Schlimmer als Löwenfauchen Menschenstimmen lassen Savannentiere flüchten
07.10.2023, 08:01 Uhr Artikel anhören
Bei dem Versuch wurde das Fauchen von Löwen den verschiedenen Tierarten vorgespielt.
(Foto: imago/Andreas Gora)
Das Brüllen eines Löwen macht den meisten Wildtieren Angst. Doch es gibt eine Spezies, die den meisten Arten noch mehr Angst einflößt. Das finden Forschende mit Lautsprechern und Kamerafallen im Kruger-Nationalpark heraus.
Der südafrikanische Kruger-Nationalpark beheimatet eine der größten Löwenpopulationen weltweit. Doch trotz der starken Präsenz der Raubkatzen haben viele andere im Schutzgebiet lebende Säugetiere deutlich mehr Angst vor menschlichen Stimmen, Hundegebell oder dem Geräusch von Schüssen als vor Löwengeräuschen. Das ist das Ergebnis einer originellen Studie, für die eine nordamerikanische Forschungsgruppe Kamerafallen und Lautsprecher im Park verteilte.
"Normalerweise denken wir, dass sich die großen Raubtiere an der Spitze der Nahrungskette befinden", erklärt Erstautorin Liana Zanette von der kanadischen Western University in einer Mitteilung zu der im Fachblatt "Current Biology" veröffentlichten Studie. "Aber was uns interessiert, ist die einzigartige Ökologie des Menschen als Raubtier in diesem System, denn der Mensch ist extrem tödlich."
Co-Autor Michael Clinchy ergänzt: "Normalerweise stirbt man als Säugetier nicht an Krankheiten oder Hunger. Derjenige, der dein Leben beendet, ist ein Raubtier, und je größer du bist, desto größer ist das Raubtier, das dir den Garaus macht." Löwen seien die größten in Gruppen jagenden Raubtiere auf dem Planeten und sollten daher auch die furchterregendsten sein.
Lautsprecher und Kamerafallen liefern Beweise
Um herauszufinden, wer mehr Angst auslöst, stellte das Forschungsteam an 21 Wasserlöchern im Kruger-Nationalpark eine Kombination aus Kamerafallen und Lautsprechern auf. Löwen - und auch Menschen, die legal oder illegal im Park jagen - töten ihre Beute oft in der Nähe von Wasserlöchern. Die Biologinnen und Biologen untersuchten dann, wie 19 Säugetierarten auf eine Reihe von Audioaufnahmen reagierten, zu denen Laute von Menschen und Löwen gehörten sowie bellende Hunde und Schüsse.
Hundegebell und Gewehrschüsse wurden verwendet, da dies mit der Jagd durch Menschen verbunden sind. Und die Löwenstimmen sollten die Anwesenheit der Raubkatzen signalisieren. "Das Wichtigste ist, dass die Löwenlaute ein Knurren und Fauchen zeigen, sozusagen ein Gespräch, kein gegenseitiges Anbrüllen", erläutert Michael Clinchy. "Auf diese Weise sind die Löwenlaute direkt mit denen von Menschen vergleichbar, die sich unterhalten."
Daten aus 15.000 Videos
Um die Reaktion der Tiere auf die Aufnahmen zu beobachten, nutzte das Forschungsteam speziell angefertigte Systeme mit einer Kombination aus Kamerafalle und Lautsprecher. Am Ende der über sechs Wochen während der Trockenzeit durchgeführten Studie hatte die Gruppe 15.000 Videos zu sichten. "Wir haben die Kamera in eine Bärenbox gestellt - nicht, weil es in Südafrika Bären gibt, sondern wegen der Hyänen und Leoparden, die sie gerne anknabbern", beschreibt Erstautorin Zanette. Eine berechtigte Vorsichtsmaßnahme: So zeigt eines der Videos einen Elefanten, den eine Löwenaufnahme so wütend macht, dass er angreift und das System zerstört.
Wie die Analyse der Clips ergab, war die Wahrscheinlichkeit, dass Tiere bei Menschenstimmen Reißaus nehmen und Wasserlöcher verlassen, insgesamt doppelt so hoch wie bei den Löwen- oder Jagdgeräuschen. Knapp 95 Prozent der Tierarten - darunter Giraffen, Leoparden, Hyänen, Zebras, Kudus, Warzenschweine, Impalas, Elefanten und Nashörner - rannten häufiger weg oder verließen Wasserlöcher schneller, wenn sie Menschen hörten, als wenn sie Löwen hörten.
Typisches Elefantenverhalten
Das Beispiel von Elefanten zeigt die Unterschiede in der Reaktion: So beobachteten die Biologinnen und Biologen, dass die Dickhäuter bei Löwengeräuschen in mehreren Fällen aufeinander zu rannten, um sich zu einer Gruppe zusammenzuschließen. Diese Gruppe näherte sich dann gemeinsam der Geräuschquelle, was zu früheren Beobachtungen passt, denen zufolge Elefanten sich oft kooperativ und aggressiv gegen Löwen verteidigen.
Bei Menschengeräuschen wurde ein solches Verhalten nicht aufgezeichnet. "Obwohl Löwen junge Elefanten töten können, sind erwachsene Elefanten in der Lage, sich wirksam gegen Löwen zu verteidigen, während dies bei Angriffen durch Menschen nicht der Fall ist", heißt es in der Studie. Anstatt zu versuchen, sich zu verteidigen, hätten sich die Elefanten deutlich schneller von der Wasserstelle zurückgezogen, wenn sie Menschen hörten.
"Es gibt die Vorstellung, dass sich Tiere an den Menschen gewöhnen, wenn sie nicht gejagt werden. Aber wir haben gezeigt, dass das nicht der Fall ist", fasst Clinchy zusammen. "Die Angst vor dem Menschen ist tief verwurzelt und allgegenwärtig, deshalb müssen wir uns aus Tierschutzgründen ernsthaft damit auseinandersetzen."
Einfluss des Menschen unbestreitbar
Als nächstes will das Team untersuchen, ob seine eigens entwickelten Soundsysteme helfen könnten, um gefährdete Tierarten wie das südliche Breitmaulnashorn gezielt von bekannten Wildereigebieten in Südafrika wegzulenken. Schon jetzt gelinge es, Nashörner durch den Einsatz menschlicher Stimmen von bestimmten Gebieten fernzuhalten.
"Ich denke, die weitverbreitete Angst in der Gemeinschaft der Savannensäugetiere ist ein echter Beweis für den Einfluss des Menschen auf die Umwelt", sagt Erstautorin Zanette. Dieser Einfluss drücke sich nicht nur durch den Verlust von Lebensraum, den Klimawandel und das Artensterben aus, was alles wichtige Themen seien, so die Biologin: "Aber allein unsere Anwesenheit in der Landschaft ist ein so starkes Signal, dass die Tiere darauf reagieren. Sie haben eine Todesangst vor dem Menschen - viel mehr als vor jedem anderen Raubtier."
Quelle: ntv.de, Alice Lanzke, dpa