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Gravierende regionale Unterschiede Zu viel Antibiotika für Kinder

Bei bakteriellen Infektionen sind Antibiotika das Mittel der Wahl. Doch damit sie zuverlässig wirken, müssen sie gezielt eingesetzt werden. Nun zeigt eine Studie: Bei gleicher Diagnose werden Kindern im Nordosten Deutschlands doppelt so häufig Antibiotika verschrieben wie Kindern im Süden der Republik. Medizinische Leitlinien spielen offenbar eine untergeordnete Rolle.

Dunkelgrün: In diesen Landesteilen werden Kindern zwischen 0 und 17 Jahren besonders häufig Antibiotika verordnet.

Dunkelgrün: In diesen Landesteilen werden Kindern zwischen 0 und 17 Jahren besonders häufig Antibiotika verordnet.

Die Verschreibung von Antibiotika für Kinder hängt einer neuen Studie zufolge nicht nur von der Art der Erkrankung, sondern auch von ihrem Wohnort und von der Wahl des Arztes ab. Wie der von der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh veröffentlichte "Faktencheck Gesundheit" ergab, erhalten Kinder in manchen Kreisen im Nordosten Deutschlands etwa doppelt so häufig Antibiotika wie Kinder in manchen Kreisen Süddeutschlands. Auch gibt es demnach zwischen Haus-, Kinder- und Hals-Nasen-Ohrenärzten einen deutlichen Unterschied im Umgang mit der Verschreibung von Antibiotika.

Die Bertelsmann-Stiftung stützt ihre repräsentative Studie im Wesentlichen auf Daten von Versicherten einer großen Krankenkasse. Die Zahlen zeigen, dass Kindern insgesamt deutlich mehr Antibiotika verordnet werden als Erwachsenen. Bundesweit wird jedem zweiten Kind zwischen drei und sechs Jahren mindestens ein Antibiotikum pro Jahr verschrieben. Die Altersgruppe der Null- bis Zweijährigen kam im Jahr 2009 mit 44,9 Prozent auf die zweitgrößte Verschreibungshäufigkeit. Ab dem siebten Lebensjahr nimmt die Zahl der Verschreibungen spürbar ab, im Erwachsenalter erhielt jeder Dritte ein Antibiotikum verschrieben.

Sachsen-Anhalt an der Spitze

Regional betrachtet fiel den Machern der Studie auf, dass in manchen Landkreisen jedes zweite Kind oder jeder zweite Jugendliche Antibiotika erhielt, in anderen aber weniger als jeder Dritte der Altersgruppe 0 bis 17 Jahre. Mit 50,6 Prozent gibt es in Sachsen-Anhalt die meisten Antibiotika-Verordnungen, gefolgt vom Saarland (46 Prozent) und Thüringen (44 Prozent).

Auch wenn es um Mandeloperationen oder Gallensteine geht, sind die regionalen Unterschiede auffällig.

Auch wenn es um Mandeloperationen oder Gallensteine geht, sind die regionalen Unterschiede auffällig.

Auffällig sei auch, dass in grenznahen Kreisen zu den Niederlanden, Belgien, Tschechien oder Polen viel mehr Antibiotika verschrieben werden als in anderen Regionen. Die wenigsten Verordnungen gab es in Schleswig-Holstein (31,1 Prozent), Bremen (33,6 Prozent) und Baden-Württemberg (33,8 Prozent).

Prof. Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen untersuchte im Auftrag der Bertelsmann Stiftung die möglichen Hintergründe, Ursachen und Folgen der Verordnungspraxis. Besonders häufig werden Antibiotika, so ein Ergebnis Glaeskes, bei akuter Mittelohrentzündung, fiebriger Erkältung und Grippe eingesetzt. Da es sich hierbei aber meist um Virusinfekte handelt, helfen Antibiotika vielfach gar nicht. Sie wirken gegen Bakterien.

Werden Antibiotika zu häufig und unnötig eingenommen, besteht die Gefahr, dass sie keine Wirkung mehr zeigen, wenn sie tatsächlich notwendig sind. Bereits jetzt stellen resistente bakterielle Erreger in Krankenhäusern ein großes Problem dar.

Was ist ein "Ausnahmefall"?

Bei der Auswertung der Daten fiel auf, dass es große Unterschiede zwischen den Facharztgruppen gibt. "Bei nicht eitrigen Mittelohrentzündungen, bei denen Antibiotika laut Leitlinien nur in Ausnahmefällen angezeigt sind, verordneten 33 Prozent der Hausärzte Antibiotika, aber nur 17 Prozent der Kinderärzte und 9 Prozent der HNO-Ärzte. Bei Lungenentzündung, wo die Verordnung von Antibiotika angezeigt ist, waren es 80 Prozent der Kinderärzte, aber nur 66 Prozent der Hausärzte", sagt Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung.

Ein Fazit der Studie: Patienten sollten verstärkt darüber aufgeklärt werden, wann Antibiotika tatsächlich sinnvoll sind. Häufig genug birgt ihr Einsatz eher Risiken. Der "Faktencheck Gesundheit" bietet einen Fragebogen für den Arztbesuch. Er kann dabei helfen, eine vorschnelle Antibiotika-Gabe zu verhindern.

Quelle: ntv.de, asc/AFP

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