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Diabetes und Bluthochdruck Zucker beeinflusst schon beim Fötus spätere Gesundheit

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Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung gibt für Schwangere keine speziellen Grenzwerte für Zucker an.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung gibt für Schwangere keine speziellen Grenzwerte für Zucker an.

(Foto: IMAGO/Panthermedia)

In Großbritannien wurde Zucker bis 1953 rationiert. Ein Forschungsteam zeigt nun anhand britischer Daten, dass die Menge an Zucker, die ein Mensch im Mutterleib und bis zum zweiten Geburtstag bekommt, eine Rolle für die spätere Vorliebe für Süßes und für die spätere Gesundheit spielt.

Die Zuckermenge, die ein Mensch im Mutterleib und bis zum zweiten Geburtstag bekommt, spielt bereits eine Rolle für die spätere Gesundheit. Das hat eine Forschungsgruppe eindrucksvoll anhand von Daten aus Großbritannien gezeigt, wo Zucker bis September 1953 staatlich rationiert worden war.

Die Begrenzung des Zuckers innerhalb von 1000 Tagen nach der Empfängnis habe das Risiko, als Erwachsener Diabetes Typ 2 zu bekommen, in der Studie um 35 Prozent reduziert. Das Risiko für Bluthochdruck sei um 20 Prozent geringer, berichtet die US-amerikanische-kanadische Gruppe im Fachjournal "Science".

Zucker-Rationierung nach dem Krieg

In Großbritannien war Zucker kriegs- und nachkriegsbedingt mehr als zehn Jahre lang bis September 1953 staatlich rationiert worden. Auch in Deutschland war der Kauf von Lebensmitteln damals jahrelang eingeschränkt. Mithilfe der umfassenden Biobank von Großbritannien konnten die Forschenden dort nun Erwachsene vergleichen, die kurz vor oder nach dem Ende der Rationierung gezeugt worden waren.

Die drei Ökonomen um Tadeja Gracner von der University of Southern California in Los Angeles nutzte Daten von mehr als 60.000 Menschen. Diese waren von Oktober 1951 bis 1956 geboren worden und zum Analysezeitpunkt 51 bis 66 Jahre alt. Knapp 4000 von ihnen hatten die Diagnose Diabetes Typ 2 und 19.644 nachgewiesenen Bluthochdruck.

Die Unterschiede im Krankheitsrisiko zeigten sich erstmals, als die Probanden Mitte 50 waren. Die größten Unterschiede wurden in der Studie nach dem Alter von 60 Jahren beobachtet.

Rapide Zunahme nach dem Ende der Rationierung

Während der Rationierung entsprach die erlaubte Zuckermenge für Erwachsene der Studie zufolge etwa den heutigen Ernährungsempfehlungen. Konkret seien es damals täglich weniger als 40 Gramm freier Zucker für Erwachsene gewesen, weniger als 15 Gramm für Kinder und keine Zuckerabgabe an Kinder unter zwei Jahren.

Mit dem Ende der Rationierung stieg der Zuckerkonsum in Großbritannien bei Erwachsenen jedoch rasch auf das Doppelte: von täglich im Schnitt 41 Gramm im ersten Quartal 1953 auf etwa 80 Gramm im dritten Quartal 1954.

Auch die Kalorienaufnahme insgesamt sei stark gestiegen. Rund 77 Prozent davon führt das Team dabei auf den erhöhten Zuckerkonsum zurück. Obwohl auch die Rationierung anderer Nahrungsmittel in den 1950er Jahren aufgehoben worden sei, habe sich deren Konsum nicht oder nur gering verändert.

Die Menge an Fett sei nur wenig gestiegen. So sei etwa Margarine durch Butter ersetzt worden, was im Fettgehalt kaum einen Unterschied mache. Die Menge an Frühstücksflocken und Proteinen blieb laut Studie unverändert. Zudem sei etwas weniger Fisch, dafür etwas mehr Fleisch gegessen worden.

Anerzogener süßer Zahn

Die Ergebnisse stimmen nach Angaben der Forschenden mit denen aus Tierversuchen überein und mit der Hypothese zum fetalen Ursprung von Erkrankungen im Erwachsenenalter (FOAD-Hypothese/fetal origins of adult disease). Demnach können bestimmte Faktoren die Programmierung des Genoms von Föten im Mutterleib beeinflussen und so mitbestimmen, welche Gene später einmal aktiv werden und welche nicht.

Zudem könne eine frühzeitige Zuckergabe die Gesundheit beeinträchtigen, indem sie eine lebenslange Vorliebe für Süßes verstärkt. "Insbesondere das Säuglings- und Kleinkindalter sind kritische Zeiträume für die Entwicklung einer Vorliebe für Süßigkeiten (oder sogar einer Sucht), die den Zuckerkonsum während des gesamten Lebens erhöhen kann", schreibt das Team mit Verweis auf frühere Studien. "Wir haben festgestellt, dass die Einschränkung des Zuckerkonsums über die Schwangerschaft hinaus zu einer Verbesserung der Gesundheit führt."

Allein die Rationierung von Zucker im Mutterleib trug nach Angaben des Teams zu etwa einem Drittel der Risikominderung für Diabetes Typ 2 bei. Die schützende Wirkung der Zuckerrestriktion habe sich vor allem verstärkt, wenn sie über das Alter von sechs Monaten hinaus verlängert wurde - danach beginne typischerweise die Einführung fester Nahrung. Die Rationierung von Zucker nach der Geburt verminderte nach Angaben der Forscherinnen und Forscher zudem das Risiko für Fettleibigkeit.

Studiendaten zeigen Rolle früher Prävention

Deutsche Forscherinnen und Forscher erklären, dass die Ergebnisse der Studie durchaus beeindruckend und in hohem Maße relevant sind. Rachel Lippert, Leiterin der Nachwuchsgruppe Neuronale Schaltkreise am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) meint zum Beispiel, ein so klarer Effekt allein durch Zucker verdeutliche die entscheidende Rolle dieses Nährstoffs in der frühen Entwicklung. Andere Forschende sind etwas vorsichtiger und bemerken, dass sich die in der Studie untersuchten Kohorten nicht nur in Bezug auf die Rationierung unterscheiden könnten, sondern auch in anderen gesundheitsrelevanten Faktoren.

Regina Ensenauer, Leiterin des Instituts für Kinderernährung, am Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, sieht in der Studie eine weitere Bestätigung darin, dass sehr früh mit Prävention begonnen werden müsse. "Wenn es begrenzte Ressourcen für Prävention gibt, dann bekräftigt die Studie, dass man sie in diese frühe Phase stecken sollte."

Empfehlungen zu Zuckerkonsum heute

Eine konkrete Ernährungsempfehlung gibt das Team der Studie nicht. Es sei weitere Forschung erforderlich, um die optimalen Mengen an Zucker während der Schwangerschaft, Stillzeit und nach der Einführung von fester Nahrung zu ermitteln.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät in Absprache mit anderen Fachverbänden, dass Mädchen im Alter von ein bis drei Jahren höchstens 27,5 Gramm Zucker pro Tag erhalten sollten, Jungen in dem Alter bis zu 30 Gramm. Frauen ab 51 Jahren sollten maximal 42,5 Gramm Zucker pro Tag konsumieren, Männer von 51 bis 64 Jahren 55 Gramm, danach 52,5 Gramm. Zu den Mengenangaben zählt die DGE zum einen kristallinen Zucker, aber auch solchen, der Lebensmitteln zugesetzt wird oder etwa in Fruchtsäften und Honig steckt.

Der tatsächliche Zuckerkonsum in Deutschland liegt höher: Laut der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung sind es 33,2 Kilogramm pro Kopf und Jahr, das entspricht ungefähr 91 Gramm pro Tag.

Kinderernährung-Institutsleiterin Ensenauer bemerkt, dass die DGE für Schwangere keine speziellen Grenzwerte angibt. Sie empfiehlt lediglich, sparsam Süßigkeiten und zuckerhaltige Getränke und Snackprodukte zu konsumieren. Eine aktualisierte Leitlinie zu Adipositas in der Schwangerschaft solle das Thema stärker behandeln als bisher, rät Ensenauer. Lippert vom DIfE fügt hinzu, dass die meisten Menschen auch den verfügbaren Leitlinien nicht folgten.

"Man muss die Ernährung zu einem wichtigen Thema machen. Durch Prävention kann hier viel - das heißt, auch schwere Erkrankungen - verhindert werden", sagt Ensenauer. "Ganz nach dem Motto: Am Anfang des Lebens spielt die Musik."

Quelle: ntv.de, Simone Humml, dpa

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