Frage & Antwort

Mehr ist nicht unbedingt besser Profitieren Langschläfer von Corona-Maßnahmen?

Eule oder Lerche? Der sogenannte Chronotyp entscheidet.

Eule oder Lerche? Der sogenannte Chronotyp entscheidet.

(Foto: picture alliance / Zoonar)

Wegen der Corona-Maßnahmen konnte es sein, dass in den vergangenen Monaten die Fahrt zu Schule oder Arbeit wegfällt. Viele können dann länger schlafen. Besonders für Nachteulen wird das Homeoffice zur Erleichterung. Doch nicht alles ist besser geworden, sagt Schlafforscherin Helen Slawik.

Der Wecker klingelt, doch der Weg zur Arbeit ist keine fünfzehn Meter lang. Seit Pandemiebeginn haben sich viele Dinge verändert. Es kam vor, dass wegen des Homeschoolings und -offices Klassenräume und Büros leer blieben. Morgens fiel die Fahrt weg, gelernt und gearbeitet wird in den eigenen vier Wänden. Viele können dadurch länger schlafen, aber haben sie von diesen Corona-Maßnahmen auch profitiert?

"Es zeigt sich, dass der soziale Jetlag, also der Unterschied zwischen den sozialen Anforderungen und dem eigenen Chronotypen, geringer wird", sagt Helen Slawik zu ntv.de. Sie ist Oberärztin in der Schlafambulanz der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Der Chronotyp ist sowas wie die innere Uhr.

"Es gibt drei Schlaftypen", sagt die Expertin. "Da wären zum einen der 'Normaltyp', also der indifferente Chronotyp, der Morgen- und der Abendtyp, die auch Lerche und Eule genannt werden." Wer was ist, lege das Erbgut fest. "Allerdings ist das noch nicht ganz verstanden, dort spielen verschiedene Gene eine Rolle", sagt Slawik.

Nun geben die Corona-Maßnahmen mehr Menschen die Möglichkeit, ihrem eigenen Schlafrhythmus zu folgen. Grundsätzlich ist das eine gute Sache, aber es zeigt sich auch, "dass die Bettzeiten zwar länger werden, aber nicht unbedingt die Schlafqualität besser wird". Denn: "Wenn ich länger schlafen kann, heißt das nicht, dass ich kontinuierlicher und tiefer schlafe", erklärt die Schlafforscherin.

Zehn, elf Stunden Schlaf unrealistisch

Es sei nichts Ungewöhnliches, immer wieder aufzuwachen, wenn man sich länger als acht Stunden im Bett befindet, sagt die Expertin. Ob dafür der Corona-Stress verantwortlich ist, sei nicht bekannt. Es könnte auch die neu gewonnene Bettzeit sein. "Es kommt darauf an, wie Schlafqualität erfasst wird", sagt Slawik. So könnte das sporadische Aufwachen subjektiv als schlechterer Schlaf wahrgenommen werden. Egal, wie lange man im Bett liege, die Schlafzeit bleibe gleich, erklärt Slawik.

Das Phänomen könne immer wieder bei älteren Menschen beobachtet werden. "Sie haben weniger Aktivitäten am Tag und legen sich öfter hin wegen körperlicher Beschwerden. Sie liegen nicht selten zehn, elf Stunden im Bett", sagt die Schlafforscherin. Obwohl der Schlaf im Alter weniger tief und kontinuierlich sei, führe auch die lange Bettzeit zum nächtlichen Wachliegen. Denn der Wunsch, zehn, elf Stunden zu schlafen, sei unrealistisch, sagt Slawik. Diese Effekte würden in der Forschung auch in Hinblick auf längere Bettzeiten im Lockdown diskutiert.

Dass zumindest das virtuelle Lernen mehr Nachtruhe brachte, verdeutlicht eine Studie der Universität Zürich. Forschende haben Tausende Schülerinnen und Schülern nach ihrem Schlafverhalten während der Schulschließungen zum Pandemiebeginn 2020 befragt. Das Ergebnis: "Während des Lockdowns haben die Schülerinnen und Schüler etwa 75 Minuten mehr Schlaf bekommen", sagte Co-Studienleiter Oskar Jenni in einer Mitteilung. Sie seien etwa nur eine Viertelstunde später zu Bett gegen und hätten morgens anderthalb Stunden mehr Zeit gehabt, bis der Wecker klingelt.

Auf der anderen Seite stehen die negativen Folgen der Schulschließungen. Stress zu Hause, Schwierigkeiten beim Lernen oder psychische Erkrankungen: Der längere Schlaf wiegt das nicht auf. Doch es lassen sich Schlussfolgerungen auf das Leben nach den Corona-Maßnahmen ziehen. "Unsere Ergebnisse deuten klar auf die Vorteile hin, dass die Schule später anfangen sollte, damit die Heranwachsenden mehr Schlaf bekommen können", sagte Studien-Co-Leiter Jenni. Für diese Erkenntnisse gibt es auch eine biologische Erklärung: die innere Uhr der Pubertierenden. "In der Regel sind Jugendliche Spättypen", sagt Expertin Slawik.

Eulen haben es nicht leicht

Für Menschen, die ihr Leben lang Spättypen bleiben, wird es nicht leichter. "Unsere Gesellschaft ist eher auf Früh-Typen ausgelegt. Das bedeutet: Nachteulen leben quasi unter einem konstanten Jetlag", sagte Schlafforscherin Christina Blume im Deutschlandfunk. Ihre Kollegin Slawik pflichtet ihr bei. "Für Spättypen ist es stressiger", erklärt die Schlafforscherin. Sie neigten eher zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen. Jedoch ist unklar, welcher Zusammenhang dort besteht. "Man weiß noch nicht, ob dafür die Gene verantwortlich sind oder der Stress, der durch gesellschaftliche Zwänge verursacht wird", sagt Slawik.

Doch bei diesem Stress könnten die Corona-Maßnahmen helfen. "Schon jetzt hat sich gezeigt, dass sich die Menschen mehr Flexibilität durch Homeoffice wünschen. Es ist gut, dass Menschen ihrem Chronotypen eher folgen können", erklärt die Expertin. Gleichzeitig mahnt sie, dass der Wegfall sozialer Strukturen auch Nachteile haben könne. Etwa weil schlechte Gewohnheiten weniger begrenzt würden oder es schwieriger sei, Beruf und das Zuhause zu trennen. "Es ist immer gut abzugleichen, was für die jeweilige Person gerade gut ist."

Übrigens: Um den eigenen Chronotypen zu erfahren, braucht es nicht unbedingt aufwendige Untersuchungen. Schlafforscherin Slawik hat dafür einen Tipp. "Wenn ich einfach ein, zwei Wochen in der Natur wandern gehe, merke ich, dass ich mich an einen gewissen Rhythmus anpasse." Nur für die, die jahrelang im Schichtdienst gearbeitet haben, könnte es schwieriger sein, weil da der Rhythmus durcheinander käme.

Quelle: ntv.de

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