
Georg und Marie beginnen eine Affäre - dabei gibt er sich als ihr verstorbener Mann aus.
(Foto: Schramm Film)
Anna Seghers verarbeitete im Roman "Transit" ihre Fluchterfahrung Anfang der 1940er-Jahre. Regisseur Christian Petzold behält in seiner Verfilmung Geschichte und Figuren bei, versetzt sie aber in die Gegenwart. Das funktioniert erstaunlich gut.
Georg ist auf der Flucht. Die Lage ist brenzlig. Selbst Paris, wo er derzeit lebt, wird bereits vom Feind bedroht. Die Sirenen der Polizei, die Razzien, kommen immer näher. Die Gefahr, festgenommen und an seine Peiniger ausgeliefert und nach Deutschland deportiert zu werden, steigt täglich.
Ein Zufall kommt Georg zu Hilfe: Als er dem ebenfalls flüchtigen Schriftsteller Weidel Briefe übergeben soll, entdeckt er, dass der Autor Selbstmord begangen hat. Zurück bleiben dessen Papiere, darunter der Pass und ein Romanmanuskript, die Georg einsteckt. Und er findet einen Brief von Weidels Frau Marie, die in Marseille auf ihren Mann wartet, mit zwei rettenden Visa. Georg reist versteckt in den Süden, wo er Weidels Identität annimmt. Doch am Mittelmeer begegnet er auch dessen Frau - und beginnt eine Affäre mit ihr. Dabei ahnt sie nichts vom Schicksal ihres Mannes.

Aus der Geschichte gefallen: 40er-Jahre-Flüchtling Georg (Franz Rogowski) im Marseille von heute.
(Foto: Schramm Film)
Georg und Marie sind Figuren aus Anna Seghers Roman "Transit", den sie Anfang der 1940er-Jahre schrieb. Sie verarbeitete darin die Erfahrung ihrer eigenen Flucht vor den Nationalsozialisten. Seghers selbst war die Flucht aus Marseille geglückt. Die südfranzösische Stadt war keinesfalls ein Paradies für Flüchtlinge. Vielmehr war es sehr schwierig, von hier wegzukommen. Und auch wenn dieser Teil Frankreichs im Zweiten Weltkrieg nicht von Deutschland besetzt wurde, machten Polizei und Gestapo doch Jagd auf Flüchtlinge, um sie zu deportieren.
"Transit" ist einer der bekanntesten deutschen Exilromane und ein Schlüsselwerk zum Thema Flucht. Einem Thema also, das heute wieder äußerst aktuell ist. Und so ist es nur logisch, dass Regisseur Christian Petzold aus dem Buch nicht einen Historienfilm macht, mit Naziuniformen und Wehrmachtspanzern, sondern ein Werk, dass die Figuren des Romans mit aktuellen Ereignissen verbindet.
Sütterlinschrift und Kampfausrüstung
Petzold übernimmt Grundhandlung und Charaktere aus Seghers Roman und versetzt sie in die Gegenwart. Georg ist immer noch auf der Flucht, doch nicht im Paris der frühen 40er-Jahre, sondern in der Metropole von 2018. Zwar wird die Stadt immer noch von einem Feind bedroht, aber dass es die deutsche Wehrmacht ist, wird nicht explizit erwähnt - obwohl der Zuschauer angesichts der literarischen Vorlage diese Vorstellung hat. Schließlich nimmt Georg jene Route nach Marseille, die Anna Seghers und Tausende andere deutsche Flüchtlinge nahmen. Doch in der Mittelmeerstadt trifft er gleichzeitig auf Flüchtlinge aus dem Maghreb und von heutigen Kriegsschauplätzen.
Der Film spielt in einer Zwischenwelt, die mal mehr zur einen, mal zur anderen Seite neigt. Georg und andere Figuren aus dem Roman tragen altmodische Kleidung, während die Franzosen um sie herum modern gekleidet sind. Die Briefe an Weidel sind in Sütterlinschrift geschrieben, sein Pass ist aus dem Deutschen Reich und auch andere Dokumente entstammen der Vergangenheit. Gleichzeitig tragen die französischen Polizisten moderne Kampfausrüstungen, sind die Konsulate, in denen sich Georg bewegt, modern eingerichtet.
Natürlich hat dieser Kunstgriff seine Logikfehler. Wieso etwa sollten Nordafrikaner nach Frankreich fliehen, wo das Land doch gerade selbst von einem Feind erobert wird, sich also im Krieg befindet? Und auch die Gleichsetzung der nationalsozialistischen Häscher, die Jagd auf deutsche Flüchtlinge machen, mit der französischen Polizei, ist zweifelhaft. Denn damit unterstellt man dem heutigen Frankreich Nazimethoden im Umgang mit Migranten - was einfach falsch ist.
Vom Fluchtfilm zum Film Noir
Sieht man über diese Fehler hinweg, die der Ansatz mit sich bringt, entfaltet Petzolds Film jedoch einen tiefen Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Zu beklemmend ist die Geschichte, die erzählt wird, als dass das Nebenher von Vergangenheit und Gegenwart noch eine Rolle spielen würde - im Film tritt der Kunstgriff ohnehin mit der Zeit in den Hintergrund. Zu vergleichbar sind die Szenen von damals mit Entwicklungen heute. Die Bilder in den Ämtern und Konsulaten, die Bilder von den hoffnungsvoll Wartenden bleiben dieselben. Statt der historischen Umstände rücken die Menschen in den Mittelpunkt, wird Flucht zum wiederkehrenden Ereignis der Geschichte.
Einer jener Menschen ist Georg, intensiv verkörpert von Franz Rogowski ("Victoria", "Lux"). Auf der Berlinale wurde er gerade erst als Shooting Star ausgezeichnet. Dabei hätte er für seine Leistung auch den Silbernen Bären als bester Darsteller verdient. Seine Figur umweht eine nostalgische Traurigkeit, sie ist aus der Geschichte gefallen. Doch Rogowski verleiht ihr durch seine Präsenz, seinen Blick auch immer wieder etwas Hoffnungsvolles.
Überhaupt verzichtet Regisseur Petzold auf eine strenge Genre-Zuordnung, das wäre angesichts seines Filmkonzepts auch schwierig. Das historische Fluchtdrama wird immer wieder durch absurde Szenen aufgelockert, die sich etwa durch das Nebenher verschiedener Epochen ergeben. Gleichzeitig entspinnt sich in Marseille aber auch ein Liebesmelodram zwischen Georg, der sich in den Ämtern als Weidel ausgibt, und Weidels verführerischer Frau Marie (Paula Beer, "Bad Banks"), die nichts vom Tod ihres Mannes ahnt. Die Affäre der beiden spannt den Bogen zurück in die 40er, erinnert an Männer wie Humphrey Bogart und die Femme fatale des Film Noir. Petzold treibt ein Versteckspiel mit seinen Figuren, und mit dem Zuschauer. Besser als ein weiteres Historienspiel vor der Kulisse des Zweiten Weltkriegs ist das allemal.
"Transit" läuft ab dem 5. April in den deutschen Kinos.
Quelle: ntv.de