Wenn dem Körper Treibstoff fehlt "Verhungern ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich"


Im Gaza-Streifen leiden Palästinenser, darunter auch viele Kinder, extremen Hunger.
(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)
Hungernde gibt es überall auf der Welt. Im Gaza-Streifen sind aktuell mehr als eine Million Menschen von einer katastrophalen Hungersnot bedroht, warnen die Vereinten Nationen. Doch was passiert im Körper, wenn Menschen zu lange Zeit hungrig sind?
Hunger ist ein Gefühl, das jeder kennt. Die Nahrungsaufnahme ist ein Grundbedürfnis und gleichzeitig ein Überlebensmechanismus. Aber Menschen auf der Welt leiden und sterben täglich an Hunger: zum Beispiel im Gaza-Streifen.
Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) erwartet laut einem Bericht von Anfang Juni, dass der anhaltende Konflikt den akuten Hunger noch weiter verschlimmern wird. Bis Mitte Juli werden über eine Million Menschen - die Hälfte der Bevölkerung des Gaza-Streifens - von katastrophalem Hunger bedroht. Doch was passiert im Körper, wenn er keine Nährstoffe mehr von außen bekommt?
Was passiert im Körper, wenn wir Hunger haben
Hungergefühl bedeutet in der Regel, dem Körper fehlen Nährstoffe. "Es ist wie beim Auto. Wir müssen regelmäßig tanken, damit es fährt", sagt die Ernährungsmedizinerin Martha Ritzmann-Widderich im Gespräch mit ntv.de.
Ein wichtiger Brennstoff des Menschen ist die Glukose, auch Traubenzucker genannt. Alle Zellen brauchen Traubenzucker als Energieträger. Deshalb wird dieser unmittelbare Alltagshunger auch "Zellhunger" genannt. Er ist die treibende Kraft für Aktivitäten, Bewegung, Verdauung und auch das Gehirn.
Wenn der Magen knurrt
Nach ein paar Stunden ohne Nahrung sinkt der Blutzuckerspiegel und gleichzeitig der Glukosegehalt in den Zellen. Dann signalisiert der Körper, dass sein Energievorrat zur Neige geht. Er braucht wieder Nachschub. Es rumpelt im Bauch. Der Magen knurrt.
Unter dem Slogan "Du bist nicht du selbst, wenn du hungrig bist" wirbt seit Jahren ein US-Süßigkeiten-Hersteller für einen Schokoriegel. Damit liegt er offenbar nicht ganz falsch. Denn ein leerer Magen erhört die Impulsivität des Menschen. Hungrige sind oft dünnhäutig. Dafür hat sich auch in Deutschland der Begriff "hangry" auch in den deutschen Sprachgebrauch eingeschlichen - eine Kombination der englischen Begriffe "hunger" (Hunger) und "angry" (wütend).
Unruhe ist ein weiteres Signal dafür, dass der Körper neuen Treibstoff braucht. Auch die Konzentrationsfähigkeit nimmt ab. All diese Reaktionen zeigen das Verlangen des Körpers nach Nährstoffen an.
Wenn dem Körper Nahrung fehlt
Wie lange ein Mensch ohne Nahrung überleben kann, hängt von individuellen Voraussetzungen der Person ab, wie Alter, Gewicht, Größe oder auch Vorerkrankungen. "Der Prozess des Verhungerns ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich", sagt Ritzmann-Widderich.
"Um länger auf Nahrung zu verzichten, brauchen Menschen Reserven im Körper", sagt Ritzmann-Widderich. "Wir können viele Zellen als Energiezufuhr verwenden." Als Erstes plündert der hungernde Körper seine Glukose-Vorräte. Glukose oder auch Glykogen befindet sich in der Leber und den Muskeln. Doch schon nach rund einem Tag sind die Glukose-Speicher leer.
Wenn der Körper verhungert
Wenn ein Mensch länger als einen Tag nichts isst, dann beginnt sein Körper Fettvorräte zu verbrennen. "Das ist der sogenannte Metabolic Switch. Das heißt, der Körper schaltet von der Glukose- auf die Fettverbrennung um", sagt Ritzmann-Widderich. Menschen mit höheren Fettreserven im Körper können daher länger auf Nahrung verzichten.
Manche Menschen nutzen diesen Effekt auch, um Gewicht zu verlieren. Die Form des Nahrungsverzichts als bewusstes Fasten bei kranken Menschen oder Medikamenteneinnahme sollte nur unter ärztlicher Betreuung geschehen, sagt Ritzmann-Widderich. Hunger ist nicht Fasten, beim freiwilligen Fasten hungert man nicht.
Ohne Nahrungszufuhr schaltet der Körper in den Energiesparmodus um: Der Stoffwechsel verlangsamt sich, Herzfrequenz, Blutdruck und Körpertemperatur sinken. Dies geschieht nur bei schwerkranken Menschen, die unfreiwillig hungern, im freiwilligen Fasten wird das Immunsystem eher gestärkt.
Wenn der Hunger zu lange andauert
Wenn ein Hungerzustand durch Krankheit oder schwierige äußere Bedingungen zu lange andauert, und der Körper seine Fettreserven ausgeschöpft hat, greift er schließlich auf Eiweißreserven in den Muskeln zurück. "Dann wird es lebensbedrohlich", sagt Ritzmann-Widderich. Es kann zu Herz-Rhythmus-Störungen führen.
Jesus soll in der Wüste vierzig Tage und vierzig Nächte ohne Essen überlebt haben. So steht es im Evangelium nach Matthäus. Jenseits dieses Bibel-Mythos ist bis heute unklar, wie lange Menschen wirklich ohne Nahrung überleben können.
Irgendwann - theoretisch zwischen dem 30. bis 50. Tag - folgt unausweichlich der Tod. Während des irischen Unabhängigkeitskrieges im Jahr 1920 starb ein Teilnehmer eines politischen Hungerstreiks in Cork nach 74 Tagen ohne Nahrung.
Wenn der Körper nach langem Hunger wieder Nährstoffe bekommt
Für einen Verhungernden ist einfach wieder zu essen, nicht unbedingt die Rettung vor dem Tod. "Wenn eine stark unterernährte Person dann einen Braten mit fettigen Bratkartoffeln isst, kann sie daran sterben", sagt Ritzmann-Widderich. Nach einer langen Zeit des Mangels kann der Körper bestimmte Nährstoffe und größere Nahrungsmengen nicht mehr verarbeiten.
Zu viele oder die falschen Nährstoffe können bei Betroffenen zu Herz- und Lungenproblemen führen. "Das haben wir früher oft bei abgemagerten Kindern in Afrika beobachtet", sagt sie. "Der Körper muss erst wieder lernen Nährstoffe zu verarbeiten", sagt sie.
An das "normale" Essen müsse sich herangetastet werden. Damit der Körper wieder lernt, Nährstoffe richtig zu verarbeiten, gibt es therapeutische Ernährungspläne. Je nachdem, wie lange und wie schwer der Nährstoffmangel war, können Betroffene noch weiter an dessen Folgen leiden.
Quelle: ntv.de