Lehren des 12. Bundesliga-Spieltags Boateng pöbelt, Tuchel beerdigt Team
28.11.2016, 11:43 Uhr
Wat willste eigentlich, Kalle?
(Foto: dpa)
Kaum ist die sportliche Krise beim FC Bayern überwunden, droht das nächste Stimmungstief. In dem befindet sich auch der BVB-Trainer. Die Hertha feiert mit einer Träne im Knopfloch und die Eintracht bemüht sich um Bodenhaftung.
1. Was ist denn bloß los, Teil I: FC Bayern
Präsident Uli Hoeneß comebackt spektakulär, wettert im Rausch der Gefühle gegen den neuen "Feind" aus Leipzig und sagt später reumütig sorry. Der FC Bayern beendet im Topspiel der Bundesliga seine Minipleitenserie mit einem hart erkämpften und per Martinez-Handspiel dingfest gemachten 2:1-Erfolg über Leverkusen und Publikumsliebling Franck Ribéry verlängert seinen Vertrag in München um ein weiteres Jahr bis 2018 – selbst wenn der FC Bayern seit jeher ein Garant für Geschichten ist, eine solche Nachrichtendichte liefert sonst auch der Rekordmeister nicht. Aber damit hat sich's freilich noch nicht. Denn gesprochen wird vor allem über Jéròme Boateng. Der musste sich nach seiner schwachen Leistung gegen Rostow in der Champions League von Karl-Heinz Rummenigge über die Medien anhören, dass es gut wäre, wenn der Weltmeister "mal wieder back to earth kommen würde." Boateng findet diese Form der Kritik ziemlich dämlich, wie er bei einem Fanclub-Treffen verraten hat: "Über die Aussagen kann ich nur lachen. Das nächste Mal kann er es mir persönlich ins Gesicht sagen und dann ist das gut."
Beim FC Bayern ist also wieder Druck aufm Kessel – so viel wie lange nicht. Und ein Zurück zur Wohlfühl- und Kuschelatmosphäre der vergangenen Jahre scheint aktuell nur schwer möglich. Den Disput zwischen dem Vorstandsvorsitzenden und dem Abwehrchef kann ein reinigendes Wort des neuen Präsidenten wohl schnell kitten, nicht aber die anhaltende Kritik an den Leistungen der Mannschaft. Denn die hat sich in den vergangenen Wochen komplett von jeglicher Leichtigkeit und Sicherheit befreit, was auch am Trainer liegt, wie Oliver Kahn findet: "Es fällt auf, dass das Spiel unter Carlo Ancelotti deutlich ideenloser ist als unter Pep Guardiola. Sie spielen immer nur im 4-3-3-System und davon weicht Ancelotti auch nicht ab. Es ist die Frage, ob das im heutigen Fußball noch sinnvoll ist, immer nur ein System zu spielen. Für die Mannschaft ist das eine totale Umstellung zu Pep Guardiola. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, einen Trainer zu holen, der die Idee von Guardiola weiter verfolgt." Für Uli Hoeneß ist das alles bloß sinnfreies Gewäsch, er ist komplett davon überzeugt, dass die Herrschaftsverhältnisse im deutschen Fußball spätestens am 21. Dezember wieder geradegerückt werden, wie er im ZDF-Sportstudio erklärte.
2. Was ist denn bloß los, Teil II: Borussia Dortmund
Leidenschaftssieg gegen den FC Bayern (1:0), Slapstick-Spektakel gegen Legia Warschau (8:4) und dann "ein einziges Defizit" gegen Eintracht Frankfurt (1:2) – Borussia Dortmund hat alles, nur keine Konstanz. Trainer Thomas Tuchel bringt der Auftritt in Hessen derart in Rage, dass er keinen Bock mehr hat, sich schützend vor seine Mannschaft zu stellen, oder wie es der "Kicker" am Montag schreibt: "Tuchel beerdigte sein Team". Wie die "Bild"-Zeitung berichtet, war dieser Ausbruch (natürlich) nicht geplant und bevor er in aller Öffentlichkeit loslederte, knöpfte er sich seine Leistungsverweigerer in der Kabine vor. Vermutlich wurde er dort noch deutlicher als später bei der Pressekonferenz: "Mit so vielen Defiziten kannst du in der Bundesliga kein Auswärtsspiel holen. Die ganze Saison verläuft in einem solchen Auf und Ab, das ist sehr unbefriedigend." Ein Wort der Selbstkritik? Fehlanzeige. Doch die wäre durchaus angebracht gewesen, finden viele Beobachter. Denn erneut wirbelte der Trainer seine Aufstellung gehörig durcheinander. Ob angesichts von langen Verletzungspausen und hoher Spielbelastung nötig oder nicht – Tuchel nimmt seinem im Sommer radikal umgebauten Team so die Chance, sich Sicherheit zu erspielen, Automatismen zu erarbeiten und aufeinander einzustellen. Der Coach sieht's offenbar anders und die Schuld nicht bei sich. Nehmen wir so hin.
3. Was ist denn bloß los, Teil III: FC Schalke 04
Der FC Schalke 04 (8.) und Borussia Dortmund (7.) sind nach zwölf Spieltagen in der Liga plötzlich Tabellennachbarn. Das liegt natürlich auch an den sich häufenden Schwächephasen der Borussen, aber vor allem natürlich an den "Knappen" selbst, die mit erkämpften 3:1-Sieg gegen Darmstadt seit zwölf Pflichtspielen ohne Niederlage (zehn Siege) sind. Denn seit dem völlig verpennten Saisonstart mit fünf Niederlagen malochen sich die Schalker durch intelligente taktische Umstellungen ihres Trainers mal beeindruckend gut, mal kampfstark schön unaufhaltsam durch den Tabellenstollen immer näher ran an die lukrativen Plätze. Und wie stabil das junge Team von Markus Weinzierl bereits ist, wird sich am nächsten Wochenende zeigen, wenn Schalke bei RB Leipzig antritt. Nervös? Iwo! "Wir werden genauso spielen wie zuletzt. In den letzten Auswärtsspielen haben wir sehr gut ausgesehen. Da waren wir kompakt und zweikampfstark. Wir fahren mit Selbstvertrauen nach Leipzig, freuen uns sehr auf das Spitzenspiel und schauen mal, wer den besseren Lauf hat. Unser Ziel lautet, auch in Leipzig etwas mitzunehmen."
4. Der "Feind" ist ein Spitzenteam
Vor dem Spieltag hatten wir in unserer Vorschau ja die steile These aufgestellt, dass RB Leipzig sich in Freiburg einer ersten echten Reifeprüfung unterziehen müsse. Ein Spitzenteam, so hatten wir gepöbelt, würde beim Sportclub nicht verlieren. Wir halten fest: Der Super-Aufsteiger gewinnt, erneut beeindruckend stark mit 4:1 und bleibt Tabellenführer. Angesichts der sensationellen Form von RBL wird dem einen oder anderen Etablierten aktuell schwindelig. Erst wetterte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watze, RB sei "ein Tabellenführer, den wir nicht brauchen", dann polterte auch Uli Hoeneß bei seiner Inthronisierung los. Doch wer den Erfolg hat, der kann über diese Spitzen großzügig hinwegsehen. "Ich bekomme vieles nur am Rande mit und es interessiert uns auch nicht besonders", sagte Sportdirektor Ralf Rangnick in einem Interview mit der "Welt am Sonntag". Dass der neu gewählte Bayern-Präsident Uli Hoeneß die Leipziger als neuen "Feind", ach nee, er hat sich entschuldigt, also als "Rivalen" sieht, freut den Spitzenreiter aber: "Das ehrt uns." Und überhaupt ist es ja auch so: "Wir haben neun von zwölf Spielen gewonnen und sind ja jetzt auch nicht von Sieg zu Sieg gestolpert, sondern haben uns das erarbeitet. Ich sehe keine Hinweise, dass wir vom Kurs abkommen könnten." Doch was genau ist der Kurs? Nun, auf keinen Fall die Meisterschaft, wie Coach Ralph Hasenhüttl der "Kleinen Zeitung" erklärt: "Jetzt sind wir Meisterkandidat. Für manche wäre es jetzt schon eine Enttäuschung, wenn wir nur in der Europa League spielen sollten. Das ist natürlich Schwachsinn hoch zehn!" Aha.
5. Der HSV hofft, braucht aber Hilfe
So, der nächste Punkt ist eingefahren. Immerhin schon der dritte nach zwölf Runden. Diesmal im Nordderby gegen Werder Bremen (2:2). Was offensiv schon deutlich besser aussieht als noch vor zwei, drei Wochen, ist defensiv immer noch hanebüchen. Deswegen wollte sich Coach Markus Gisdol bei aller Freude über das frisch gezündete Fünkchen Hoffnung gar nicht erst zufrieden zurücklehnen. "Das Pflänzchen wächst so langsam. Wir haben mittlerweile mehr als Ansätze. Wir können es nur als Team schaffen, das versuchen wir in die Köpfe reinzuhämmern." Damit das aber gelingt, braucht's dringend externe Hilfe, wie auch der Trainer fordert: "Wir haben definitiv zu wenig Spieler für die Innenverteidigung und für die Sechser-Position." Im Winter seien Transfers "unabdingbar", sagte Gisdol, der mit 27 Gegentoren aktuell die zweitschlechteste Abwehr - nur Bremen ist mit 31 Toren noch anfälliger – verwalten muss. Denn nach wie vor sei das Ziel ja der Klassenerhalt. Das wird indes schwierig genug. Denn als sechstes Team der Ligageschichte ist der HSV auch nach zwölf Spieltagen noch sieglos und von den "Vorgängern" schaffte nur der 1. FC Köln 1991/92 noch den Klassenverbleib.
6. Überraschend etabliert
Na klar, die Hertha hat am Sonntagabend beim 2:1-Sieg gegen Mainz sicher nicht das beste Spiel der Saison gemacht. Sie hatten halt erst einen starken Vedad Ibisevic – er erzielte beide Tore, Nummer 99 und 100 in der Liga - und später einen unentspannten Vedad Ibisevic – er sah, mal wieder, Gelb-Rot. Dennoch sorgen die Berliner für Furore in der Liga, sind Dritter (24 Punkte), noch vor dem BVB (21), Schalke (17) und Wolfsburg (10, kleiner Scherz). Und wie für ein Spitzenteam halt üblich, wendete die Hertha die Partie nach dem frühen Rückstand: "Wir haben kontrolliert gespielt und dann aus dem Nichts ein Tor kassiert. Wir sind aber ruhig geblieben und haben den Ausgleich und dann noch den Siegtreffer gemacht. Am Ende haben wir verdient gewonnen", urteilte Coach Pal Dardai. Ähnlich stark, wenn auch an diesem Spieltag, 2:1-Sieg gegen den BVB (siehe oben) ungleich spektakulärer spielt die Eintracht auf, belohnt mit Platz vier, punktgleich mit Berlin. So singen die Fans bereits euphorisch vom Europacup, die Spieler schwärmen vom Teamgeist - nur Trainer Niko Kovac erweist sich nach der neuerlichen Sternstunde als Party-Crasher. "Ich bin Realist, alle träumen - ich nicht. Ich will das nicht überbewerten. Alle müssen vernünftig bleiben und nicht anfangen zu fliegen." Das tun sie nicht, auch wenn die Worte von Kapitän Alex Meier im Moment etwas skurril erscheinen. Der Stürmer wird nämlich nicht müde zu betonen, dass noch 16 Punkte fehlen, um das primäre Ziel zu erreichen: den Klassenerhalt. Naja, wir sprechen uns bestimmt nochmal.
Quelle: ntv.de