Abschied von der Kometen-Jägerin Rosetta lässt es krachen
30.09.2016, 13:22 Uhr
Um 13.19 Uhr verstummt Rosettas Signal auf den Bildschirmen der ESA. Wie Landegerät Philae fliegt nun auch die Muttersonde auf Komet Tschurjumow-Gerassimenko durchs All. Die einzigartige Mission ist abgeschlossen. Was bleibt?
Eine spektakuläre Weltraum-Mission ist beendet: 720 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ist die ESA-Sonde Rosetta nach einem furiosen Finale für immer verstummt. Da ihre Energie mit zunehmender Entfernung von der Sonne allmählich nachließ und ihre Instrumente in Kürze nicht mehr zu steuern gewesen wären, ließ man Rosetta kontrolliert abstürzen. Nicht allzu weit entfernt von Landegerät Philae schlug sie auf Tschuri auf, dem Kometen, der eigentlich Tschurjumow-Gerassimenko heißt. Es war 13.19 Uhr, als Rosettas Signal auf den Bildschirmen der ESA verstummte. 40 Minuten zuvor – so lange braucht die Mitteilung zur Erde – war der Aufprall erfolgt. Rosetta hatte sich dabei komplett ausgeschaltet.
Bis zum Schluss hat die Raumsonde Daten gesammelt und Bilder geschickt. Bei ihrem Überflug über Tschuri haben die Wissenschaftler aus nächster Nähe Gas und Staub messen können. Tschurjumow-Gerassimenko ist das am besten erforschte Relikt aus der Entstehungszeit von Sonne und Planeten – dank Philae, dem Landegerät, das im November 2014 ungefähr 60 Stunden lang Experimente auf der Oberfläche des Kometen durchgeführt hat, und dank Rosetta. Zwei Jahre lang hat die Sonde den Kometen begleitet, hatte ihn vor seiner aktiven Phase, in der er in Sonnennähe große Mengen an Gas und Staub ins All schleuderte, ebenso im Visier wie währenddessen und danach. Den Wissenschaftlern liegen faszinierende, hochaufgelöste Fotos vor sowie eine Flut an Daten.
Was bleibt von der großen, bislang einmaligen Kometen-Mission? War sie in erster Linie spektakulär oder auch wissenschaftlich erfolgreich? Hier das Wichtigste im Überblick:
Welche Überraschungen hielt Tschuri parat? Da gab es einige: So zeigte sich zum Beispiel, dass es auf Tschuri Dünen gibt – ganz ohne Atmosphäre. "Wenn ich das vor einem Jahr behauptet hätte – man hätte mich für verrückt erklärt!", kommentierte Ralf Jaumann, Leiter der Abteilung Planetengeologie am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin, im Herbst 2015 die Sensation. Die Dünen auf Tschuri bestehen aus feinem Material, das entsteht, wenn der Komet auf dem Weg Richtung Sonne ausgast. "Die Partikel werden dann aus dem Innern des Kometen herausgeschleudert, sammeln sich an gewissen Stellen und bilden diese Dünen", erklärt Jaumann. "Erstaunlicherweise ohne Atmosphäre."

Hier war vorher noch ein deutlicher Peak zu sehen. Dass er verschwand, zeigte an: Rosetta ist auf Tschuri aufgeschlagen.
Eine weitere Überraschung für die Wissenschaft: Niemand hätte gedacht, dass Tschuris Oberfläche so hart ist. Man hielt ihn für eine Art schmutzigen Schneeball. Doch dann sah man, dass er aus fest zusammengepresstem Material besteht – im Wesentlichen aus Dreck und Eis. Die Gegend, in der Philae schließlich zum Stehen kam, war – so vermuten die Forscher – rund 2000 Mal härter als der ursprünglich anvisierte Landeplatz, der mit einer dicken, lockeren Granulat-Schicht bedeckt ist.
Und noch etwas verblüffte die Forscher: Völlig unerwartet stieß Rosetta auf Sauerstoffmoleküle. Reaktionsfreudig wie Sauerstoff ist, hätten sich die Moleküle – so die Annahme der Wissenschaftler – längst mit dem in der Frühzeit des Sonnensystems reichlich vorhandenen Wasserstoff zu Wasser verbinden müssen. Erstaunlicherweise aber überlebten die Moleküle Milliarden von Jahren, ohne mit anderen Substanzen zu reagieren. Was das bedeutet? Da rätselt die Forschung noch.
Tschuri hält noch andere Stoffe bereit, die noch nie auf einem Kometen gefunden wurden: Sie heißen Methyl-Isocyanat, Aceton, Propionaldehyd und Acetamid, und sie sind allesamt organisch. Sie können zu wichtigen biochemischen Reaktionen beitragen.
Kommt das Wasser auf der Erde tatsächlich von Kometen? Offenbar nicht. Und das war vielleicht die größte Überraschung, mit der Tschuri aufwarten konnte. Die Struktur seiner Wassermoleküle unterscheidet sich deutlich von irdischem Wasser.
Haben Kometen möglicherweise dennoch mit dem Ursprung des Lebens zu tun? Rosetta konnte die Aminosäure Glycin auf Tschuri nachweisen. Das stützt die Vorstellung, dass Schlüsselzutaten des Lebens einst mit Kometen auf die Erde geregnet sein könnten. Aminosäuren gelten als Bausteine des Lebens, weil aus ihnen die Proteine in unserem Körper bestehen.
Ist auch die Entenform für die Forschung von Bedeutung? Ja. Sie verrät, wie Tschuri wohl einst entstanden ist. Wahrscheinlich stießen im noch jungen Sonnensystem zwei Kometen zusammen und bildeten den heute sichtbaren Doppelkörper. Auf beiden Teilen Tschuris sind nämlich Schichtstrukturen erkennbar, deren jeweilige Richtung und Tiefe zeigen, dass sie sich nicht auf dem gesamten Kometenkörper gemeinsam entwickelt haben. Diese Erkenntnis liefert den Forschern Hinweise auf den physikalischen Zustand des Sonnensystems vor 4,5 Milliarden Jahren.
Waren auch magnetische Kräfte an Tschuris Entstehung beteiligt? Das galt zunächst als möglich. Die Forschung ging davon aus, dass Magnetfelder beim Zusammenbacken von winzigen Materiebausteinen und damit auch in der frühen Wachstumsphase von Kometen eine Rolle spielten. Doch mittlerweile schließen Wissenschaftler diese Theorie aus. Messungen zum Magnetismus von Tschuris Kern ergaben nämlich: nichts.
Gibt es ein wissenschaftliches Fazit? Paolo Ferri, Leiter des ESA-Missionsbetriebs, bringt es im Gespräch mit n-tv.de auf den Punkt: "Rosetta hat alle Theorien aus der bisherigen Kometenforschung infrage gestellt", sagt er. "Die Daten haben gezeigt, dass diese Theorien nicht präzise genug oder schlicht falsch waren." Es dauert Jahre, bis das Datenmaterial komplett ausgewertet ist. Die Forscher müssen auf dieser Grundlage neue Thesen entwickeln - und sie irgendwann überprüfen. Dann ist es Zeit für eine neue Kometen-Mission.
Quelle: ntv.de