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Bericht zeigt Zustand der Erde "Wir sägen den Ast ab, auf dem wir sitzen"

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Der Lebensraum des Eisbären schrumpft durch den Klimawandel in rasantem Tempo.

(Foto: imago stock&people)

Mehr als die Hälfte der weltweiten Tierarten, 52 Prozent, sind bereits ausgerottet. Täglich werden es mehr. Das Artensterben ist ein enormes Problem. Daran ist nicht nur der Klimawandel schuld. Der Mensch richtet die Erde zugrunde. Um seine derzeitigen Bedürfnisse zu decken, müssten 1,5 Erden zur Verfügung stehen. Doch "es gibt nur eine Erde, und mit der müssen wir klarkommen", erklärt TV-Moderator und Umweltaktivist Dirk Steffens im Interview mit n-tv.de. Auf der "Living Planet Tour" stellt er den neuesten Bericht des WWF vor.

n-tv.de: Sie haben mehr als 120 Länder bereist. Welche Umweltkatastrophe hat Sie am stärksten beeindruckt?

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Elefanten sind Dirk Steffens Lieblingstiere, doch die Dickhäuter sind bedroht.

Dirk Steffens: Das Schlimme ist, dass es gar nicht mehr das eine Ereignis gibt, sondern ich hundert aufzählen könnte, weil die Umweltkatastrophe inzwischen eine einzige globale ist. Egal, wo ich hinfahre, sehe ich die desaströsen Folgen der Ressourcenverschwendung und der Verschmutzung der Umwelt. Für die Natur spielen Landesgrenzen nun mal keine Rolle.

Können Sie vielleicht trotzdem einen Ort benennen, an dem es besonders schlimm war?

Ich habe in Palau, einem kleinen Südseestaat und einem der schönsten Tauchreviere der Welt, 1995 zum ersten Mal die Korallenriffe gesehen. Einige Jahre später war ich wieder da und eine Korallenbleiche infolge gestiegener Temperaturen hatte ganze Riffe in Todeszonen verwandelt. Das war eines meiner Schlüsselerlebnisse. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie schnell auch große Naturlandschaften kaputt gehen können.

Was ist mit den Gletschern?

Ich war gerade erst in den Rocky Mountains und habe mich dort mit einem Eisforscher getroffen. Im kanadischen Teil des Gebirges schmelzen die Gletscher so schnell, dass die Landwirtschaft bereits riesige Probleme hat. Im Frühjahr gibt es Überflutungen und im Sommer nicht genug Wasser, weil die Gletscher als Wasserspeicher wegfallen. Der Klimawandel läuft im Norden der Welt sehr viel schneller ab als bei uns. In Kanada ist es in dieser Region bereits vier Grad wärmer geworden, bei uns nur um ein Grad.

Sie leben an der Nordsee. Wie gehen die Menschen dort mit dem Meeresspiegel-Anstieg um?

In Nordstrand in Schleswig-Holstein bauen wir den ersten Klimadeich Deutschlands. Der ist nicht einmal 2,5 Kilometer lang, kostet aber 27 Millionen Euro. Bedingt durch den Klimawandel reichen die alten Deiche nicht mehr aus. Wir müssen aufrüsten, und das ist unglaublich teuer. Allein in Schleswig-Holstein haben wir 2000 Kilometer Küstenlinie. Sie können sich vorstellen, was das finanziell bedeutet.

Was ist der erste Schritt zur Besserung?

Darauf gibt es keine einfache Antwort. Das ist genau das Problem. Natürlich ist so etwas wie die Klimakonferenz in Paris ein guter Ansatz. Aber der Klimawandel ist nur eines von mehreren großen Problemen. Über das Artensterben wird nur wenig gesprochen, dabei könnte es für uns Menschen zu einem existenziellen Problem werden.

Warum bedroht das Artensterben den Menschen?

Wenn zu viele Arten aussterben, dann haben wir nichts mehr zu essen. 86 Prozent aller Nahrungspflanzen, die wir zu uns nehmen, brauchen Bestäubungsinsekten. Also ohne Bienen keine Äpfel. Die Biodiversität stellt uns aber auch Atemluft zur Verfügung. Ohne Pflanzen keine Atemluft. Ganz viele Tiere ermöglichen erst die Landwirtschaft. Und wenn wir in diese ökologischen Kreisläufe so eingreifen, dass sie nicht mehr funktionieren, dann sägen wir buchstäblich den Ast ab, auf dem wir sitzen.

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Mehr als 120 Länder hat der Naturfilmer und TV-Moderator bereist.

Könnte man das Artensterben nicht auch auf natürliche Selektion zurückführen - nach Darwins Prämisse "Der Anpassungsfähigste setzt sich durch"?

Die Veränderungen, die wir herbeiführen, sind so schnell, dass die natürliche Anpassung an vielen Orten versagt. Wenn sie beispielsweise ein Eisbärenpaar in der Arktis einfangen und in die afrikanische Wüste fliegen würden, wären die Kinder dieser Tiere immer noch keine Savannentiere, die mit der Hitze umgehen könnten. Sie bleiben Eisbären. Anpassung in der Evolution braucht also Zeit. Bei dem durch uns verursachten extremen Wandel reicht die Zeit für viele Tiere und Pflanzen möglicherweise nicht aus.

Sie sehen Ressourcenverschwendung auf der ganzen Welt. Was können wir besser machen? Wer ist internationales Vorbild?

Deutschland hat seine Treibhausgas-Emissionen innerhalb von etwa 25 Jahren um ein Viertel gesenkt, und diese Zahl kann kein anderes Industrieland vorweisen. Ich bin viel auf Reisen und beobachte, dass die ganze Welt gebannt auf Deutschland schaut, ob wir die Energiewende hinbekommen. Deutschland ist wie ein Labor für neue Umwelttechnologien. Ist es möglich, dass ein großes Industrieland es schafft, die Wirtschaft zu dekarbonisieren? Das ist das große Experiment, und Deutschland hat in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle. In diesem Punkt bin ich richtig stolz auf mein Land.

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Um Teil des Wolfsrudels zu sein, lässt sich Steffens auch gerne auf feuchte Küsse ein.

Und wie kann jeder Einzelne Ressourcen einsparen?

Pauschale Ratschläge sind meistens falsch, weil sie für den einen richtig sein können, für den anderen aber nicht. Wenn man zum Beispiel mitten in Berlin wohnt, kann man auf ein Auto verzichten. Wenn man aber in einem kleinen Dorf lebt, braucht man das Auto, um seine Kinder zur Schule zu fahren oder einzukaufen. Auf komplexe Probleme gibt es keine einfachen Antworten. Der eine isst vielleicht mehr Biolebensmittel, der andere weniger Fleisch, der Dritte kauft sich ein anderes Auto, der Vierte fährt Fahrrad, und der Fünfte gestaltet seinen Urlaub anders. Man kann auch auf Plastiktüten verzichten. Jeder von uns kann mindestens hundert Mal am Tag wählen, ob er mehr Nachhaltigkeit will oder nicht.

Gibt es einen Bereich, in dem Sie Ihre eigene Ökobilanz verbessern könnten?

Meine persönliche Sauerei sind Fischbrötchen. Als Hamburger liebe ich Fischbrötchen und esse sie öfter, als es für die Natur gut wäre. Fleisch esse ich seit Jahren nicht mehr. Landwirtschaft, und dabei vor allem die Viehwirtschaft, ist inzwischen ein größerer Treibhausgasproduzent als der gesamte Verkehrssektor der Welt. Ich predige nicht den absoluten Verzicht, aber einen bewussteren Umgang mit Fleisch wünsche ich mir schon. Einmal in der Woche kein Fleisch spart ungefähr so viele Treibhausgase ein wie 900 Kilometer Autoverzicht. Man sollte anerkennen, dass Fleisch ein hochwertiges Lebensmittel ist und nicht wie billige Ramschware dreimal am Tag konsumiert werden muss. Wenn wir uns auf das für uns gesunde Maß reduzieren würden, wäre der Umwelt sehr geholfen.

Die Gruppe der Klimawandel-Leugner wird präsenter. Donald Trump bezeichnet die Erderwärmung beispielsweise als "Bullshit".

Wenn man sich auf dem wissenschaftlichen Niveau von Donald Trump bewegt, dann mag man dieser Meinung sein. Aber der wissenschaftliche Konsens auf der Welt ist ganz zweifelsfrei ein anderer: Es gibt einen Klimawandel, und dieser ist von den Menschen mindestens deutlich beschleunigt, wenn nicht gar verursacht.

Ist das Leugnen des Klimawandels denn eine neue Ideologie oder ein Ausdruck von Angst, dass es die Welt in ihrem derzeitigen Zustand irgendwann nicht mehr geben könnte?

Ich glaube, beides trifft zu. Bei Menschen wie Trump ist es der Versuch, mit falschen Parolen Wählerstimmen zu fangen. Und bei anderen ist die Realitätsverweigerung sicherlich ein Ausdruck von Überforderung und Angst. Prinzipiell bin ich aber froh, dass es Klimakritiker gibt, denn das sorgt für mediale Aufmerksamkeit. Zudem spornt es Wissenschaftler an, immer mehr Beweise für den vom Menschen verursachten Klimawandel vorzulegen. Und genau das tun sie.

Der Mensch dringt immer weiter in unser Sonnensystem vor. Irgendwann soll er den Mars erreichen. Macht das unseren Planeten nicht überflüssig?

Ich bin kein Astrophysiker. Soweit ich das beurteilen kann, wird es in absehbarer Zeit unmöglich bleiben, den Weltraum zu kolonisieren. Wir können vielleicht eine bemannte Mission zum Mars schicken oder vielleicht auch eine permanente Station aufbauen. Aber die Möglichkeit, dass 7,3 Milliarden Menschen die Erde verlassen und woanders hinziehen, gibt es nicht. Es gibt nur eine Erde, und mit der müssen wir klarkommen.

Sie behaupten, es könne Spaß machen, die Erde zu retten.

Klar! Das fängt schon bei der Ernährung an. Wenn man zum Beispiel biologische Produkte isst, entwickelt man ein ganz anderes Bewusstsein für Essen. Es schmeckt einfach wieder besser. Und es ist zutiefst befriedigend für Menschen, etwas Sinnvolles zu tun. Es ist ein schönes Gefühl, etwas zu tun, dass das Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen sichert. Das ist befriedigender als ein dickes Bankkonto oder ein größeres Auto.

Mit Dirk Steffens sprach Lisa Schwesig

Dirk Steffens ist derzeit mit der "Living Planet Tour 2016" quer durch Deutschland unterwegs.

Quelle: ntv.de

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