Patienten mit neurologischen Symptomen und 102 Proben von gesunden Spendern untersucht.

Auffällig ist, dass es sich bei den Betroffenen um junge Menschen im Alter zwischen 18 und 34 Jahren handelt, die vor Ausbruch der Erkrankung völlig gesund waren. Weitere Untersuchungen mit Magnetresonanztomografen zeigten einen deutlichen Substanzverlust des angegriffenen Kleinhirns, das sich im hinteren Teil des Gehirns befindet und auch als Dirigent von Bewegungen und Gleichgewicht bezeichnet werden kann.

Bei der neu entdeckten Erkrankung handelt es sich um eine neurologische Störung des Kleinhirns, die durch das Immunsystem ausgelöst wird. Sie wird deshalb als neue Form der sogenannten zerebellären Ataxie angesehen. Die von den Forschenden neu entdeckten DALAG-Antikörper sind als spezifische Biomarker ein wichtiger Hinweis, um die Erkrankung schnell zu diagnostizieren und zu behandeln. "Der frühzeitige Nachweis von Anti-DAGLA-Autoantikörpern im Liquor kann allerdings für die Diagnose dieser schnell fortschreitenden Kleinhirnentzündung und die Einleitung einer sofortigen Behandlung entscheidend sein", betont Sühs.

Therapie hilft drei Betroffenen nachhaltig

Mehr zum Thema

Die vier Betroffenen wurden mit entzündungshemmenden Medikamenten und einer Immuntherapie mit dem Wirkstoff Rituximab, der seit einigen Jahren erfolgreich zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen eingesetzt wird, behandelt. Bei drei der vier Betroffenen besserte sich der Gesundheitszustand nachhaltig.

Um die Behandlungen zu optimieren, seien weitere Untersuchungen mit mehr Patienten und Patientinnen nötig, betont das Forschungsteam. Die Ergebnisse der Untersuchung, die in Zusammenarbeit mit Kliniken in Belgien, Deutschland, Luxemburg und Österreich entstanden sind, wurden in der Fachzeitschrift "Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry" veröffentlicht.

Quelle: ntv.de, jaz

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen