Zoonotisch oder aus dem Labor? Studie geht Ursprung von Covid-19 auf den Grund
19.09.2024, 17:05 Uhr Artikel anhören
Möglicherweise kann der Ursprung von SARS-CoV-2 nie abschließend geklärt werden.
(Foto: IMAGO/Depositphotos)
Noch immer ist der Ursprung der Covid-19-Pandemie nicht geklärt. Eine neu veröffentlichte Studie liefert Belege, dass SARS-CoV-2 auf einem chinesischen Markt entstanden ist. Christian Drosten und andere Experten halten die Arbeit für wichtig, aber nicht ausreichend, um den Ursprung zu beweisen.
Mehr als viereinhalb Jahre nach dem Ausbruch ist noch immer unklar, wie die Covid-19-Pandemie entstanden ist. Sicher scheint nur der Ursprungsort von SARS-CoV-2 zu sein: Wuhan. Es gibt Spekulationen, wonach das Virus aus einem Laborunfall in der chinesischen Stadt stammt. Von dort soll es über infizierte Personen den Huanan Seafood Market erreicht haben, wo es die ersten bekannten Covid-19-Fälle gab.
Vieles spricht aber dafür, dass das Virus einen zoonotischen Ursprung hat, also von Wildtieren, mit denen auf dem Markt gehandelt wurde, auf Menschen übergesprungen ist. Zu diesem Fazit kommen auch die Autorinnen und Autoren einer US-Studie, die heute im Fachjournal "Cell" veröffentlicht wurde. Sie werteten das genetische Material von mehr als 800 Proben aus, die auf dem Huanan Seafood Market und in dessen Umgebung gesammelt wurden, nachdem er wegen des Covid-19-Ausbruchs am 1. Januar 2020 geschlossen wurde. Zusätzlich analysierten sie die SARS-CoV-2-Gensequenzen von ersten infizierten Menschen.
Studie soll Wissenslücken schließen

Ein Markt in Wuhan gilt als wahrscheinlicher Ursprung von SARS-CoV-2, bewiesen ist das aber nicht.
(Foto: imago images/UPI Photo)
Eine erste Auswertung dieser Proben hatte das China CDC bereits im vergangenen Jahr veröffentlicht. Dabei blieben jedoch die genauen Identitäten einiger Tierarten offen, die als plausible Zwischenwirte für SARS-CoV-2 infrage kommen könnten. Die aktuelle Studie versucht, diese Wissenslücken zu schließen. Die Arbeit erschien zuvor als Vorabdruck (Preprint) und wurde jetzt als überprüfte (Peer Review), finale Version veröffentlicht.
Für die Studie führten die Forschenden eine sogenannte metatranskriptomische Sequenzierung der Proben durch. Das heißt, alle DNA- und RNA-Sequenzen in den Proben wurden ausgewertet, um alle vorhandenen Organismen, wie Viren, Bakterien, Pflanzen, Tieren und Menschen, zu erfassen.
Gemeinsamer Vorfahre, Häufung bei Wildtieren
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schreiben, das auf dem Markt gefundene Virus habe den gleichen gemeinsamen Vorfahren, wie das SARS-CoV-2-Virus, aus dem die Pandemie hervorging. Das würde zum ersten Auftreten des Virus auf dem Huanan-Markt passen.
Die ermittelten Daten zeigten außerdem eine erhöhte SARS-CoV-2-Positivität in der Nähe und innerhalb einer nahen Wildtierkäfig-Anlage. In allen Proben konnten die Forschenden DNA von Wildtieren nachweisen, darunter von Arten wie Zibetkatzen, Bambusratten und Waschbärhunde, die zuvor als mögliche Zwischenwirte identifiziert worden waren. Die Autorinnen und Autoren schreiben, ihre Daten bestärkten die Annahme, dass SARS-CoV-2 durch den Wildtierhandel nach Wuhan gebracht worden und dort auf den Menschen übergesprungen sei.
"Starke Indizien"
Charité-Virologe Christian Drosten bestätigt das. "Die Daten liefern ein weiteres Indiz für eine Herkunft des Virus aus Tieren und eine Verbindung des Ursprungs mit dem Huanan-Markt", sagt er. Es handle sich um starke Indizien. "Das Virus, das in einigen der höchst verdächtigen Proben nachgewiesen wurde, liegt sehr nah an der rekonstruierbaren Ursprungsdiversität des Virus. Außerdem wurden beide Gründungslinien der Pandemie auf dem Markt nachgewiesen, was am besten durch mehrmalige Übergänge vom Tier auf den Menschen erklärbar ist. Erst in der Gesamtschau mit den Ergebnissen anderer Studien wird dieses Bild sehr klar."
Die Genfer Virologin Isabella Eckerle stimmt dem zu. "Alle untersuchten Aspekte der Studie liefern valide Argumente dafür, dass der Markt der Ort des Übersprungs von SARS-CoV-2 von einem Wildtier-Wirt auf den Menschen war, und die frühesten Virussequenzen der Pandemie auf dem Markt präsent waren", sagt sie.
Mensch-zu-Mensch-Übertragung nicht ausgeschlossen
Wie Drosten kann sie nicht ausschließen, dass infizierte Menschen das Virus auf den Markt brachten. Die Virus-RNA sei aber am häufigsten und mit verschiedenen Methoden um die Wildtierbestände herum nachgewiesen worden. "Da sich die Menschen überall auf dem Markt bewegten, die Tiere aber nur in einer Ecke des Marktes verkauft wurden, erscheint diese Häufung unplausibel für eine rein humane Eintragung, wie zum Beispiel durch einen Besucher."
Virologe Richard Neher von der Universität Basel gibt allerdings zu bedenken, "dass eine Häufung von positiven Proben an einem Marktstand, der Tiere verkauft hat, sowohl durch infizierte Menschen als auch durch infizierte Tiere erklärt werden kann". Vermutlich seien mehr als hundert Menschen auf dem Markt infiziert gewesen und hätten sehr viel mehr Viren ausgeschieden als eventuell infizierte Tiere, sagt er. "RNA ist zudem instabil, so dass die Verteilung der Virus-RNA in Proben von Anfang Januar wenig Aufschluss über eventuelle Übertragungen von Tieren auf Menschen liefern kann, die Ende November 2019 stattgefunden haben könnten."
Direkte Virusproben fehlen
Auch die anderen vom Science Media Center befragten Experten halten die Ergebnisse der Studie nicht für einen ausreichenden Beweis des zoonotischen Ursprungs der Pandemie. Um dies abschließend zu klären, bedürfe es direkter Virusproben aus Wildtieren und Menschen, die vor und zum Zeitpunkt der ersten Infektionsereignisse entnommen wurden, erklärt der Gießener Virologe Friedemann Weber.
"Falls in der Vergangenheit solche Proben genommen wurden, die aufbewahrt wurden, wäre dies noch möglich", sagt Christian Drosten. "Im Verdacht stehen insbesondere Marderhunde. Die jetzt vorliegende Studie liefert grobe geografische Anhaltspunkte, wo diese damals gehalten worden sein könnten. Eine solche Nachuntersuchung wäre allein in China möglich, und auch nur, falls Tierproben genommen und aufbewahrt wurden."
Wahrscheinlich ist es zu spät
Ein Beweis wäre laut Isabelle Eckerle "der Nachweis eines ursprünglichen SARS-CoV-2-Genoms, also der Virussequenz, die allen nachfolgenden Viren der Pandemie zugrunde liegt und die das fehlende Puzzlestück zwischen den Vorläuferviren aus den Fledermäusen und den Viren der Pandemie darstellt." Speziell, wenn ein solches Virus aus einer eindeutig zuordenbaren Probe, wie einem Abstrich eines Tiers, stamme.
Eckerle glaubt allerdings nicht, dass dieses Puzzlestück noch gefunden wird. Es sei zu viel Zeit verstrichen und es sei möglich, dass nur wenige Tiere als Zwischenwirte mit dem Virus infiziert waren. "Wenn man eine solche kleine Zwischenwirt-Population Anfang 2020 gekeult oder bei der Marktschließung vernichtet hat, dann existiert dieses Puzzlestück nicht mehr."
Markttheorie wahrscheinlicher
Alle befragten Experten sind sich einig, dass ein Laborunfall als Ursprung der Covid-19-Pandemie nicht ausgeschlossen werden kann. Doch die meisten von ihnen halten sie für unwahrscheinlicher. Zum einen gäbe es für die Labor-Ursprungstheorie weiterhin keine wissenschaftlich überzeugenden Beweise, sagt Drosten. "Zur Markttheorie kamen aber mit der Zeit immer mehr bestätigende Indizien hinzu."
Das sieht auch Eckerle so. Zusätzlich zu den bisherigen Daten und den Ergebnissen der neuen Studie sei die Ähnlichkeit zum ersten SARS-Ausbruch 2002/2003 frappierend, sagt Eckerle. Für sie sei es sehr wahrscheinlich, "dass im genau gleichen Szenario ein weiteres SARS-Virus eben ein weiteres Mal den Sprung geschafft hat".
Quelle: ntv.de, kwe