
Wer sich permanent schwach und ausgelaugt fühlt, kann an Long Covid leiden.
(Foto: IMAGO/Andia)
Wer auch nach einer Corona-Infektion noch Beschwerden hat, leidet möglicherweise an Long Covid. Die Fälle dieser noch neuen Erkrankung nehmen immer mehr zu. Die Diagnose ist für Ärzte nicht immer einfach. Die Forschung steht noch ganz am Anfang.
Nicht bei jedem verläuft eine Corona-Infektion ohne Symptome. Noch Wochen und Monate danach können Erkrankte Beschwerden haben. Dann leidet man möglicherweise an Long Covid. Immer mehr Patienten werden deswegen behandelt. Streng genommen ist das aber nur eine mögliche Bezeichnung für Langzeitfolgen nach einer Sars-CoV-2-Infektion, sagt Christian Gogoll im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Gogoll ist Oberarzt an der Evangelischen Lungenklinik Berlin und Experte der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin.
Wichtig sei es, zwischen Long Covid und Post Covid zu unterscheiden. "Long Covid ist die Beschwerde, die direkt im Anschluss an die Corona-Infektion entsteht und bis zu drei Monate dauern kann. Und danach wird das Ganze dann Post Covid genannt. Wenn man darüber spricht, was man eigentlich für Beschwerden hat, wird das immer Long Covid genannt", sagt Gogoll, der eine Patientenleitlinie zu Long- und Post Covid mit verfasst hat.
Die Beschwerden müssen nicht sofort nach einer Corona-Erkrankung auftauchen, aber laut Weltgesundheitsorganisation spätestens nach drei Monaten. Doch genau an der Stelle wird es schon schwierig: Long Covid hat kein einheitliches Krankheitsbild, keine "üblichen Beschwerden". "Eine Gruppe hat körperliche Beschwerden, Herzrasen, Herzstolpern, Blutdruck-Probleme und Atemnot. Und die andere Gruppe hat mehr neurologische Probleme, die haben Kribbeln in den Armen und Beinen. Die haben Denkstörungen und die haben dieses viel besprochene chronische Fatigue-Syndrom. Das ist eine besondere Form der Schwäche nach einer Infektionserkrankung", erläutert Gogoll.
Keine "Diagnose-Check-Liste" für Long Covid

In Christian Gogolls Long Covid-Sprechstunde in Berlin kommen alle, "vom 100-Jährigen bis zum Kind".
Mit Untersuchungen wie der Computertomografie oder Lungenfunktionsprüfungen können die Ärzte feststellen, um welche Form von Long- oder Post Covid es sich handelt und auch, ob vielleicht doch eine ganz andere Krankheit für die Beschwerden verantwortlich ist. Das ist aber nicht immer ganz einfach, denn die Erforschung der Langzeitfolgen einer Corona-Infektion hat gerade erst begonnen. "Es gibt keine ganz eindeutigen Diagnose-Kriterien", sagt Gogoll.
Bei der Behandlung schließe der Arzt zunächst andere Krankheiten aus. "Wenn Atemnot besteht und Husten, der nach der Corona-Virusinfektion anhält oder neu auftritt, dann muss er ausschließen, dass es nicht eine andere Erkrankung ist, Asthma, COPD oder Herzmuskelschwäche", so der Long-Covid-Experte. Gogoll empfiehlt, bei Beschwerden zum Arzt zu gehen. Gerade bei leichten oder unklaren Symptomen besteht die Gefahr, dass man die nicht ernst nimmt und so die Erkrankung nicht erkannt wird.
Informationen finden Sie unter anderem auf der Seite des Robert-Koch-Instituts und des Bundesgesundheitsministeriums. Dort sind auch Rehakliniken und Selbsthilfegruppen verlinkt. Hilfreich ist auch die Patientenleitlinie zu Long- und Post Covid, die Christian Gogoll gemeinsam mit anderen Experten und Expertinnen verfasst hat.
Einen Erklärfilm zu Long Covid der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin können Sie sich hier anschauen.
Wie viele Menschen an Long und Post Covid leiden, das ist nicht genau bekannt. Die Fachärztin für Innere Medizin und Long-Covid-Expertin Jördis Frommhold sagt, an Long Covid leiden in Deutschland mehrere 100.000 Menschen. Die Deutsche Rentenversicherung hat allein im vergangenen Jahr 10.000 Reha-Fälle gezählt.
Christian Gogoll vermutet, dass weltweit bisher zwischen zwei und fünf Prozent der ursprünglich Infizierten später an Post Covid erkrankt sind - unabhängig davon, ob sie vorher einen leichten oder schweren Verlauf hatten. Wobei Patienten mit schweren Verläufen ein größeres Risiko haben, sagt der Lungenexperte. "Das hört sich total wenig an, aber das ist, wenn man das hochrechnet, echt viel. Das würde ja bedeuten, dass das ungefähr so häufig ist wie Diabetes Typ 1." Dabei seien die Beschwerden gestaffelt. Einige Menschen sind schnell schlapp, andere können monatelang nicht arbeiten gehen. Zudem können die unterschiedlichen Symptome mal stärker und mal schwächer auftreten.
Frauen öfter betroffen als Männer
Wodurch Long Covid ausgelöst wird, welche Faktoren eine Rolle spielen, ist noch nicht ganz klar. Die Delta-Variate scheint Langzeitbeschwerden in einer Größenordnung von 5 bis 15 Prozent auszulösen. Omikron ist noch zu neu, als dass die Experten das beziffern können. Frauen sind häufiger von Long Covid betroffen als Männer. Auch Kinder können Langzeitbeschwerden bekommen, aber wie oft das bei ihnen vorkommt, ist auch noch nicht bekannt.
Die Jüngeren seien nicht häufiger von Long Covid betroffen, bei ihnen sei eine Erkrankung nur besonders auffällig, erzählt Gogoll im Podcast. "Aus meiner Sprechstunde erlebe ich, dass das über alle Altersstufen weggeht. Aber diejenigen, die schon älter sind, stehen ihre Beschwerden tapferer durch. Und die sagen: Gut, die Luft ist schlecht, ich bin auch schon älter, ich bin ja schon Mitte 50. Es gibt eine Häufung bei den 30- bis 55-Jährigen."
Die häufigsten Symptome, die der Experte bei seinen Patienten feststellt, sind das Fatigue-Syndrom, Post Exertional Malaise - eine Belastungsintoleranz, Atembeschwerden und neuropsychologische Syndrome wie Gedächtnisstörungen, Depressionen oder Schlafstörungen. Da es so viele Symptome gibt, sind auch die Behandlungsmöglichkeiten ganz unterschiedlich.
Impfung kann Symptome verhindern
Bei Atemnot habe sich Atemgymnastik oder auch Logopädie bewährt, berichtet Gogoll. Bei Herzmuskelschwäche seien Medikamente nötig. Eine Riech- und Schmeck-Störung könne mit einem Geruchstraining behandelt werden. Bei dem chronischen Fatigue-Syndrom sei es wichtig, sich nicht zu überlasten. "Denn sobald man dort die Belastungsgrenze überschritten hat, bekommen Sie einen sogenannten Crash."
Schützen vor Long Covid können mindestens zwei Corona-Impfungen. Das belegen Studien aus Großbritannien und Israel: Die Symptome treten nach einer zweifachen Impfung über 50 Prozent seltener auf. Und Impfungen können die Symptome anschließend auch abmildern, auch, wenn man sich erst nach der Infektion piksen lässt - oder wenn man einen Impfdurchbruch hat. "Nebenwirkungen gibt es immer, aber diese Impfung scheint nicht dazu zu führen, dass Beschwerden entwickelt werden, wie sie in diesem Long-Covid-Krankheitsbild gesehen werden", sagt Gogoll im ntv-Podcast.
Long Covid wird bald zu den wichtigsten chronischen Erkrankungen in Deutschland gehören, erwartet Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Ob das so stimmt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Klar ist jedenfalls: die Ärzte beobachten jetzt schon, dass sich immer mehr Menschen wegen Long Covid bei Ihnen melden. Christian Gogoll rechnet damit, dass uns die Corona-Langzeitfolgen noch die nächsten zwei bis drei Jahre begleiten werden.
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Quelle: ntv.de