"Am grünen Rand der Welt" Eine Frau lernt die Sprache der Männer
17.07.2015, 16:20 Uhr
Carey Mulligan spielt Bathsheba: eine Farmerin, die ihr Leben nicht nach einem Mann ausrichten möchte.
(Foto: © 2015 Twentieth Century Fox)
Bathsheba Everdene will keinen Ehemann. Zwar ist sie Kind des späten 19. Jahrhunderts, doch hält sie viel auf ihre Unabhängigkeit. In "Am grünen Rand der Welt" will sie sich von Männern nichts sagen lassen - und tut es doch.
An einem Ort, an dem Schafe im Dutzend über die Klippe gehen, und in einer Zeit, in der Paartanz zum ersehnten Abendprogramm gehört, lebt Bathsheba Everdene (Carey Mulligan). Sie ist die Hauptperson in Thomas Hardys Roman "Far From the Madding Crowd" aus dem Jahr 1874. Und sie ist auch in dessen Neuverfilmung "Am grünen Rand der Welt" einer dieser gehaltvollen weiblichen Charaktere, deren geistige wie körperliche Unabhängigkeit sie in Konflikt zu den patriarchalen Strukturen ihres Umfelds bringen.
Bathsheba ist eine eigensinnige Frau ohne nennenswerte Vermögensgüter, die sich nicht einfach vom Acker weg heiraten lassen will. Eine Ehe zieht sie nur in Betracht, sollte sie den Mann tatsächlich lieben. Deswegen genügt es ihr auch nicht, als der hübsche und zuvorkommende Nachbarsschafzüchter Gabriel Oak (Matthias Schoenaerts) sie kurz nach dem ersten Treffen bereits um ihre Hand bittet.
Eine Farm statt Ehemann
Gabriel ist der erste von drei Männern, die Bathsheba für sich gewinnen wollen. Durch einen Schicksalsschlag verliert er seinen Betrieb und tritt in den Dienst der durch Erbschaft mittlerweile vermögend gewordenen Bathsheba. Dabei muss er zusehen, wie andere Herren an ihm vorbeiziehen: der vermögende Großgrundbesitzer Boldwood (Michael Sheen) oder der charmante Soldat Troy (Tom Sturridge) etwa.

Als Bathsheba sich erlaubt, einmal ganz Frau zu sein, verliert sie.
(Foto: © 2015 Twentieth Century Fox)
Bathsheba braucht keinen Ehemann. Sie betreibt eine Farm. Gewieft treibt sie an der örtlichen Getreidebörse die Preise für ihr Produkt nach oben. "Denkt nicht, als Frau könnte ich nicht den Unterschied zwischen Recht und Unrecht erkennen", erklärt sie den verdutzten Kollegen. Die junge Frau ist Unternehmerin. Die Liebe fürchtet sie, weil sie sie nicht begreift.
Der alte Boldwood will Bathsheba beschützen, der junge Troy will sie begehren. Durchschauen tut die Heldin das nicht. "Es ist nicht einfach für eine Frau, ihre Gefühle in einer Sprache auszudrücken, die vor allem von Männern für Männer gemacht ist", sagt sie. Das tatsächliche Problem ist, dass Bathsheba diese ihr fremde Sprache gar nicht erst versteht. Sie singt: "Let no man steel your time" (Lass dir von keinem Mann deine Zeit stehlen) und tut doch genau das.
"Halb aus Eifersucht, halb aus Verzweiflung"
"Am Grünen Rand der Welt" lässt keinen Moment aus, von der Unabhängigkeit und Stärke seiner Heldin zu erzählen. Er zeigt sie beim Schafe-Baden, bei wilden Ritten und allen möglichen Handwerklichkeiten, ohne ihr dabei eine edle Kultiviertheit abzusprechen. Doch der Film versäumt, Bathsheba ein Motiv zu geben. Da kann sie noch so jungenhaft über grüne Hügel galoppieren: Es verpufft der alles andere als subtile feministische Subtext des Films.

Der treue Gabriel muss zusehen, wie andere bei Bathsheba ihr Glück versuchen.
(Foto: © 2015 Twentieth Century Fox)
Bathsheba dirigiert ihr Leben so entschlossen, dass sie versäumt, zu bemerken, dass es ihr entglitten ist. Dass Bathsheba Gabriel nicht vom Fleck weg ehelichen wollte, ist nachvollziehbar. Dass sie seinem Werben nicht nachgibt - spätestens als er ihre gesamte Ernte rettet, doch aber eigentlich schon in all den kleinen Momenten, in denen er ihr zur Seite steht -, ist töricht.
"Ich habe mich daran gewöhnt, allein zu sein, manche sagen, zu sehr", hört man Bathsheba gleich zu Beginn des Films sagen. Die Leute, von denen sie spricht, haben recht. Bathshebas Unabhängigkeit hat sie zur Einzelgängerin gemacht und dadurch zu jemandem, der die Motive des Gegenübers nicht lesen kann. So kommt es auch, dass die, die nie einen Ehemann haben wollte, irgendwann eingestehen muss, "halb aus Eifersucht, halb aus Verzweiflung" geheiratet zu haben.
Wenn Frau-Sein zu Fall bringt
Bathsheba schreibt ihre eigene Geschichte, solange sie ihre männlich konnotierten Attribute in den Vordergrund stellt: analytisches Geschick und Mut ebenso wie Erbarmungslosigkeit und Aggression. Ihre männlichen Verehrer repräsentieren all das, was die historische Frau ansonsten so im Gepäck hatte: Sie sind fürsorglich und hingebungsvoll, aber auch besitzergreifend und launisch. In dem Moment, in dem Bathsheba aber ganz klassisch Frau sein will, beginnt ihr Niedergang. Als Bathsheba das erkennt, ist es vielleicht aber schon zu spät.
"Am grünen Rand der Welt" ist ein Kostümfilm. Eigentlich könnte jeden Moment Keira Knightley um die Ecke kommen. Wo der Streifen aufgrund des Mangels an royalen Charakteren mit einfacheren Roben auskommen muss, punktet er mit einer auch 150 Jahre später relevanten Evaluation von Geschlechterrollen. Wäre Mulligans Bathsheba nur nicht so verdammt zurückhaltend und ihre männlichen Gegenüber mit mehr Facetten als ihrer Rolle als Anbetender gezeichnet - "Am grünen Rand der Welt" hätte ein großartiger Film sein können. So ist er nur in Ordnung.
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Quelle: ntv.de