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Sicherer und günstiger? China macht Fortschritte bei neuartiger Kernenergie

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Satellitenaufnahme des Versuchsreaktors TMSR-LF1 in der chinesischen Wüste Gobi.

Satellitenaufnahme des Versuchsreaktors TMSR-LF1 in der chinesischen Wüste Gobi.

(Foto: Google Earth)

Gefährlich und teuer, dieses Image haftet der Atomenergie an. Doch ein alternatives Kraftwerkskonzept soll diese Makel beseitigen: China entwickelt einen einsatzfähigen Thorium-Flüssigsalzreaktor - und hofft auf eine "globale nukleare Innovation".

Kernenergie ist am Ende - jedenfalls in Deutschland. Auch in Westeuropa und Nordamerika werden nur noch in wenigen Ländern neue Reaktoren geplant. Im energiehungrigen Asien hingegen herrscht Aufbruchstimmung: Indien plant mehr als ein Dutzend neuer Kernkraftwerke und China über 40. In der Volksrepublik wird zudem eine Technologie erprobt, welche Kernenergie sicherer und günstiger machen soll.

Im Jahr 2018 begann China in der Wüste Gobi mit dem Bau des Versuchsreaktors TMSR-LF1. Mitte 2024 erreichte dieser erstmals Betriebstemperatur. Die Volksrepublik plant bereits den Bau eines weiteren Reaktors, der bis 2030 Strom erzeugen soll. Gleichzeitig soll er auch Wasserstoff produzieren können. Doch was ist das für eine Technologie?

In Chinas Wüste steht der weltweit wohl einzigartige Thorium-Flüssigsalzreaktor. Er wird mit dem leicht radioaktiven Metall Thorium "betankt". Thorium selbst ist zwar nicht spaltbar, kann aber im Reaktor unter Neutronenbeschuss zu spaltbarem Uran‑233 verwandelt werden. Der Vorteil daran: Thorium ist auf der Erde geschätzt dreimal häufiger als Uran. Die größten natürlichen Thorium-Vorkommen befinden sich in Indien, Brasilien, Australien und den USA. Aber auch China verfügt über den Rohstoff.

Flüssiger Kernbrennstoff

Klingt nach einem großen Vorrat - doch es ist nicht trivial, Thorium als Kernbrennstoff zu nutzen. Reaktoren müssen so gebaut sein, dass Thorium konstant in frisches Uran-233 umgewandelt wird. Nach Experimenten mit verschiedenen Ansätzen in den vergangenen Jahrzehnten - unter anderem in den 1980er Jahren in Deutschland - hat sich einer als der wohl erfolgversprechendste herausgestellt: der Flüssigsalzreaktor.

Anders als bei klassischen Reaktoren gibt es keine festen Brennelemente im Reaktor. Vielmehr ist das Spaltmaterial in flüssigem Salz gelöst. Das hat den Vorteil, dass die Zusammensetzung des Gemischs kontrolliert werden kann: Brennstoff kann hinzugefügt, überflüssige Stoffe können herausgefiltert werden. Und das alles während des laufenden Betriebs.

Zugleich verspricht dieses Design einen großen Sicherheitsvorteil: Das flüssige Salz mit dem Brennstoff kann bei Überhitzung schnell aus dem Reaktor abgelassen werden, um Schäden zu verhindern. Dafür sorgt ein Notverschluss, der aus einem stets gekühlten, festen Pfropfen Salz besteht. Wird etwa die Stromzufuhr und damit die Kühlung unterbrochen, schmilzt der Verschluss und das Salz fließt in ein Auffangbecken. Eine große Nuklearkatastrophe soll dieses Konzept unmöglich machen.

Erste Tests in den 1960er Jahren

Die Technologie wurde bereits in den 1960er Jahren in den USA erfolgreich getestet. Es gab zwar noch Herausforderungen, aber das Prinzip funktionierte und der erste Flüssigsalzreaktor konnte Wärme erzeugen. Als Brennstoff wurde Uran-233 genutzt, das in einem anderen Reaktor aus Thorium erzeugt worden war.

Ein weiterer Vorteil: Im Thorium-Flüssigsalzreaktor entstehen vergleichsweise weniger hochradioaktive Transurane, die über Hunderttausende Jahre strahlen. Die meisten Spaltprodukte im Thorium-Flüssigsalzreaktor sind zwar auch radioaktiv, klingen aber bereits nach einigen Hundert Jahren ab. Eine Endlagerung ist laut Experten dennoch nötig.

Und auch das Thema Proliferation spielt beim Thorium-Flüssigsalzreaktor eine Rolle: Uran-233 kann prinzipiell in Kernwaffen verwendet werden. Allerdings ist fraglich, ob die Qualität des aus einem Flüssigsalzreaktor gewonnenen Urans wirklich ausreicht. Experten warnen jedoch, dass damit zumindest der Bau sogenannter "schmutziger Bomben" möglich sei - in den Händen von Terroristen eine gefährliche Waffe.

Hohe Kosten bei klassischen Reaktoren

Warum gibt es bisher noch keine Thorium-Flüssigsalzreaktoren? Die USA hatten in den 1960er Jahren zumindest den Grundstein dafür gelegt. Doch auch aus wirtschaftlichen und vermutlich strategischen Gründen wurde das Projekt eingestampft. Denn in dem Reaktor konnte kein atomwaffenfähiges Plutonium erzeugt werden. Und damals war Uran noch vergleichsweise günstig und reichlich vorhanden.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Nicht nur in Deutschland, auch andernorts haben klassische Kernreaktoren einen schweren Stand. Nach den schweren Unfällen in Tschernobyl und Fukushima sind die Auflagen für die Sicherheit enorm gestiegen und damit die Kosten bei Neubauten.

Thorium-Flüssigsalzreaktoren könnten hingegen sogar günstiger sein als herkömmliche Kernkraftwerke. Zu diesem Schluss kam 2013 eine Studie der norwegischen Umweltorganisation Bellona Foundation: Sowohl Bau als auch Betrieb und Endlagerung seien geringer - im besten Fall würde ein Thorium-Flüssigsalzkraftwerk sogar nur ein Fünftel eines klassischen AKW kosten, hieß es in der Studie.

China meldet zuletzt Fortschritte

China meldete zuletzt Fortschritte bei seinem Projekt: Der Thorium-Flüssigsalzreaktor in der Wüste Gobi wurde im Juni 2024 auf Betriebstemperatur hochgefahren. Im Frühjahr 2025 meldeten die Forscher, es sei gelungen, den Reaktor während des laufenden Betriebs mit neuem Brennstoff zu betanken. "Wir stehen jetzt an der Schwelle zu einer globalen nuklearen Innovation", sagte damals Xu Hongjie, Leiter des wissenschaftlichen Teams, bei einer Sitzung der Chinesischen Akademie der Wissenschaften (CAS).

Was den Einsatz von Thorium angeht, ist China jedoch nicht allein. Japan, Großbritannien und die Vereinigten Staaten haben zu verschiedenen Zeitpunkten Interesse an diesem Brennstoff gezeigt. Indien treibt die Entwicklung eines Schwerwasserreaktors mit einem Gemisch aus Thorium und Plutonium voran. Das dänische Unternehmen Copenhagen Atomics plant ebenfalls einen Thorium-basierten Flüssigsalzreaktor - eine Pilotanlage mit einer Leistung von einem Megawatt ist für 2027 geplant.

Doch es stehen noch ungelöste Probleme im Weg. Eine der größten Herausforderungen: Das flüssige Salz mitsamt seiner radioaktiven Zutaten ist eine aggressive Substanz und zerstört mit der Zeit die Strukturen, in denen es fließt. Bisher ist noch offen, ob das mit modernen Materialien in den Griff zu bekommen ist. Wenn es gelingt, könnte der Kernkraft eine Renaissance bevorstehen.

Quelle: ntv.de

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