
Schnell noch in die USA, bevor es politisch wieder vollkommen unkorrekt wird.
(Foto: dpa)
Die Autorin wollte sich am Morgen nur einen schnellen Überblick verschaffen und griff zum Handy. Das Szenario, das sich ihr bot, ist gruselig: Krisen allerorten. Es beginnt vor der eigenen Haustür und endet - ja, wo eigentlich, und wann? Die Hoffnung verliert sie dennoch nicht.
Gestern Morgen bin ich wach geworden und habe, dummerweise, zu meinem Handy gegriffen und gedacht: Ich bleib' liegen und lese mir doch mal genüsslich durch, was so abgeht in der Welt. Von genüsslich kann natürlich gar keine Rede sein. Mein Lieblings-mit-Nachrichten-Versorger, der hauseigene Sender, glich einem Gruselkabinett. Manchmal gleitet man ja so drüber hinweg, über das Elend der Welt, über die Unverbesserlichen, die Katastrophen, für die niemand etwas kann und die, für die ganz viele etwas können. Heute hat es mich so richtig getouched. Ich bin wohl dünnhäutig, vielleicht, weil ich vor Kurzem mal wieder ein Jahr älter geworden bin, was grundsätzlich gut ist, denn sonst wär ich ja tot.
Ich lag also im Bett und über mir baute sich eine Wolke, ein Schaubild, auf: Bedrohung von überall. Ich griff zu Zettel und Stift und malte das auf, was sich in meinem Kopf zusammenbraute. Blöderweise wusste ich so früh am Morgen noch nicht so genau, wo Berg-Karabach liegt, deswegen fehlt dieses Bedrohungsszenario-Puzzleteil auf meiner Karte. Später dann plötzlich eine Eingebung: Mensch, Berg-Karabach, zwischen Armenien und Aserbaidschan, unweit von Baku, da, wo 2012 der Eurovision Song Contest stattgefunden hat. Schwedens Loreen gewann mit "Euphoria", Russland wurde mit dem Song "Buranowskije Babuschki ("Party für alle") Zweiter. Hach, das waren noch Zeiten! Nur gute zehn Jahre ist das her, doch Zeiten ändern dich (das wusste schon Bushido) - wer würde heute noch mit den Russen schunkeln wollen?
Auch den Sudan, über den ich noch vor ein paar Tagen in Köln auf der Digital X Messe George Clooney habe sprechen hören, habe ich vergessen aufzumalen. Aber man kann sich wahrlich nicht an alle Katastrophen und Bedrohungslagen auf einmal erinnern, denn sonst müsste ich jetzt ja auch noch Israel, Marokko, Libyen, Türkei und viele mehr hinzufügen.
Aber fangen wir im Kleinen an, "in da Hood": Die Irre von gegenüber krakeeelte bereits um sieben Uhr durch die ganze Straße, dass das Parken direkt vor ihrem Balkon verboten sei. VERBOTEN! Ja, wo kommen wir denn da hin, wenn hier jeder macht, was er will? Auf öffentlichem Grund? Eine UNVERSCHÄMTHEIT!! Den Rest ihres Gebrülls habe ich nicht verstanden, denn ein Müllauto schien durch meinen Vorgarten zu rasen. Fand ich letztendlich aber okay, denn dem Bio-Müll schien bereits neues Leben zu entspringen und die Gelbe Tonne quoll seit Tagen über. Ich lehnte mich gerade wieder zurück, da hörte ich ein ungewöhnliches Geräusch. Tropfen? Auf Blättern. Sollte es etwa regnen? Ich stellte mich schlafend, denn das hieß, dass das Kind auf keinen Fall mit dem Fahrrad zur Schule fahren, sondern nach einem Shuttle fragen würde. Ohne mich, das konnte der Mann mal übernehmen, klappte auch, wie ich anhand der zufallenden Haustür und den Stimmen vor dem offenen Fenster feststellen konnte.
Ihr kommt hier nicht rein
Jetzt endlich Kaffee und weiterlesen. Aber vorher zum Müll: Ekliger Gestank schlägt mir entgegen. Die haben die falsche Tonne wieder hingestellt, diese riecht nach Kinderwindeln und Verwestem. Ich halte die Luft an und bleibe mit meinem Gelbe-Tonne-Müll wie angewurzelt stehen, denn die Tonne ist voll. Immer noch. Wieder drinnen - ich habe der Versuchung widerstanden, meinen Gelben-Punkt-Müll bei den Nachbarn zu entsorgen - lese ich zur Vorbereitung des Tages also endlich die Nachrichten. Momentchen, eine Mail kommt rein, mein Mann. Ob mein Pass gültig ist, wir fliegen bald nach London, ich darf in die Abba-Avatar-Show und freu mich wie ein Baby. Pass ist gültig, wir können in die Brexit-Area, puh, lucky me.
Im Vorübergehen ein Blick in die Zeitung, auf dem Titelbild geht es um Wohnungen, und die sind knapp in der Hauptstadt. Angebot und Nachfrage könnten diametraler nicht sein, irgendjemand ist Schuld, nach Ansicht mancher Menschen manchmal zum Beispiel mein Mann (andere Geschichte). Oder ähnliche Leute. Oder Bonzen. Oder Frauen. Oder Ausländer, Schwule, Flüchtlinge. Oder Rentner, die nicht aus ihren großen Altbauwohnungen ausziehen wollen, diese sturen alten Böcke! Momentan sind es am meisten "die Flüchtlinge". Bei dem Thema läuft aber auch echt alles schief: Immerhin neun Minuten war Ursula von der Leyen im Aufnahme-Camp von Lampedusa (wie mein Kollege Udo Gümpel berichtete), genauso unterirdisch wie der Schnellschuss von vor zwei Monaten, denk' ich mir. Da machten von der Leyen und der Boss von Italien, Giorgia Meloni, dem tunesischen Regierungschef, ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte: Unter anderem Hunderte Millionen dafür, dass er dafür sorgt, dass aus seinem Land keine Flüchtlinge mehr fliehen. Was soll man sagen? Da hat der gute Mann aber ganz schnell sein großes Indianerehrenwort drauf gegeben und sich danach sicher stundenlang ins Fäustchen gelacht.
Upps, das I-Wort darf man ja gar nicht benutzen! Genau deswegen kann man sich auch denken, was daraus wurde: rein gar nichts. Das Gegenteil ist seit zwei Monaten der Fall. Immer mehr Menschen besteigen fragwürdige Boote an Tunesiens Küste, um über das Mittelmeer zu flüchten. Und während die Touristen aus dem Robinson Club ins Flugzeug steigen, müssen die Flüchtenden damit rechnen, im italienischen Lampedusa mit den Worten: "Ihr kommt hier nicht rein!" empfangen zu werden. Genauer gesagt meint Meloni damit: "Kommt nicht her, ihr werdet alle 18 Monate in Abschiebehaft enden und dann wieder zurückmüssen." Zurück wohin? Die Flüchtlinge aus Tunesien sind ja zu großen Teilen keine Tunesier (nur 12.100 von 132.000), sondern kommen von überall her aus Afrika, weil sie dort verständlicherweise vor Dürre, Krieg, Vergewaltigung fliehen. Das ist eine neverending-Story und wirklich gut nachzulesen beim Kollegen, ich muss mich schließlich noch anderen Brennpunkten widmen.
Wir Kartoffeln
Mein Blick wandert unruhig auf meiner selbst gemalten Karte hin und her, denn ich will mir nochmal vergegenwärtigen, wie nah die Ukraine an uns dran ist: Kiew ist von Berlin nur 19 Kilometer weiter weg als Rom. Die Polen hatten eigentlich keinen Bock mehr auf Waffenlieferungen an den östlichen Nachbarn, lese ich, das hat sich aber wieder geändert nach einem Rüffel vom UN-Gipfel aus New York. Und auch die Franzosen haben keinen Bock mehr auf Geflüchtete jeder Art, die Deutschen auch nicht, aber was will man machen - wir Kartoffeln sind einfach so beliebt.
Ich komme zum Ende: Dass die Fußballer zu Scharen Richtung VAE abwandern, macht den Facharbeitskräftemangel hierzulande zwar auch nicht besser, geht mir persönlich dennoch am Allerwertesten vorbei. Was mir mehr zu schaffen macht, ist Agent Orange, der sich im Land meiner jugendlichen Träume wieder breitmachen will. Wenn Trump an die Macht kommt im November 2024, dann gnade uns Gott. Oder wie der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel es formuliert: "Ich rate, auf das Schlimmste vorbereitet zu sein." Das Schlimmste sieht lauf Gabriel folgendermaßen aus: Da für Trump Allianzen wie die NATO keinen besonderen Wert hätten, sei zu befürchten, dass er der Ukraine die Unterstützung entziehen könnte. Dass er sich eventuell auf einen "schnellen Deal" mit Putin einlässt. Und das ginge in erster Konsequenz zulasten der Ukraine, aber dann eben auch zu unseren Lasten.
An allen Ecken und Enden wird gerade an unserer wunderschönen Welt gesägt - mehr als noch vor einiger Zeit. Wir müssten dringend zusammenhalten und uns gegen die schlechten Mächte verbünden. Wir kehren deswegen also dieses Wochenende vor unserer eigenen Haustür, weisen - zum Beispiel - AfD & Co. in ihre Schranken und denken über Gabriels Rat: "Hope for the best, prepare for the worst" nach.
Und: Finger weg vom Handy im Bett!
Quelle: ntv.de