Aus der Schmoll-Ecke Und zack, schon ist man ein rechter Bösewicht


Gleich hier oben möchten wir schon mal klarstellen: Der Kolumnist ist ein Sehr-Gutmensch.
(Foto: IMAGO/imagebroker)
Wer hierzulande "Staatsversagen" oder auch nur einzelne Fehlentwicklungen kritisiert, wird gerne als "rechtspopulistisch" abgestempelt. CDUler sind sogar "Nazis mit Substanz". Linkspopulismus kennt Deutschland wiederum nicht, den gibt es maximal in Spanien oder Südamerika.
Guten Tag, Freunde der Schmoll-Ecke, ich heiße Sie willkommen in meiner kruden Gedankenwelt. Guddn Daach, Froinnde dr Schmoll-Egge, isch heeße Sie willgomm in meenr grudn Gedangnweld. "Das war Sächsisch", würde es nun in der "Sendung mit der Maus" heißen. Lachen Sie nicht! Mein ostzonaler Akzent erzeugt Misstrauen und macht es mir bisweilen schwer, als das er- und anerkannt zu werden, was ich trotz meines Sprachdefekts zweifelsohne bin: ein Sehr-Gutmensch. Deshalb sage ich neuerdings in beruflichen Gesprächen mit mir bis dato Unbekannten gerne zur Vorstellung meiner Person: "Ich gehöre zu den wenigen Sachsen, die nicht AfD wählen." Das lockert die Stimmung, bricht das Eis und lässt mich sympathisch erscheinen.
Ich lüfte also partiell mein Wahlgeheimnis, weil ich weiß, dass Leute, die eventuell mit mir zusammenarbeiten wollen, sich in den Weiten des Internets darüber informieren, ob ich politische Untiefen habe. Dann kann es durchaus passieren, dass ich durchs Raster plumpse/ blumbse, da Google Ihnen meine Kolumnen und Kommentare für ntv.de präsentiert, in denen ich die fortschrittlichste Fortschrittskoalition der Welt nicht gerade lobe, die Heilige Annalena ärgere, mich aber über das Gendern lustig mache und auf seltsame Entwicklungen in der Gesellschaft verweise, was Tolerante weniger gerne lesen.
Es gibt Tolerante - einige, längst nicht alle! - die nach Lektüre meiner Wortgirlanden schlussfolgern, dass ich auf der falschen Seite stehe, was eine Kooperation mit mir verunmöglicht, während sie Bücher lesen, in denen für Toleranz geworben wird und in denen steht, dass die Cancel Culture eine Erfindung derjenigen ist, die intolerant sind und Rückschritt für Fortschritt halten. Wer wie ich glaubt, dass merkwürdige Endungen und Sterne hinter oder zwischen Wörtern die winzige Welt des deutschsprachigen Raums nicht besser machen, sondern Erziehung und Bildung das A und O einer fairen und hoffentlich gerechte(re)n Gesellschaft sind, gerät automatisch unter Verdacht, ein rechter Bösewicht zu sein.
"Das 'Wir' in 'Wir schaffen das'"
Eine Leserin, die mir erklärte, warum das Gendern die Menschheit in das nächsthöhere Level des Zusammenseins der Geschlechter bringen wird, ordnete mich dem "rechten Spektrum" zu, nach dem Motto: Sich von der AfD zu distanzieren, reicht nicht. Wer nicht gendert, ist reaktionär und antiquiert, kurzum: ein alter weißer Mann. Das kenne ich nur zu gut. Ich, ein tadelloser Sehr-Gutmensch in der Mitte der Gesellschaft, bin schon mehrfach als "Rechter" ertappt worden. Als ich es wagte, während der Flüchtlingswelle die Vermutung kundzutun, dass "wir" klären müssen, wer mit "wir" in "Wir schaffen das" gemeint ist, Königin Angela die Fehlbare dafür sorgen wird, dass Deutschland und die EU das Asylrecht schleifen, Europa Mauern errichten und die AfD ungeahnte Höhen erreichen wird, ging ich als verkappte Nazi-Sau durch. Schlecht lag ich nicht mit meiner Prognose, wie wir gerade sehen.
Seither sage ich immer brav: "Nicht falsch verstehen." Muss man heutzutage. Denn das absichtliche Falschverstehen gehört zu unserer Gesellschaft wie der Sand ins Getriebe. Bei jedem Hauch von Islam-Kritik folgt ein: "Nicht falsch verstehen." Und dann kommt: "Nicht alle Muslime sind Terroristen." Wer aber geht überhaupt davon aus? Sind alle Österreicher größenwahnsinnige Massenmörder, weil Hitler vom Volke der Österreicher abstammt? Sind alle Katholiken Kinderschänder? Sind alle Römer Schweine, weil sie Jesus ans Kreuz genagelt haben? Nicht falsch verstehen: Ich will Muslime nicht mit Hitler, Österreichern, Katholiken und Römern gleichsetzen. Das dient nur der Veranschaulichung meiner Meinung.
"Ganz schön mittig"
Unvergessen ist ein Essen im Sommer 2020 bei einer Freundin, bei dem ich es wagte zu sagen, dass ich - da total unwissend bei dem Thema - es selbst nicht (rpt. NICHT) beurteilen kann, ob es sinnvoll ist, die Atomkraftwerke weiterzubetreiben, aber ich es für angebracht halte, dass Fachleute darüber diskutieren, da es scheinbar plausible Argument wie den Klimaschutz gibt. Ich wäre fast gelyncht worden. Im Sommer sagte mir eine Freundin: "Das ist ja schon ganz schön rechts, was du manchmal schreibst". Seltsam, dass mir noch nie jemand gesagt hat, wenn ich Maßnahmen zum Klimaschutz fordere, mich für die Ukraine einsetze oder mich für den Erhalt der Demokratie starkmache: "Das ist ja schon ganz schön mittig, was du da manchmal schreibst".
Mein Freund Hans-Jürgen Moritz, der für "Focus" aus Brüssel berichtet, erlebt momentan Ähnliches. Gerade ist sein Buch mit dem Titel "Staatsversagen" erschienen. Es ist eine Streitschrift: schlau, witzig, mal gallig, mal polemisch, wenn er etwa meint: "Aus der Gütemarke 'Made in Germany' ist 'Blöd in Germany' geworden." Kann man drüber diskutieren, weshalb es auch Debattenbuch heißt. Die Fragen, die mein Freund in seinem Buch stellt, sind alle berechtigt. Eine Frau, die es von Berufs wegen las, bescheinigte ihm aber erst einmal "Rechtspopulismus". Als mir Hans-Jürgen davon erzählte, musste ich lachen und heulen. Wenn er rechts ist, bin ich - gemessen daran - tatsächlich ein Neonazi. Und auch der Verlag, in dem es erschien, hat so viel mit "rechts" zu tun wie ein Eisbär mit der Sahara.
Aber so ist das heute. Gehen Sie einmal in Ihren Buchladen und schauen Sie, ob "Staatsversagen" ausliegt. Ich bin gespannt. Denn Werke unter "Rechtspopulismus"-Verdacht sind selten im Angebot, es sei denn, das Geschäft hat eine geheime Kammer des Schreckens. Obwohl sehr redegewandt und politisch bestens informiert, wird Hans-Jürgen auch niemals Sonntagabend zum CDU-Grillfest bei Anne Will oder wochentags nach 23.00 Uhr vom Südtiroler in seine Sendung eingeladen werden. Dazu müsste er Pseudophilosoph sein.
Nicht falsch verstehen: Ich will die scharf rechten Tendenzen hierzulande weder klein- noch schönreden. Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, die Verachtung demokratisch legitimierter Prozesse und Institutionen, völkische Positionen, Rassismus, Schwulen- und Lesbenhass, die Verharmlosung des Holocausts, gar seine Leugnung, nehmen zu, was brandgefährlich ist. Ich mache mir ernsthaft Sorgen, wohin das alles führt. Aber jede Kritik an Fehlentwicklungen immer gleich als "rechtspopulistisch" zu markieren und den Verkünder der schlechten Botschaft verbal ins Reich des Bösen zu befördern, auch um die Debatte über den Inhalt des Gesagten oder Geschriebenen zum Erliegen zu bringen, haut nicht hin. Wie wir sehen, geht es nach hinten los.
Merkwürdig ist auch die Schieflage: Haben Sie schon erlebt, dass Innenministerin Nancy Faeser "Linkspopulistin" genannt wird, wenn sie trotz des Verbots der Sippenhaft in Deutschland ehrlich und redlich lebende Angehörige von Clan-Verbrechern kollektiv abschieben will? Nein? Wundern Sie sich nicht. Denn Linkspopulismus kennt dieses Land nicht, den gibt es maximal in Spanien oder Südamerika. Die Bösen fangen bei der CDU an, das sind die "Nazis mit Substanz". Oder bei Leuten wie meinem Kumpel Hans-Jürgen oder mir: echte Mitte-Schweine.
Quelle: ntv.de