Japan bestes Beispiel Drosten jagt die Superspreader
29.05.2020, 02:43 Uhr
Für Christian Drosten gilt es jetzt, in Deutschland die Strategie zu ändern, um schnell auf Superspreading-Ereignisse reagieren zu können.
(Foto: imago images/IPON)
Sollte eine zweite Welle kommen, sind wir laut Virologe Drosten gut vorbereitet. Aber eine zweite Welle könne auch verhindert werden und die Corona-Pandemie auch ohne Impfstoff beherrschbar sein, so Drosten. Er setzt auf Superspreading-Events. Diese müssten einfach schnell ausgemacht werden.
In seinem jüngsten Podcast spricht Virologe Christian Drosten über sogenannte Superspreader. Das heißt, es gibt in der Corona-Pandemie einige wenige Infizierte, die viele weitere Personen anstecken, während die meisten anderen Virusträger nur einen oder gar keinen anderen Menschen infizieren. Dies sei wahrscheinlich auch bei Sars-CoV-2 der Fall, was eine gute Nachricht sei, sagt der Virologe. Allerdings nur, wenn wir unsere Strategie bei der Bekämpfung der Pandemie anpassten.
Bei Sars fast nur Superspreader
Bei der Sars-Pandemie 2002/2003 hätten Superspreader eine entscheidende Rolle gespielt, weil der Erreger direkt die Lunge und nicht die oberen Atemwege befallen habe. Das habe bedeutet, dass sich Menschen schon früh nach einer Infektion schlecht gefühlt hätten und ins Krankenhaus gegangen seien, erklärt Drosten. Diese Personen hätten kaum jemanden angesteckt. Einige "Hartgesottene" seien aber auch mit einer Lungenentzündung noch herumgelaufen und hätten viele infiziert.
Bei Sars sei der Dispersionsfaktor k ungefähr 0,1 gewesen sei, sagt Drosten. Dieser Wert beschreibt, wie oft Häufungen von Infizierungen auftreten. Je niedriger die Zahl ist, desto weniger Personen verbreiten den Erreger. Daraus ergibt sich, dass eine Epidemie umso leichter zu kontrollieren ist, je niedriger der Dispersionsfaktor ist. Der Dispersionsfaktor 0,1 bedeute, dass von zehn Patienten neun nur jeweils eine Person infizierten, jeder zehnte aber zehn weitere Menschen, erklärt der Virologe. Daher sei die Wahrscheinlichkeit, dass ein Infizierter ein Superspreading-Ereignis auslöst, bei dem schnell viele Personen angesteckt werden, eins zu zehn ist. Bei so einem niedrigen Faktor könne es sogar passieren, dass eine Epidemie zum Stillstand kommt.
Dispersionsfaktor eröffnet Chancen
Bei Sars-CoV-2 sei man anfangs der Meinung gewesen, Superspreader spielten keine oder nur eine geringe Rolle, sagt Drosten. Weil auch die oberen Atemwege befallen werden und Patienten schon vor den ersten Symptomen ansteckend seien, habe das auf der Hand gelegen. In jüngster Zeit deuteten allerdings neue Vorab-Studien (Preprint) stark darauf hin, dass der Dispersionsfaktor auch in dieser Pandemie klein bis sehr klein sein könnte.
Die Studien basierten allerdings auf einer recht dünnen Datenbasis, vermutlich sei k bei Sars-CoV-2 nicht so niedrig wie bei der ersten Sars-Pandemie. Eine chinesische Vorab-Studie von Gabriel Leung hält der Berliner Virologe für sehr belastbar. Das Team der Universität Hongkong hat errechnet, dass 20 Fälle für 80 Prozent der Infizierungen verantwortlich sind. Das entspricht einem Dispersionsfaktor von 0,45.
Dieser Wert sei leider nicht so niedrig, dass man damit rechnen könne, dass sich die Pandemie von alleine erledigt. Aber er gäbe uns die Chance, sie zu beherrschen und eine tödliche zweite oder dritte Welle ab dem Herbst zu verhindern, sagt Drosten. Deutschland müsse dafür aber seine Strategie anpassen. Es gelte, sie so anzulegen, dass Anhäufungen von Infektionen so schnell wie möglich als Superspreading-Ereignis erkannt werden. Die Virenschleuder sei im Prinzip die rote Murmel zusammen mit neun gelben Murmeln in einem Kasten, aus der man blind eine nach der anderen herausnimmt. Sie könne als Erstes, aber auch als Letztes gezogen werden.
"Wir müssen unsere Strategie ändern"
Auch einem Superspreader sehe man nicht an, dass er eine Virenschleuder ist. Deshalb müsse man bei einem positiven Test sofort dessen Umgebung anschauen. Man müsse hinsichtlich der Kontakte dieser Person überprüfen, ob sie Teil eines Superspreading-Ereignisses sein könnten. Falls ja, dürfe man keine weiteren Tests abwarten, sondern müsse alle beteiligten Personen sofort als infiziert betrachten und isolieren, so Drosten. "Wir müssen unsere Strategie ändern und wir müssen das vor allem auch in der Situation berücksichtigen, die jetzt auf uns zukommt, und zwar zwangsläufig auf uns zukommt, in der wir bei einem entdeckten Fall immer ein Cluster-Risiko haben: das in Schulen und Kitas."
Für eine neue Strategie wäre eine funktionierende Tracing-App, wie sie bis zu den Sommerferien kommen soll, sehr wichtig, findet der Virologe. Sie könne einen Nutzer im Falle eines Kontakts bei einem möglichen Superspreading-Event sofort warnen: "Sie gehören zu einem Cluster. Sie müssen sich jetzt als positiv betrachten." Es komme aber auch darauf an, die aktuellen Verhaltensregeln beizubehalten, denn sie würden schon viele mögliche Events unterbinden. Einiges müsse man aber noch bedenken, beispielsweise könne man sich auf 1,50 Meter Abstand in Innenräumen nicht verlassen, sagt Drosten.
Mutige Japaner als Beispiel nehmen
Wie weit man bei Sars-CoV-2 mit der Strategie der Clusterverfolgung kommen könne, zeige das Beispiel Japan, wo man sie von Anfang an eingesetzt habe. Dort seien die Totenzahlen niedrig und auch die Inzidenzen gingen langsam, aber stetig zurück. Dies liege daran, dass der politisch-epidemiologisch Verantwortliche "seine Feuertaufe bei Sars-1" gehabt habe, erklärt der Virologe. Er habe ohne die entsprechenden Daten anhand seiner Erfahrung und Auffassung gehandelt.
"Das war mutig und es scheint gut gegangen zu sein. Und das müssen wir uns unbedingt als Beispiel für die nächste Zukunft jetzt nehmen", sagt Drosten. Mit dem Sommer komme eine Entspannungsphase, in der man Maßnahmen justieren und einüben könne, beispielsweise das Öffnen von Schulen. Sei zum Beispiel ein Lehrer infiziert, müssten alle Schüler, die er in den vergangenen Tagen unterrichtet hat, für eine oder zwei Wochen zu Hause bleiben. "Aber man muss wahrscheinlich nicht die ganze Schule deswegen schließen."
Quelle: ntv.de