Frage & Antwort

Nur noch schlechte Nachrichten Was hilft gegen Doomscrolling?

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Soziale Netzwerke bieten Dauerbeschallung in Endlosschleife. Gesund ist das nicht.

(Foto: picture alliance / photothek)

Wenn negative Nachrichten auf die Funktionsweise sozialer Medien treffen, dann gibt es dafür einen Begriff: Doomscrolling. Der Dauerkonsum kann nicht nur belasten, sondern im Extremfall zu psychischen Erkrankungen führen. Doch es gibt Wege, dem entgegenzuwirken.

Die schlechten Nachrichten nehmen kein Ende, so scheint es in diesen Zeiten. Mehr als zwei Jahre Corona-Pandemie liegen hinter uns, in denen das unsichtbare Virus vormals unbekannte Ängste ausgelöst hat. Und dann der Krieg. Seit über zwei Monaten tobt er, mitten in Europa. Ein mit dem Eisernen Vorhang begraben gedachtes Atomkriegs-Szenario ist plötzlich wieder im Bereich des Möglichen und damit in unseren Köpfen. Wir sehen vom heimischen Bildschirm aus, wie nur einige Flugstunden von Deutschland entfernt grausamste Massaker an der ukrainischen Zivilbevölkerung verübt werden. Das, es lässt sich nicht von der Hand weisen, macht was mit einem.

Das Marktforschungsinstitut Rheingold drückt das in einer tiefenpsychologischen Untersuchung wie folgt aus: "Die Krisenpermanenz, die vor allem junge Menschen als eine nicht enden wollende Dauerkrise erleben, hat eine neue Dimension bekommen, die auch die bisherigen Sorgen um Corona weitgehend überdeckt: Wir geraten von einer Katastrophe in die nächste schlimmere."

Durch die ständigen Hiobsbotschaften macht sich bei vielen Menschen ein Gefühl der Hilflosigkeit breit. Weil Handlungsmöglichkeiten fehlen, ist die Reaktion häufig: Dauerhafte Informationsbeschaffung, um stets "up to date" zu sein und zugleich auf die gute Nachricht, die Erlösung hoffen. Wenn die allerdings ausbleibt, wie es bei komplexen Themen naturgemäß oft der Fall ist, kann das dazu führen, dass Menschen sich den negativen Themen förmlich hingeben. "Unser Gehirn hat eine Aufgabe: Uns am Leben zu halten", erklärt Maren Urner im Gespräch mit ntv.de. "Es ist optimiert, auf negative Nachrichten schneller, besser und intensiver zu reagieren als auf positive und neutrale Nachrichten", so die Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpsychologie.

Bad News in Dauerschleife

Ein urzeitliches Phänomen also, welches uns eigentlich schützen soll. Die Logik dahinter: Umso mehr ich über eine potenzielle Gefahrensituation weiß, desto besser bin ich darauf vorbereitet. Irgendwann stößt diese Denke jedoch an ihre Grenzen. Denn Menschen laufen Gefahr, im Strudel der Informationen zu versinken, besonders wenn die negativen Nachrichten auf soziale Medien treffen. Die "Timelines", "Feeds" und "For you pages" sind endlos, in Kombination mit dem personalisierten Algorithmus werden wir mit immer neuen Inhalten gefüttert, die uns so lange wie möglich an der digitalen Stange halten sollen. Doomscrolling nennt sich diese Dauerschleife, also "Untergangsscrolling". Die Quelle der Information ist dabei oft egal, was zählt, ist Input.

Der exzessive Konsum negativer Nachrichten kann zu einer regelrechten Sucht werden, aus der sich nicht nur oftmals ein pessimistisches Weltbild herausbildet, sondern die auch die Entstehung ernsthafter Krankheiten fördern kann. "Sind wir im Zustand der erlernten Hilflosigkeit und haben das Gefühl, sowieso nichts in der Welt ändern zu können, werden wir tatsächlich passiv. Gleichzeitig sind der damit einhergehende Stress und Kontrollverlust Risikofaktoren für zahlreiche psychische und chronische Krankheiten", sagt Urner. Insbesondere bei Menschen, deren Psyche bereits vorbelastet ist, kann Doomscrolling zu mehr Sorgen, Schlafstörungen oder Stress führen, erläutert die Barmer Krankenkasse das Phänomen.

Zu einem ähnlichen Schluss kommt eine Studie der Berliner Charité aus dem Jahr 2020. Menschen, die übermäßig mediale Inhalte zur Corona-Pandemie konsumierten, wiesen häufiger Symptome einer Depression oder Angststörung auf. "Besonders die Nutzung von Social Media war mit einer stärkeren psychischen Belastung verbunden", schreiben die Studienautorinnen und -autoren.

Auch Neurowissenschaftlerin Urner sieht die Rolle der sozialen Medien kritisch: "Wenn Facebook und Co. daran interessiert wären, Menschen nicht in eine solche Abhängigkeit zu bringen, dann würden sie das einfach ändern." Mit der Einführung von "Milestones", also zeitlichen Marken oder Zwischenständen, die dem Gehirn bei der Einordnung helfen, könne endloses Doomscrolling eingeschränkt werden. "Da wird bewusst drauf verzichtet."

Keine Nachrichten sind auch keine Lösung

Was also tun, wenn der Konsum negativer Informationen überhandnimmt? "Vollständige Nachrichtenvermeidung ist keine gute Lösung", sagt Urner. Vielmehr könne jeder seine eigene "Medienhygiene" kritisch hinterfragen und sich überlegen, welche Informationen einem wirklich helfen. Dabei nimmt sie auch den Journalismus selbst in die Pflicht, der nicht bei der "reinen Problembeschreibung aufhören" dürfe, sondern lösungsorientierte Ansätze bieten müsse. Die Devise: "Wofür, statt wogegen."

Die Barmer Krankenkasse rät dazu, gezielt auf positive Inhalte zuzugreifen, wie etwa News vom Lieblingsverein. Wer bemerkt, dass der eigene Medienkonsum zur Last fällt, sollte sich demnach zeitliche Limits setzen. Entsprechende Apps erinnern daran, die Bildschirmzeit zu begrenzen oder das Smartphone für eine Weile ganz beiseitezulegen. Vor allem vor dem Zubettgehen sei das förderlich, um einen erholsamen Schlaf ohne aufwühlende Träume zu haben. Ein Weg, um aus der krisenbedingten Hilflosigkeit herauszukommen, kann zudem sein, sich zu engagieren, etwa in der Geflüchtetenhilfe.

Zu wissen, was in der Welt vor sich geht, ist wichtig. Die Realität zu verdrängen, funktioniert auf Dauer nicht. Doch es gibt - wie bei allen Dingen - auch ein zu viel. Soziale Medien befeuern das, die bessere Wahl zur Informationsbeschaffung sind Plattformen, die kuratieren und einordnen. Dabei ist weniger manchmal mehr: "Es ist eine Illusion, über alles, was weltweit passiert, jederzeit informiert zu sein", resümiert Urner. Es gilt also, seinen Konsum zu reflektieren, auf Alarmsignale zu hören und auch mal abzuschalten - in Krisenzeiten mehr denn je.

Quelle: ntv.de

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