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"Chinesen haben gelogen, aber …" Warum Kekulé nichts von der Labortheorie hält

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Wurden in Wuhan Experimente durchgeführt, die den USA zu heikel waren?

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Hinweise mehren sich, dass kurz vor der Pandemie "exotische" Experimente mit Coronaviren durchgeführt wurden. Der Beleg, dass Sars-CoV-2 aus dem Labor stammt? Aus dem Institut für Virologie in Wuhan? Virologe Kekulé kommt ins Grübeln, hält eine andere Theorie aber für plausibler.

"Es ist so: Sie haben zwar keine Smoking Gun, aber Sie haben einen Brief des Gärtners, der geschrieben hat, ich nehme jetzt folgende Pistole, lade folgende Munition und erschieße dann den Hausherrn. Dann liegt der Hausherr tot auf dem Boden, erschossen mit genau diesem Kaliber. Und Sie sagen, der Mörder war aber nicht der Gärtner."

So hat der Virologe Alexander Kekulé in einem ntv-Interview die neueste Entwicklung bei der Suche nach dem Ursprung des Coronavirus beschrieben. Und der "Brief des Gärtners" ist ein Forschungsprojekt, das der umstrittene britisch-amerikanische Wissenschaftler Peter Daszak 2018 beantragt hat - mit dem Institut für Virologie in Wuhan (WIV) als Partner. Dieser Antrag ist erst in diesem Oktober bekannt geworden und klingt verdächtig nach dem Bauplan für Sars-CoV-2.

"Man hat Hinweise für Pläne gefunden, Viren herzustellen, die dem, was jetzt als Pandemie-Virus zirkuliert, extrem ähnlich gewesen wären", beschreibt Kekulé im ntv-Podcast "Wieder was gelernt" den wissenschaftlichen Sprengstoff. "Das bringt Peter Daszak und die Eco Health Alliance natürlich in Erklärungsnot. Auch diejenigen, die die Anträge damals in den USA bearbeitet haben, müssen jetzt genau erklären, warum sie sich sicher sind, dass diese Dinge, die gemeinsam mit Wuhan geplant waren, nicht in Wuhan durchgeführt wurden."

Exotisch wie ein Reißbrett?

Peter Daszak, sein Team von der Eco Health Alliance und die Forscher in Wuhan wollten Coronaviren von Fledermäusen so modifizieren, dass sie danach besonders ansteckend für Menschen sind. Um zu klären, welche Eigenschaften ein pandemisches Potenzial hätten, wie es in Fachkreisen heißt: Welche davon sich rasend schnell auf der Welt ausbreiten könnten und für Menschen besonders gefährlich wären.

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Alexander Kekulé ist seit 1999 Inhaber des Lehrstuhls für Medizinische Mikrobiologie und Virologie der Martin-Luther-Universität in Halle an der Saale und Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums.

(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)

Es sind Eigenschaften, von denen Virologe Kekulé immer dachte, die sind "so exotisch", das kann sich niemand am Reißbrett ausgedacht haben, das kann nur aus der Natur kommen - bis er den Forschungsantrag gelesen hat.

In den USA hat Darpa, die militärische Forschungseinrichtung des Pentagons, das Projekt abgelehnt. Diese Art von Gain-of-Function-Forschung, bei der Viren im Labor "verbessert" werden, sei zu gefährlich, hieß es 2018. Aber niemand weiß, ob Daszak das Projekt stattdessen zusammen mit der Forschergruppe um Zheng-Li Shi, der Chef-Virologin mit dem Spitznamen "Batwoman", in Wuhan durchgeführt hat.

"Gain-of-Function"-Forschung

Bei der "Gain-of-Function"-Forschung werden Viren im Labor künstlich verändert, um den Einfluss von Mutationen auf die Infektionswege zu ergründen. In der Wissenschaftsgemeinde ist diese Arbeit umstritten. Die eine Seite argumentiert, solche Versuche seien zu gefährlich und könnten Pandemien auslösen. Die andere Seite verweist darauf, dass die Veränderungen der Viren in der Natur ohnehin geschehen und man mit der Forschung das Verständnis vertiefen und so mögliche Pandemien stoppen könne.

Zeitlich hätte das mit dem Ausbruch zusammengepasst, sagt Kekulé. "Es passt auch, dass der Plan der war, Viren aus Fledermäusen zu nehmen, wie sie eben in der Region von Wuhan vorhanden sind und wie auch Zheng-Li Shi sie zur Verfügung hatte. Und wir nehmen ja an, dass solche Viren der Ur-Ausgangspunkt der Pandemie waren."

Daszak wehrt sich

Peter Daszak wehrt sich gegen die Vorwürfe. "Angriffe auf die Wissenschaft untergraben unsere Fähigkeit, Pandemien zu bekämpfen", hat der Zoologe Ende Oktober auf Twitter geschrieben. Nachfragen, ob er sein abgelehntes Projekt in China umgesetzt hat, beantwortet er aber nicht. Und auch Peking schweigt zu der Frage, ob in Wuhan umgesetzt wurde, was den USA zu gefährlich war.

Deshalb hält Alexander Kekulé es nicht für ausgeschlossen, dass die Corona-Pandemie mit einem Unfall im Labor von Wuhan begonnen hat. Sein Unwohlsein bezüglich dieser Möglichkeit sei durch die letzten Entwicklungen stärker geworden, sagt der Virologe.

Trotzdem bleibt er skeptisch. Denn wenn solche Experimente durchgeführt worden wären - ohne böse Absicht, um die Wissenschaft voranzubringen - hätten die Forscher in Wuhan mit ihren Kolleginnen und Kollegen darüber gesprochen. Es sei unter Wissenschaftlern weltweit üblich, dass man ständig Daten hin- und herschicke. "Als experimentell tätiger Virologe ist man ständig im Austausch mit dem Ausland", sagt er. "Gerade, weil viele dieser Technologien in den USA besser beherrscht werden als in China. Deshalb gab es ja die enge Zusammenarbeit zwischen mehreren Arbeitsgruppen in den USA und Wuhan."

Bisher gibt es keinen Hinweis auf Gespräche über Experimente, bei denen an der Blaupause für Sars-CoV-2 gearbeitet wurde. Das ist ein Grund, warum Kekulé trotz des Briefes, den der Gärtner hinterlassen hat, nicht von der Labortheorie überzeugt ist. Ein anderer ist die unschlüssige Kausalkette, wie der Virologe sagt.

Corona war schon früh in Europa

"Ohne Frage, die Chinesen haben gelogen und sie lügen auch weiterhin. Das ist klar, daran gibt es kein Rütteln. Aber die Daten deuten darauf hin, dass die ersten Infektionen wahrscheinlich schon im Oktober 2019 aus China rausgetragen wurden. Wir haben Hinweise auf Patienten in Frankreich und in Italien. Das Virus hat also schon früher erste Versuche unternommen, sich in der Welt auszubreiten."

China hat die ersten Infektionen in Wuhan Ende Dezember 2019 festgestellt. Einen Monat später hat Peking die Metropole abgeriegelt und insgesamt 56 Millionen Menschen in der Region unter Quarantäne gestellt. Das passt zur Theorie, dass Sars-CoV-2 Ende 2019 bei einem Unfall im Institut für Virologie der Millionenstadt ausgebrochen ist. Aber wie ist das Virus schon drei Monate vorher nach Europa gekommen?

Kekulé hält es deshalb noch immer wie sein Kollege Christian Drosten von der Charité in Berlin: Er glaubt, dass der Ursprung von Sars-CoV-2 eine Pelzfarm ist.

Pelzfarm als Durchlauferhitzer?

Kein Virus erblickt das Licht der Welt und ist sofort "pandemiefähig". Aus Südchina ist zum Beispiel bekannt, dass Coronaviren von Fledermäusen auf einzelne Menschen überspringen und sie infizieren, ohne dass es zum großen Ausbruch kommt. Sie müssen den menschlichen Körper erst kennenlernen, seine Schwachstellen finden und sich daran anpassen, bevor sie großflächig anstecken können. Sie müssen mutieren.

"Wieder was gelernt"-Podcast

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.

Alle Folgen finden Sie in der ntv App, bei RTL+ Musik, Apple Podcasts und Spotify. "Wieder was gelernt" ist auch bei Amazon Music und Google Podcasts verfügbar. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.

Dafür sind Pelzfarmen der perfekte Ort. Eine Art Durchlauferhitzer, in dem viele Säugetiere leben - zusammengepfercht auf engem Raum und in der Nähe von Menschen. "Das wird staatlich kaum kontrolliert, weil es nicht um Lebensmittel geht", sagt Kekulé. "Das sind viele auch kleinere Betriebe. Da ist es gut möglich, dass sich ein Virus ausbreitet, optimiert und zum Beispiel Pfleger infiziert, die dort im Einsatz sind, und es dann zu einer Rück-Infektion zu den Tieren kommt."

Dieses Pingpong-Spiel zwischen den Wirten funktioniert mit Pelztieren deshalb so gut, weil etwa der an einen Waschbären erinnernde Marderhund ein Immunsystem besitzt, das dem menschlichen viel ähnlicher ist als das der Fledermaus. Ihr Körper ist für Viren ideal, um für die Auseinandersetzung mit dem Menschen zu trainieren. Das würde erklären, warum das Coronavirus praktisch aus dem Stand die ganze Welt anstecken konnte.

SARS als Vorbild

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Dass dieses Szenario plausibel ist, weiß man von Sars-CoV-1. Das ist besser bekannt als SARS und hat 2002 von Südchina aus die erste Pandemie des 21. Jahrhunderts verursacht. SARS stammt auch aus Fledermäusen und hat sehr wahrscheinlich den Larvenroller als Zwischenwirt genutzt, bevor der Mensch dran war. Diese Schleichkatzen leben überwiegend in Bäumen und wurden oder werden immer noch in Süd- und Südostasien auch auf Lebensmittelmärkten oder für die Pelzproduktion in Käfigen gehalten.

War das auch bei Sars-CoV-2 der Fall? Einen Beweis dafür gibt es nicht, genauso wenig wie für die Labortheorie. Niemand kann ausschließen, dass das Institut für Virologie in Wuhan der Durchlauferhitzer war, keine Pelzfarm irgendwo in China. Dass sich dort Pelztiere auch ohne "exotische" Experimente unabsichtlich mit einem Fledermausvirus infiziert haben, ehe es zum Sprung auf einen Mitarbeiter kam. Denn Laborunfälle sind keine Seltenheit.

Vermutlich wird es auch niemand herausfinden. Falls es einen Laborunfall gab, wird China das nicht zugeben. Auf Pelztierfarmen führt die Volksrepublik anders als nach dem SARS-Ausbruch 2002 keine Untersuchungen durch. Zumindest nicht öffentlich. Das sei aber auch gar nicht so wichtig, sagt Alexander Kekulé. Es gebe schon jetzt zwei plausible Möglichkeiten, und auf die müsse man sich mit den betroffenen Ländern vorbereiten, damit sich die Corona-Pandemie nicht wiederholt - auch wenn der Umgang mit diesen Nationen schwierig sein mag.

Quelle: ntv.de

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