Weniger Dreck auf den Weltmeeren Frachtschiffe mit Segeln? Sauber, aber sinnfrei
23.09.2021, 15:09 Uhr
Was können Segler, was Frachtkapitäne nicht können?
(Foto: picture alliance / imageBROKER)
Nur fünf Staaten stoßen mehr CO2 aus als die globale Schifffahrtsindustrie. Eine neue Studie verspricht, dass der Ausstoß deutlich sinkt, wenn man Frachtschiffe mit Segeln ausstattet. Alexander Dyck arbeitet am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und leitet dort das Institut für Maritime Energiesysteme - und er ist skeptisch. Ja, durch Segel würde der Schadstoffausstoß sinken, erzählt er im "Klima-Labor" von ntv. Aber was machen wir mit Brücken? Dem Zeitplan? Im Hafen? Revolutionäre Ideen sind in der Schifffahrt rar, das gilt auch für Frachter mit Atomantrieb.
ntv.de: Herr Dyck, Sie leiten das Institut für Maritime Energiesysteme und beschäftigen sich dort mit der Frage, wie man den Schadstoffausstoß der maritimen Wirtschaft reduzieren kann. Korrekt?
Alexander Dyck: Es geht sogar ein Stück weiter. Die Schadstoffe kann man über andere Verfahren reduzieren. Es geht um CO2, Dekarbonisierung, es geht um die gesamten Treibhausgase, die unser Klima beeinflussen. Wir sorgen für die Dekarbonisierung der Schifffahrt und wollen die Methoden und Technologien entwickeln, um sie zu implementieren.
Es gibt eine neue Studie, darin heißt es: Wenn man Segel an Frachtschiffen anbringt, kann man deren Schadstoffausstoß um bis zu 40 Prozent reduzieren. Warum macht man das nicht? Wir segeln seit Jahrhunderten über die Weltmeere. Wind ist eine kostenlose Antriebsquelle, aber wir nutzen sie nicht.
Einzelne ökologisch getriebene Unternehmen, die ein ökologisches Produkt haben, verwenden wieder Segel. Zum Beispiel um hochwertige Güter wie Kaffee, die auch schwer verderblich sind, zu transportieren. Man hat die Segelschifffahrt auch über Jahrhunderte zum Warentransport verwendet, das ist total super gewesen. Aber man hatte halt auch nichts anderes. Damals war es nicht so wichtig, in einer sehr kurzen Zeit anzukommen. Heute ist Zeit ein wesentlicher Faktor, der einzuhalten ist, um Transporte oder Warenketten und Warenwirtschaftssysteme aufrechtzuerhalten. Deswegen setzt man auf fossile Antriebe und zukünftig hoffentlich auch auf nicht-fossile Antriebe, die ein Schiff auch gegen den Wind von A nach B bringen. Die Studie wird die Reduktion von 40 Prozent sicherlich mit dem Wind errechnet haben. Aber spätestens, wenn man keinen Rückenwind hat, wird man deutlich mehr Zeit brauchen. Das ist in einem komplexen System einfach schwierig einzuhalten und führt zu Mehrkosten sowohl bei Personal als auch Schiff.
Aber es wird seit vielen Jahren daran gearbeitet, Frachtschiffe und Segel-Technik zu verbinden. Die Hamburger Skysails Group hat 2008 sogar schon eine Testfahrt mit ihrer Kite-Technologie gemacht. Es gibt andere Ideen wie ausfahrbare Segel. Das scheint ja schon ein Ansporn zu sein, beides zu kombinieren.
Es ist natürlich eine sinnvolle Option, wenn ich dadurch Treibstoff einsparen oder darauf ganz verzichten kann. Jeder, der segelt, mag an sich gar nicht mit Motor fahren und ist stolz darauf, wenn man nichts tanken muss. Aber spätestens beim Hafenmanöver wird es manchmal schwierig, das über Segel zu realisieren und erfordert ein besonders großes Können.
Was ist die große Schwierigkeit dabei?
Der Wind kommt nicht immer von hinten. Man muss die Kräfte sehr schnell und sehr fein dosieren können. Einen kurzen Windstoß produzieren, um in die Ecke rein zu zirkeln, ist anspruchsvoll.
Wenn man sich die Zahlen anschaut, bekommt man nicht das Gefühl, dass CO2 das allergrößte Problem ist. Nur 3 Prozent der globalen Emissionen entstehen durch Schiffe. Das ist eine erstaunlich geringe Zahl dafür, dass fast 80 bis 90 Prozent des Welthandels übers Meer geschehen.

"Spätestens, wenn man keinen Rückenwind hat, wird man deutlich mehr Zeit brauchen", sagt Alexander Dyck übers Frachtsegeln.
(Foto: DLR)
Die Schifffahrt ist der sechstgrößte Staat nach CO2-Emissionen, auch wenn es nur 3 Prozent sind. Wir verteilen halt die CO2-Last auf 172 Staaten in der Welt und die Schifffahrt zählt nicht mit. Es gibt von der IMO, der International Maritime Organization, eine Einigung, die Schadstoffe bis 2050 deutlich zu reduzieren. Es wird eine Riesenherausforderung, diesen Kompromiss zu erfüllen, weil es einige Zeit brauchen wird, die Technologien zu implementieren. Und wir sehen an Segelschiffen: Schiffe sind sehr langlebig, die haben eine Nutzungsdauer von bis zu 40 Jahren. Im Binnenschiffbereich gerne auch mehr.
Das gilt auch für Frachtschiffe?
Das gilt auch für Frachtschiffe, wenn sie modern genug waren. Man sagt, dass es nach 10 bis 15 Jahren ein sogenanntes Retrofit gibt, eine Nachrüstung. Es wird eine neue Hauptmaschine ergänzt, um den Stand der Technik zu implementieren, Einsparpotenziale oder saubere Verbrennung zu nutzen.
Womit fahren die? Diesel?
Die großen seegängigen Frachtschiffe nutzen häufig noch Heavy Fuel Oil, Schweröl. Je nachdem, wo sie unterwegs sind. In bestimmten Bereichen, sogenannte Emission Control Areas, dürfen nur saubere Treibstoffe verwendet werden. Es geht darum, Schadstoffe in bewohnten Gebieten zu vermeiden. Leider ist die Emission auf dem großen weiten Meer nicht so relevant. Es interessiert nicht alle, was draußen verbrannt wird. Der günstigste Treibstoff, der in der Vergangenheit verfügbar war, waren Raffineriereste. Die wurden auf See in Energie umgewandelt - nicht mit der saubersten Verbrennung: Ofen, eine schwarzbraune, ölige Flüssigkeit mit hohem Schwefel-Anteil, die man extra warm gemacht hat, um sie zu verflüssigen und zu verbrennen.
Aber dann braucht man auf jeden Fall neue Antriebstechnologien. Gibt es in der Schifffahrt wie in der Automobilwirtschaft einen Wettbewerb um neue Technologien? Welche, die besonders effizient sind? Oder sind das alles Zukunftsfantasien wie die Segel?
Der Treibstoffverbrauch ist einer der größten Kostenfaktoren neben den Investitionen ins Schiff und in die Mannschaft. Die Containerschifffahrt reagiert hochsensibel auf Preissignale, weswegen man sich auch zu dem günstigsten Treibstoff hat hinreißen lassen. Dem trägt man natürlich Rechnung, indem man besonders energieeffiziente Maschinen einsetzt. Der Zweitakt-Dieselmotor, der als Langsamläufer ein Schiff antreibt, hat eine sehr hohe Effizienz. Das ist nicht umsonst so, sondern die technische Entwicklung hat die Schifffahrt dorthin getrieben, Treibstoff besonders effizient zu verbrennen.
Wer sorgt denn dafür, dass sich die Schifffahrt in eine grünere Richtung bewegt? Was auf den Meeren passiert, kann man ja nicht so gut kontrollieren.
Wir. Wir als Kunden entscheiden, welches Produkt wir kaufen. Wir können hinterfragen, wie der Weg sein soll. Wenn die Hamburger sagen: Ich möchte nicht, dass diese Schiffe hier Dreck produzieren, ist das ein Grund, den Hafen sauberer zu halten. Die Ostsee ist eine Emission Control Area, wo Schiffe nur noch sehr sauber fahren dürfen. Der gesamte Nordseebereich ist ein schützenswerter Bereich, Weltkulturerbe. Da haben wir uns selbst Regeln auferlegt. Wer dann mit dem Schiff zu uns kommen will, muss in diesem Areal sauberen Sprit verbrennen.
Mit der Luftfahrt und mit der Automobilwirtschaft haben zwei andere Branchen das gleiche Problem. Dort wird das medial sehr groß begleitet. In der Schifffahrt ist das gefühlt überhaupt kein Thema. Haben Sie eine Idee, wie das kommt?
Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Klima-Labor ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen unter die Lupe nehmen, die toll klingen, aber bei denen nicht immer ganz klar ist, wie sinnvoll sie wirklich sind. Sollten wir Kühe mit Seegras füttern? Frachtriesen mit großen Segeln ausstatten? Grüne Hedgefonds in Aufsichtsräte berufen?
Das Klima-Labor von ntv: Hören Sie jeden Donnerstag rein - eine halbe Stunde, die informiert und Spaß macht. Auf ntv.de, in der ntv-App und überall, wo es Podcasts gibt: Audio Now, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Sie ist uns halt nicht so nah. Herr Söder hat keinen Seehafen und von daher natürlich auch keinen direkten Bezug dazu. Ich nehme einen anderen Ministerpräsidenten: Herr Weil hat natürlich ein Interesse an Seehäfen, weil mehrere große Seehäfen in seinem Bundesland sind. Und man ist natürlich froh darüber, dass man Häfen hat, in denen Waren, Güter oder Maschinen transportiert werden können, die man mit einem Flugzeug nur schwer und sehr kostenintensiv transportieren kann. Das Schiff bietet extreme Potenziale, Güter und Dienstleistungen zu transportieren, einfach von den Massen und von den Volumina.
Wenn Sie es ansprechen: Jeder hat vermutlich ein Bild der Ever Given vor Augen. Das war das Schiff, das den Suezkanal für mehrere Tage blockiert hat. Wie viele Frachtflugzeuge bräuchte man, um einmal die Ladung der Ever Given zu transportieren?
Von den ganz, ganz großen Flugzeugen, die Sondertransporte oder Hubschrauber transportieren können, haben wir einziges Flugzeug. Selbst da wäre es mit 100 Tonnen Nutzlast vorbei. Das wären zwei vollgepackte Container. Das war's. Auch der Zug, der mit 40 oder 50 Containern die Seidenstraße neu beleben soll: Wir bräuchten 200 Züge, bis das erste Containerschiff voll wäre.
Und man könnte jetzt nicht einfach ein paar Segel auf der Ever Given platzieren, um Energie zu sparen?
Prinzipiell ist das möglich, aber bei Containerschiffen etwas schwieriger. Die sind so hochgestapelt, dass sie gerade noch unter Brücken durchkommen. Dann müsste man sie immer ent- und beladen, um vorbeizukommen. Bei Öltankern ist das gut vorstellbar, dass man Segel implementiert. Eine andere Lösung wäre dieses Skysails, die vorne als Lenkdrachen das Schiff ziehen. Ich gebe die Zahlen der Marktanbieter wieder: Man kann fünf bis zehn Prozent Energie einsparen, wenn der Wind von hinten kommt.
Das klingt alles wirklich nicht revolutionär. Wäre denn etwas wie Atomkraft als Antrieb denkbar? Viele U-Boote verkehren als Atom-U-Boote auf den Weltmeeren, die amerikanischen Flugzeugträger auch.
Die Eisbrecher der Russischen Föderation auch, weil sie sehr lange Autonomie-Zeiten erreichen müssen und wollen. Das kann man machen. Der nukleare Betrieb birgt enorme Energieressourcen, hat aber eben einen Nachteil: Wenn Sie in einem Hafenbecken von Hamburg eine Havarie hätten, hätten Sie ein mittelschweres Problem.
Eine Idee, die man vielleicht doch nicht weiterverfolgt?
Die Idee gibt es, aber für eine eingeschränkte Nutzung an besonderen Orten, wo möglichst wenig Menschen sind. Es ist eine Restrisiko-Betrachtung. Die Technologie ist zur Energieerzeugung geeignet, hat aber Risiken - derer muss man sich bewusst sein. Ich bin kein Freund davon, aber man kann nicht sagen, das würde nicht funktionieren.
Mit Alexander Dyck sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann
Quelle: ntv.de